Vor 50 Jahren bekamen Mädchen ihre erste Mens deutlich später als heute: Damals betrug das Durchschnittsalter bei der ersten Periode 12,5 Jahre. Heute liegt es bei 11,9. Das fanden Forscher der Harvard-Universität (USA) heraus. Sie hatten die Daten von über 70'000 Frauen verglichen, die über eine Smartphone-App Angaben zu ihrer ersten Periode gemacht hatten. Die Kinderärztin und Hormonspezialistin Stefanie Wildi aus Dübendorf ZH beobachtet diese Entwicklung auch in der Schweiz: «Der Trend zeichnet sich bei uns ebenfalls ab.»
Frühe Mens erhöht Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall
Das Problem: Wer beim Einsetzen der Periode sehr jung ist, hat ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten und bestimmte Krebsarten. 2019 zeigte eine Studie mit über 600 Teilnehmerinnen, dass Frauen, die früh die Periode bekamen, überdurchschnittlich gefährdet waren, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden. Zum gleichen Schluss kamen die Forscher auch, wenn sie andere Risikofaktoren ausschlossen.
Und im Jahr 2021 wiesen US-Forscher nach: Je später die Mens einsetzte, umso mehr sank das Risiko für Krebs in Gebärmutter und Blase, im Dickdarm sowie in Brust und Lunge.
Übergewicht ist eine der Hauptursachen
Die Studienautoren führen das frühe Einsetzen der Mens auf zwei Ursachen zurück: Übergewicht und Umweltgifte. Laut den Harvard-Wissenschaftern ist das Übergewicht in knapp der Hälfte aller Fälle für eine früh einsetzende Periode verantwortlich. Das berechneten sie anhand der Angaben zu Gewicht und Grösse der Teilnehmerinnen.
Ärztin Stefanie Wildi bestätigt: «Übergewicht bei Kindern hat zugenommen.» Die Folge: Die Knochen reifen schneller. Erreichen sie das biologisch richtige Alter, setzt die Pubertät ein. Dann beginnt der Körper, mehr Fett zu speichern. Mit der Zunahme der Fettreserven produziert der Körper mehr vom Sexualhormon Östrogen – und die Mens rückt näher.
Zweite Ursache für das frühe Einsetzen der Periode sind Umweltgifte: Dabei handelt es sich vor allem um Weichmacher, Pestizide und Schwermetalle. Diese stören das Hormonsystem sowohl bei Mädchen als auch Jungen. Umweltgifte stecken in unterschiedlicher Form in etlichen Alltagsgegenständen und können über die Haut, die Atemwege oder den Mund in den Körper gelangen.
Einige von ihnen wirken ähnlich oder gleich wie körpereigene Hormone und stören so Prozesse im Körper. Andere können die Rezeptoren im Körper blockieren, so- dass körpereigene Hormone nicht mehr andocken und ihre Wirkung nicht entfalten können. Weichmacher, auch Phthalate genannt, stecken in Plastikverpackungen, Bodenbelägen, Duschvorhängen, Gartenschläuchen, Kosmetika oder Gummistiefeln.
2021 zeigte ein «K-Tipp»-Test von Gummistiefeln, dass die Kindermodelle «Solognac Inverness 100» und «Dosenbach Cortina» am wenigsten Schadstoffe an den Körper abgaben («K-Tipp Wohnen» 3/2021). PVC-Vinylböden in Wohnungen sind ebenfalls oft mit Phthalaten belastet. Das ist für Kinder besonders riskant, da sie regelmässig am Boden spielen. Der Abrieb geht in die Raumluft und in den Wohnungsstaub über. Weichmacher sind ausserdem oft in Spielzeugen und Babyartikeln wie Beissringen enthalten.
Auch in vielen Kosmetika stecken Weichmacher. Diese sollen für eine cremige Textur sorgen. Manche Sonnencremes enthalten zudem chemische UV-Filter, die ins Blut gelangen können.
Heikle Stoffe stecken auch in Lebensmitteln
Auch über das Essen kommt man mit Schadstoffen in Kontakt. Plastikverpackungen von Lebensmitteln enthalten Phthalate. Weitere Materialien sind belastet: In Aludosen beispielsweise steckt die Chemikalie Bisphenol A, wie «Saldo» vor kurzem aufzeigte. Bei einem Test von zehn Thunfischprodukten fand das Labor in jeder Dose Bisphenol A («Saldo» 11/2024). Auch dieser Stoff beeinflusst das Hormonsystem Schwermetalle wie Quecksilber, Blei und Kadmium greifen ebenfalls in den Hormonhaushalt ein.
Quecksilber findet sich auch in Thunfisch. Es kann dem Nervensystem von Babys und Ungeborenen schaden. Schwangere sollten deshalb auf Thunfisch verzichten. Meeresfrüchte wie Muscheln und Crevetten und Fische wie Pangasius und Forellen sind weniger stark mit Quecksilber belastet («Saldo» 17/2023). Neben Schwermetallen findet man in Lebensmitteln oft auch Pestizide. Bauern verwenden diese, um Obst und Gemüse vor Insekten, Unkraut oder Pilzbefall zu schützen.
«K-Tipp» und «Saldo» wiesen in Tests von Lebensmitteln regelmässig Pestizidrückstände nach. Vor einem Jahr fand der «K-Tipp» zum Beispiel Pestizide in gefrorenen Beeren. In einigen Produkten wies das Labor Rückstände von bis zu acht Stoffen nach, von denen mehrere den Hormonhaushalt beeinflussen («K-Tipp» 7/2023). Besonders problematisch: Sie verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung. Die möglichen Folgen solcher Giftcockails sind bisher nicht geklärt.
«Mit Sport und dem richtigen Essen kann man viel bewirken»
Die gute Nachricht: Wer sich regelmässig bewegt und gesund isst, kann die Risikofaktoren reduzieren (siehe Kasten «So schützen Sie das Hormonsystem Ihres Kindes»). Für die Kinderärztin Stefanie Wildi steht fest: «Mit Sport und dem richtigen Essen lässt sich viel bewirken.»
Tipps: So schützen Sie das Hormonsystem Ihres Kindes
• Bewegen Sie sich oft zusammen mit Ihrem Kind, und kochen Sie ausgewogen.
• Kaufen Sie möglichst keine Lebensmittel, die in Plastik verpackt sind.
• Kaufen Sie Konserven in Glasbehältern statt in Dosen.
• Setzen Sie bei Fisch auf Pangasius, Forelle, Tintenfisch, Muscheln und Crevetten statt auf Thunfisch, Aal, Brasse und Dorsch.
• Bieten Sie Obst und Gemüse als Zwischenmahlzeit an. Wählen Sie Produkte in Bio-Qualität. Waschen Sie sie vor dem Essen.
• Verzichten Sie auf Geschirr und Spielzeug aus Plastik. Verwenden Sie für Kleinkinder Beissringe aus Holz.
• Verzichten Sie im Kinderzimmer auf PVC-Böden, oder legen Sie einen Teppich darüber.
• Lüften Sie die Wohnung regelmässig, und entfernen Sie Staub.
• Wählen Sie Kosmetika, die weder Parabene noch Phthalate enthalten.
• Verwenden Sie Sonnencreme mit einem mineralischen Filter wie Titandioxid oder Zink.