«Die radioaktive Spritze hat nichts genützt»
Ärzte spritzen radioaktive Substanzen in Gelenke von Rheuma-Patienten. Doch Forscher warnen: Radiosynoviorthese ist gefährlich und nützt wenig.
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Gesundheitstipp 4/2007
18.04.2007
Andreas Gossweiler
Edith Schüpfer leidet an beiden Knien an Arthritis. Immer wieder hat sich Wasser in den Gelenken gesammelt. «Die Ärzte versuchten, die Flüssigkeit abzusaugen. Aber das nützte nichts», sagt Edith Schüpfer. «Nach zwei Wochen war das Wasser wieder da.» Deshalb riet eine Rheuma-Ärztin der 57-jährigen Patientin zu einer Radiosynoviorthese im rechten Knie. Bei diesem Eingriff spritzen Ärzte eine radioaktive Flüssigkeit - bei Knien in der Regel Yttrium - in das Gelenk. Die Strahlung veröd...
Edith Schüpfer leidet an beiden Knien an Arthritis. Immer wieder hat sich Wasser in den Gelenken gesammelt. «Die Ärzte versuchten, die Flüssigkeit abzusaugen. Aber das nützte nichts», sagt Edith Schüpfer. «Nach zwei Wochen war das Wasser wieder da.» Deshalb riet eine Rheuma-Ärztin der 57-jährigen Patientin zu einer Radiosynoviorthese im rechten Knie. Bei diesem Eingriff spritzen Ärzte eine radioaktive Flüssigkeit - bei Knien in der Regel Yttrium - in das Gelenk. Die Strahlung verödet die Oberfläche der Gelenkschleimhaut, deshalb kann sich im Kniegelenk kein Wasser mehr ansammeln. Soweit die Theorie.
Doch Edith Schüpfer ist enttäuscht von der Behandlung. Sie zeigte nicht den erhofften Erfolg: «Ein halbes Jahr später hatte ich wieder Wasser im Knie», berichtet sie. «Ich würde die Radiosynoviorthese nicht mehr machen. Sie hat mir nichts genützt, und ich habe Angst vor der radioaktiven Strahlung.»
Zwar dauerte das Setzen der Spritze nur eine Viertelstunde. Doch anschliessend musste Edith Schüpfer drei Tage lang im Spital bleiben: «Ich durfte das Bett nie verlassen. Das Knie war während der ganzen Zeit eingeschient.» Die strenge Bettruhe soll sicherstellen, dass die eingespritzte radioaktive Flüssigkeit im Gelenk bleibt und sich nicht im ganzen Körper verteilt.
Wissenschaftler warnen vor den Folgen
Edith Schüpfers Angst vor der Strahlung ist nicht unbegründet: Letztes Jahr warnten Forscher, ein Teil der radioaktiven Flüssigkeit könne über das Lymphsystem in den ganzen Körper gelangen. Italienische Wissenschaftler fanden Hinweise auf mögliche Chromosomenschäden. Deshalb sei die Radiosynoviorthese für junge Patienten ungeeignet. Ein holländisches Forscherteam stellte fest, dass die radioaktive Flüssigkeit Yttrium Knorpel und Knochen von behandelten Kniegelenken schädigen könnte.
Die Holländer kritisierten auch, die Radiosynoviorthese wirke nicht besser als entzündungshemmende Medikamente. Ihre Schlussfolgerung: «Wir betrachten die Radiosynoviorthese nicht mehr als Therapie der ersten Wahl für Knie-Arthritis.»
Der Chemiker Bernhard Wehrli, Direktionsmitglied des Wasserforschungsinstituts Eawag, erklärt: «Die radioaktive Strahlung des Yttrium sinkt innert 64 Stunden auf die Hälfte. Nach zwei Wochen sind noch rund 5 Prozent der radioaktiven Substanz im Körper vorhanden.» Der Körper sei also während längerer Zeit einer leicht erhöhten radioaktiven Belastung ausgesetzt. «Deshalb besteht das Risiko, dass sich ein Tumor bilden kann», fügt Wehrli an.
«Die Erfolgsquote liegt zwischen 60 und 80 Prozent»
Trotz der Kritik der Wissenschaftler sind die meisten Rheumatologen immer noch überzeugt von der Radiosynoviorthese. Thomas Langenegger, Chefarzt der Klinik Adelheid in Unterägeri ZG, sagt: «Es gibt keine Studien, die zeigen, dass die Radiosynoviorthese Krebs verursacht.» Manche Patienten, bei denen Medikamente und Kortisonspritzen nichts nützen, könne man nur mit der Radiosynoviorthese behandeln: «Die beste Wirkung erzielt man im Kniegelenk.»
Doch auch Langenegger räumt ein, dass die Spritzen nicht immer wirken. «Die Erfolgsquote liegt zwischen 60 und 80 Prozent», erklärt er. Zudem sei die Rückfallrate relativ hoch. Zeige die Radiosynoviorthese keine Wirkung, dürfe man sie aber nicht mehrmals nacheinander im gleichen Gelenk anwenden. «Sonst ist das Risiko von Nebenwirkungen zu gross», sagt Langenegger.
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