Für Säuglinge kann Keuchhusten lebensgefährlich werden. Gerade in den ersten Lebensmonaten sind sie noch nicht gegen den Erreger geschützt. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) will dem abhelfen. Es empfiehlt allen 25- bis 29-Jährigen, die sich Kinder wünschen, sich gegen den Erreger impfen zu lassen. Für die Behörde ist klar: «Nur auf diese Weise kann der optimale Schutz der gesamten Bevölkerung erreicht werden», schreibt sie in einer Mitteilung.
Bereits bei der Grippe hatte die Behörde mit einem Appell an die Solidarität die Menschen überzeugen wollen, sich impfen zu lassen. Aber das Konzept hat nicht gegriffen: «Der Impftrend ist generell rückläufig», heisst es im Bericht des Bundesamtes über die Impfrate der letzten vier Jahre.
«Ziele grösstenteils deutlich verpasst»
Bei den Risikogruppen, zu denen über 65-jährige, Chronischkranke, Schwangere und Säuglinge gehören, hatte sich nur etwas über die Hälfte impfen lassen. Als besonders unwillig gilt das Pflegepersonal, Spitalärzte eingeschlossen. Am Universitätsspital Zürich liess sich zum Beispiel nur ein Drittel der Ärzte impfen. Das Bundesamt musste zugeben: «Ziele grösstenteils deutlich verpasst.»
Das verwundert nicht. Viele Fachleute halten es für fragwürdig, Menschen mit moralischem Druck von einer Impfung überzeugen zu wollen. Für den Zürcher Kinderarzt Pierre Schneider ist klar: «Jeder muss sich selber für oder gegen eine Impfung entscheiden können – und diese Entscheidung dann auch selber tragen.» Wenn man aber jemandem zu einer Impfung rate, dann sei es unerlässlich, zuvor vollständig über die Risiken zu informieren.
Der Luzerner Arzt und Homöopath Peter Respondek schliesst sich dem an: «Jeder sollte die Freiheit haben, selber zu entscheiden.» Denn jeder Entscheid zu einer Impfung sei eine persönliche Sache.
Keuchhusten ist gar nicht auszurotten
Experten zweifeln zudem an der Wirkung der Impfstoffe. Martin Hirte, Münchner Kinderarzt und Impfexperte, kritisiert, es lasse sich nicht belegen, dass die Impfung von Erwachsenen die jungen Säuglinge schütze oder sonst einen Nutzen habe. Der Keuchhusten sei mit den Impfstoffen, die auf dem Markt sind, gar nicht auszurotten. Ähnlich sieht das der Berner Hausarzt Peter Klein: «Die Impfung der Kleinkinder und Erwachsenen gegen Keuchhusten ist zu wenig wirksam, um damit die Verbreitung des Krankheitserregers entscheidend verringern zu können.»
Für Hirte und Klein ist es effizienter und sinnvoller, gezielt Eltern, Geschwister oder Grosseltern von Säuglingen gegen Keuchhusten zu impfen als alle jungen Erwachsenen.
Zudem haben Impfungen oft Nebenwirkungen. Gerade bei der Impfung gegen den Keuchhusten bemängeln Ärzte, dass Langzeitstudien fehlten. Laut der Packungsbeilage kann sie das Nervensystem schädigen.
Das BAG schreibt in seiner Stellungnahme, mehrere Studien hätten gezeigt, dass es meistens die Eltern oder Geschwister seien, die die Säuglinge ansteckten. Geimpfte Personen würden das Bakterium hingegen kaum oder gar nicht mehr übertragen. Wenn sich nun alle 25- bis 29-Jährigen gegen Keuchhusten impfen lassen sollen, so sagt das BAG, sei sichergestellt, dass sie geimpft sind, bevor sie ihre ersten Kinder erwarteten: «Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Impfung schlicht vergessen geht.» Die neueren Impfstoffe gegen Keuchhusten sind laut dem BAG sicher und weisen sehr wenig Nebenwirkungen auf.
Der Appell an die Solidarität sei auch nicht als Druckmittel zu verstehen, schreibt das Bundesamt, sondern als weiteres Argument für eine Impfung: «Wenn sich nahe Kontaktpersonen impfen lassen, kann dies die beste und manchmal einzige Möglichkeit sein, Mitmenschen vor schweren Krankheitsverläufen zu schützen.» Eine Impfung sei daher in vielen Fällen auch ein Akt der Solidarität.
Neben moralischem Druck wollen die Behörden das Impfen jetzt auch mit Zwang durchsetzen. Der Nationalrat hat das revidierte Epidemiegesetz vor wenigen Tagen abgesegnet. Es soll den Bund ermächtigen, in bestimmten Situationen Impfen für obligatorisch zu erklären. Das bedeutet: Menschen der Risikogruppen sowie Medizin- und Pflegepersonal müssten mit Folgen rechnen, wenn sie sich gegen eine Impfung wehren.
Für Nikola Biller-Andorno, Direktorin am Institut für Biomedizinische Ethik der Universität Zürich, ist das nicht der richtige Weg: «Ein Impfzwang liesse sich sowieso nicht durchsetzen, denn wie soll ein urteilsfähiger Erwachsener gegen seinen Willen geimpft werden?» Besser sei eine Lösung, die Respekt und Vertrauen fördere und damit dem Einzelnen seine Entscheidungsfreiheit belasse, sagt sie. Biller-Andorno hält allerdings eine Impfpflicht in bestimmten Fällen für vertretbar, zum Beispiel für Mitarbeitende in einem Spital.
«Die Impffrage ist ein persönlicher Entscheid»
Auch die Berufsverbände des Pflegepersonals stehen dem neuen Gesetz kritisch gegenüber. Doris Güttinger, Geschäftsführerin des schweizerischen Hebammenverbands, sagt zwar: «Wir legen den Hebammen nahe, die Empfehlungen des BAG zu befolgen.» Am Ende solle aber jede Hebamme frei entscheiden können, ob sie sich impfen lassen wolle oder nicht, betont Güttinger.
Der Verband der schweizerischen Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner wiederum versteht und unterstützt die Empfehlungen des BAG, sagt Roswitha Koch von der Geschäftsstelle. Doch das Recht auf Selbstbestimmung für Pflegende sei zentral, heisst es in einem Grundsatzpapier des Verbands zur Grippeimpfung. Auch Koch sagt: «Die Impffrage ist ein persönlicher Entscheid und muss respektiert werden.» Sie räumt allerdings ein: «Bei schwerwiegenden Epidemien kann ein Obligatorium fürs Impfen sinnvoll sein.» Koch ist sicher, dass sich viele Pflegefachfrauen in einem solchen Fall impfen liessen.
Das Bundesamt beteuert, in der Schweiz werde niemand gegen seinen Willen geimpft. Daniel Koch, Leiter übertragbare Krankheiten beim BAG, sagt: «Ein Impfobligatorium ist auch nicht mit einem Impfzwang zu verwechseln.» Mit einer verbesserten Aufklärungsarbeit wolle man erreichen, dass medizinische Fachpersonen Impfungen besser akzeptieren. Es gehe vor allem darum, die Patienten zu schützen, so Koch.
Gerechtfertigt sei ein Obligatorium dann, wenn sich ein lebensgefährlicher Keim ausbreiten würde. Wie zum Beispiel der Erreger von Sars, der 2003 vor allem in China und Hongkong gewütet hatte. Weltweit hatten sich über 8000 Menschen mit dem Virus angesteckt, rund 800 starben. Ein vergleichbares Ereignis wie die Schweinegrippe-Pandemie 2009 würde hingegen kein obligatorisches Impfen erfordern und die normale Grippe sicher auch nicht, sagt Koch.
Das beurteilte Bundesrat Didier Burkhalter Ende November 2009 noch anders: «Ich bin der Meinung, man sollte da einen Zwang haben», sagte er vor den Medien, falls sich die Situation um die Schweinegrippe verschlimmern sollte.
Mehr Infos: Merkblatt impfen – Was Eltern wissen sollten.
Download unter www.gesundheitstipp.ch.
Sind Sie für oder gegen Zwang beim Impfen?
Der Gesundheitstipp befragte Passanten auf der Strasse
Julia Weber, 32, Zürich
«Jeder soll selber entscheiden, ob er sich impfen lassen will. Ein Impfzwang ist ein Eingriff in die persönliche Entscheidungsfreiheit. Ich habe mich zwar gegen die Schweinegrippe impfen lassen, weil mein Kind damals sehr klein war. Das würde ich heute nicht mehr tun. Es hat sich ja herausgestellt, dass das unnötig war.»
Bernadette Ludwig,73, Steffisburg BE
«Ich bin gegen einen Impfzwang. Es soll jedem selber überlassen sein, ob er sich impfen lassen will. Ich lasse mich jedes Jahr gegen die Grippe impfen. Früher hatte ich ein eigenes Geschäft und viel Kundenkontakt, deshalb hatte mir mein Arzt die Impfung empfohlen. Ich mache es auch aus Solidarität mit den Mitmenschen.»
Jean-Luc Forster,42, Zürich
«Man muss die Kosten und den Nutzen abwägen. Gegen schwere Krankheiten wie Tuberkulose oder Kinderlähmung ist ein Impfzwang sinnvoll – denn sie führen zu Langzeitschäden. Einen Impfzwang gegen Grippe finde ich gut fürs Spitalpersonal und für Menschen im Altersheim. Es ist aber schwierig, eine Grenze zu ziehen.»
Dagmar Meyer, 54, Aarau
«Ich bin dagegen. Vor einem Grippe-Erreger zum Beispiel kann man sich anders schützen: das Immunsystem stärken, indem man viel an die frische Luft geht und sich viel bewegt. Zudem hilft es, häufig die Hände zu waschen und im Tram und Zug nicht alles anzufassen. Ich bin aber keine Impfgegnerin, ich habe meine Kinder impfen lassen.»
Sara Hess, 23, Wila ZH
«Es wäre in Ordnung, wenn eine Impfung für gewisse Leute obligatorisch wäre. Aber nur, wenn sich dadurch eine Krankheit wirklich weniger ausbreitet. Ich würde mich aus Solidarität gegenüber meinen Mitmenschen auch impfen lassen. Gegen Grippe habe ich mich einmal impfen lassen – aber nur, weil meine Eltern es wollten.»
Robin Weil, 21, Hägendorf SO
«Ich bin dafür – aber nur gegen sehr ansteckende Krankheiten wie etwa Hepatitis B. Ausserdem müsste die Impfung wirklich etwas nützen. Wenn eine Epidemie ausbricht, wird ein Impfstoff unter Stress entwickelt. Die Langzeitfolgen sind dann meist nicht klar. Es müsste glaubwürdige Studien geben, die den Nutzen belegen.»
Catherine Seiler, 37, Zürich
«Ein Impfzwang ist erst sinnvoll, wenn der Erreger im Land grassiert und Menschen daran sterben. Aber dann würden sich die meisten wohl impfen lassen. Gegen Grippe habe ich mich noch nie impfen lassen. Die Impfung soll ja nicht vor allen Grippeviren schützen – man kann also trotz Impfung krank werden.»
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