Wärmeres Klima - kein Grund zur Zeckenpanik
Heisse Sommer, milde Winter: Das soll zu einer riesigen Zeckenplage führen, sagen Vertreter von Pharmafirmen. Sie propagieren damit ihre Impfung gegen die Zeckenkrankheit FSME. Jetzt geben Experten Entwarnung.
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Gesundheitstipp 6/2004
09.06.2004
Sonja Marti - smarti@pulstipp.ch
Die Webseite geizt nicht mit dramatischen Slogans: «Die Natur spasst nicht» und «Die Zecken lauern überall». Eine der drohenden Gefahren sei die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) - eine Viruskrankheit, die infizierte Zecken auf den Menschen übertragen können. Und es wird behauptet: Immer mehr Menschen würden in der Schweiz an der gefährlichen FSME erkranken. Der einzige Schutz sei die Impfung. Die Schlussfolgerung wundert nicht. Die Autorin der Webseite ist die Schweizer Firma Bern...
Die Webseite geizt nicht mit dramatischen Slogans: «Die Natur spasst nicht» und «Die Zecken lauern überall». Eine der drohenden Gefahren sei die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) - eine Viruskrankheit, die infizierte Zecken auf den Menschen übertragen können. Und es wird behauptet: Immer mehr Menschen würden in der Schweiz an der gefährlichen FSME erkranken. Der einzige Schutz sei die Impfung. Die Schlussfolgerung wundert nicht. Die Autorin der Webseite ist die Schweizer Firma Berna Biotech, die unter anderem auch einen Impfstoff gegen FSME verkauft.
Ein anderer Impfstoffhersteller - Chiron Vaccines aus Marburg (D) - droht gar mit den Folgen der Klimaerwärmung. An einem internationalen Kongress für Reisemediziner vor einem Jahr präsentierten zwei Mitarbeiter von Chiron ein Schreckensszenario: Die Risikogebiete, in denen Zecken FSME übertragen können, würden sich in Europa immer weiter ausbreiten. Und selbst in bisher FSME-freien Regionen könne das Infektionsrisiko «leicht unterschätzt werden».
Die Anzahl der Erkrankungen bleibt konstant
Doch all dieser Panikmache zum Trotz: Die Zeckenkrankheit FSME tritt in der Schweiz nicht häufiger auf als früher. Hans-Peter Zimmermann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sektion Impfungen im Bundesamt für Gesundheit (BAG): «Seit acht Jahren bleibt die durchschnittliche Zahl der Erkrankungen konstant bei etwa 100 Fällen - auch wenn es von Jahr zu Jahr starke Schwankungen geben kann.» Zudem würden die allermeisten Fälle noch immer in den bekannten Risikogebieten auftreten - wie zum Beispiel in gewissen Regionen der Kantone Schaffhausen, Zürich und Thurgau.
Klimaerwärmung könnte FSME den Garaus machen
Und selbst in diesen Risikogebieten ist die Gefahr klein, ernsthaft krank zu werden. Denn nur jede hundertste bis tausendste Zecke ist mit FSME-Viren verseucht. Und nur jeder zehnte Mensch, der von einer infizierten Zecke gestochen wird, erkrankt. Die meisten von ihnen an einer harmlosen Form, die einer Sommergrippe gleicht. Eine schwere FSME führt zu starken Kopfschmerzen, hohem Fieber, Bewusstseinsstörungen und manchmal auch Lähmungen.
Auch die Klimaerwärmung wird in Mitteleuropa nicht zu einer FSME-Epidemie führen - ganz im Gegenteil: Sie wird die Krankheit in der Schweiz wahrscheinlich zum Verschwinden bringen.
Norbert Satz, Arzt und Spezialist für Zeckenkrankheiten aus Zürich, bestätigt zwar, dass «die klimatischen Veränderungen einen Einfluss auf die Zecken haben». Bei einem milden Winter sterben weniger Zecken in ihrer Winterruhe unter dem Boden. Die Folge: Im Frühling hat es mehr davon. Und das wärmere und mildere Klima lockt die Tiere zudem Richtung Norden und in die Berge. Bereits heute findet man Zecken auf 1500 Metern über Meer, wo es vor einigen Jahren noch keine gab.
Doch FSME breitet sich deswegen nicht aus. Ein britisches Wissenschaftlerteam aus Oxford hat aufgrund von Klimadaten berechnet, dass es im Jahr 2020 in der Schweiz und in Südeuropa keine FSME-infizierten Zecken mehr geben wird. Denn dann werden ihnen die Sommermonate zu trocken und zu heiss sein.
Und die älteren Tiere können das Virus nicht mehr auf die jungen übertragen. Im Jahr 2080 finden sich vermutlich nur noch in Skandinavien infizierte Zecken, so die englischen Forscher.
Die Pharmaindustrie beharrt auf ihren Szenarien
Hans-Peter Zimmermann vom BAG: «Es gibt heute kaum Gründe, die Impfempfehlungen auf weitere Personen auszuweiten.» Laut BAG sollten sich Erwachsene und Kinder ab 6 Jahren impfen lassen, wenn sie sich während der Zeckensaison an mindestens 14 Tagen in den Wäldern der Risikogebiete aufhalten oder ausgesprochen häufig von Zecken gestochen werden. Zimmermann: «Kleinkinder brauchen meistens keine Impfung.» Denn sie erkranken nur höchst selten an FSME.
Auch Danuta Reinholz vom kantonsärztlichen Dienst Zürich sieht keinen Grund zur Panik: «Das Infektionsrisiko ist sehr gering. Deshalb kann man auf eine allgemeine Impfaktion bei der Bevölkerung der betroffenen Gebiete verzichten.»
Der deutsche Impfstoffhersteller Chiron Vaccines bleibt trotzdem bei seinen Impfempfehlungen und will nichts von Panikmache wissen: «Wir präsentieren die aktuellen Fakten und arbeiten nicht mit emotionalen Bildern von Erkrankten.»
Ebenso Roland Hoos, Verantwortlicher für medizinische Informationen der Berna Biotech: «Es geht um glaubwürdige Prävention einer möglicherweise schwer verlaufenden Krankheit. Dafür müssen wir mit unseren Slogans auch Emotionen ansprechen.» Das sei aber keine Angstmache. Zudem würde die Webseite für die Impfung und nicht für den eigenen Impfstoff werben. Berna Biotech hält auch an ihrer Aussage fest, dass die Zahl der FSME-Fälle in der Schweiz zunehme. Hoos: «Wir haben eine deutlich steigende Tendenz in den vergangenen 15 Jahren.»
Wie Sie sich vor Zecken schützen
Zecken können nicht nur FSME übertragen, sondern auch die Bakterieninfektion Borreliose. Dagegen gibt es keine Impfung.
Folgende Vorsichtsmassnahmen gegen Zecken sollten Sie einhalten:
- Nicht barfuss, mit offenen Schuhen oder kurzen Hosen im Wald oder am Waldrand gehen.
- Bei anliegenden Kleidern haben es Zecken schwerer, an die Haut zu kommen. Das gilt auch, wenn die Hosenbeine in den Socken stecken.
- Tragen Sie dunkle Kleider, auch wenn man darauf die Zecken schlechter sieht. Denn Zecken befallen häufiger Menschen mit heller Kleidung.
- Wer im Wald war, sollte danach die Kleider absuchen.
- Suchen Sie sich beim Duschen nochmals sorgfältig nach Zecken ab. Sie siedeln mit Vorliebe in den Kniekehlen, beim Bauchnabel, an den Innenseiten der Schenkel oder in den Achselhöhlen und auf den Schultern.
- Spezielle Zeckenschutzmittel bieten zu wenig Schutz. Sie ersetzen auf keinen Fall obenstehende Vorsichtsmassnahmen. (Test der verschiedenen Zeckenschutzmittel: K-Tipp Nr. 10 vom 19. Mai 2004)