Poulet sei «vom modernen Speisezettel nicht mehr wegzudenken». Denn es sei sehr fettarm und ein «ausgeprägter Eiweisslieferant». Das schreibt der Verband der Schweizer Geflügelproduzenten in einem Werbetext. Das helle, faserige Fleisch scheint wie geschaffen für den Trend der leichten Küche. Deshalb essen die Schweizerinnen und Schweizer immer mehr davon. In den letzten zehn Jahren stieg der Konsum von neun auf zwölf Kilo pro Kopf.
Die Migros heizt den Trend zusätzlich an: Sie eröffnet neue «Chickeria»-Restaurants. Auf der Speisekarte: Poulet-Nuggets, Poulet-Flügeli, Poulet-Sandwichs. Das passe zum «wachsenden Gesundheitsbewusstsein» der Gäste, schreibt die Migros. Auch die Fastfood-Kette «Kentucky Fried Chicken» will in der Schweiz bald Lokale eröffnen.
Jetzt mehren sich die Zweifel, ob Pouletfleisch wirklich so gesund ist, wie die Produzenten behaupten. Punkto Nährwerte unterscheidet sich Poulet nicht gross von anderen Fleischsorten (siehe Tabelle). Zwar enthalten Teile wie die Pouletbrust tatsächlich wenig Fett, wenn man die Haut nicht isst. Doch Steffi Schlüchter, Beraterin bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung, sagt: Das sei kein Grund, um Poulet zu bevorzugen. «Der geringe Fettgehalt fällt nicht ins Gewicht, denn man sollte sowieso nicht jeden Tag Fleisch essen.»
Der Eisengehalt des Poulets ist tiefer als der von Lamm- oder Rindfleisch. Es sei unklar, ob das gut oder schlecht ist für die Gesundheit, sagt Präventivmediziner David Fäh von der Berner Fachhochschule. Wer viel Rind oder Lamm isst, könne sich mit Eisen überladen. Das erhöhe möglicherweise das Risiko für Krebs oder Rheuma. Wissenschaftlich erwiesen sei das aber nicht.
Dazu kommt: Viele Poulets sind mit schädlichen Keimen belastet. In einer Stichprobe des K-Tipp enthielt jedes dritte Poulet Campylobacter-Bakterien (K-Tipp 12/2012). Sie verursachen schweren Durchfall, Krämpfe und Fieber. Jedes Jahr stecken sich in der Schweiz 7000 bis 8000 Personen damit an – Tendenz steigend.
Resistente Keime in jedem zweiten Poulet
Ein Labortest des Gesundheitstipp ergab vor vier Jahren (4/2012): Jedes zweite Poulet enthält Bakterien, die gegen Antibiotika resistent sind. Die Keime machen zwar nicht sofort krank. Aber sie können gefährlich werden, wenn sie bei einer Operation oder bei einem Unfall in den Körper gelangen.
Um Infektionen zu vermeiden, muss man Poulet in der Küche als Risikofall behandeln: Damit die Bakterien nicht auf andere Lebensmittel übergehen, sollte man für Poulet immer separate Schneidebretter und Küchengeräte verwenden. Zudem muss man die Hände gut waschen, bevor man andere Speisen berührt.
Studie: Blutdruck bei Poulet-Essern erhöht
Eine neue Studie gibt zudem Hinweise darauf, dass ein hoher Poulet-Konsum dazu beiträgt, den Blutdruck zu erhöhen. Forscher der US-amerikanischen Harvard-Universität untersuchten die Gesundheitsdaten von rund 188000 Frauen und Männern. Dabei zeigte sich, dass Menschen, die viel Poulet oder rotes Fleisch essen, einen höheren Blutdruck haben.
Die Forscher vermuten, dass beim Braten Stoffe entstehen, die den Blutdruck erhöhen. Zudem wiesen spanische Forscher letztes Jahr nach, dass sowohl Rind- und Schweinefleisch wie auch Poulet Chemikalien enthalten, die Krebs erregen. Bei einem Labortest fanden die Wissenschafter Pflanzenschutzmittel und Weichmacher im Fleisch.
Die Ernährungsberaterin Steffi Schlüchter fasst zusammen: «Pouletfleisch hat keine besonderen Vor- oder Nachteile gegenüber anderen Fleischsorten.» Es seien keine Stoffe drin, die die Gesundheit fördern. Schlüchter rät, zwischen verschiedenen Fleischsorten abzuwechseln: «So kann man von den Vorteilen der einzelnen Sorten profitieren und ihre Nachteile verringern.» Der Präventivmediziner David Fäh sagt: «Man sollte auf die Qualität achten – nach dem Motto: Lieber seltener Poulet, dafür solches von Hühnern aus guter Haltung.» Die Stichprobe des Gesundheitstipp (4/2012) zeigte: Bio-Ware enthält am wenigsten resistente Keime.
Poulet in Bouillon ziehen lassen
Die Zürcher Ernährungsberaterin Maria Imfeld empfiehlt, Poulet in Bouillon oder in einem Sud zu pochieren: «So braucht man kein Fett.» Gerne bereitet sie Pouletbrust auch als Paillard zu. Dabei schneidet man das Fleisch waagrecht ein, klappt es auseinander und klopft es flach, so dass ein dünnes Schnitzel entsteht. Dieses müsse man nur kurz braten, so dass es nicht trocken wird. Hingegen rät Imfeld von frittierten Poulet-Nuggets ab: «Sie enthalten viele Kalorien.»
Die Branchenorganisation Proviande sagt zur Kritik der Wissenschafter: Es sei nicht möglich, zu sagen, ob der Fleischkonsum die Ursache hohen Blutdrucks sei. Lebensmittel ohne chemische Rückstände seien «fast eine Illusion». Denn ziemlich überall liessen sich Spuren von Chemikalien nachweisen. Rohe Lebensmittel wie Poulet könnten von Natur aus mit Keimen belastet sein. Wenn man sie richtig zubereite, könne man sie gefahrlos essen.
Die Anzahl Hühner pro Betrieb sei verbindlich geregelt. Massentierhaltungen gebe es in der Schweiz nicht. Das stimmt jedoch nicht: Die entsprechende Verordnung erlaubt bis zu 27000 Hühner pro Betrieb, solange sie den 28. Masttag nicht überschritten haben.