Die neue Greencity-Siedlung in Zürich-Wollishofen gilt als umweltfreundliches Vorzeigeprojekt. Der Strom für die 740 Wohnungen kommt aus Solarzellen. Mitten in der Siedlung hält die Sihltalbahn. Das wirkt sich jedoch wenig umweltfreundlich aus: Die Wohnungen neben der Bahnlinie sind massiv mit Elektrosmog belastet. Das zeigen Messungen des Gesundheitstipp in Zusammenarbeit mit dem Zuger Elektrosmog- Fachmann Adrian Nussbaumer.
In der Wohnung von Brigitte Peterhans mass der Gesundheitstipp Spitzenwerte bis 2200 Nanotesla (siehe Grafik im PDF). In der Nachbarswohnung zeigte das Messgerät sogar Spitzen bis 3050 Nanotesla. So hohe Werte gefährden die Gesundheit.
«Diese Werte geben mir ein ungutes Gefühl»
Brigitte Peterhans ist im August in die Greencity eingezogen. «Ich bin nicht ängstlich», sagt die 53-Jährige. «Aber diese Werte geben mir ein ungutes Gefühl.» Zwar habe sie keine gesundheitlichen Probleme. «Doch ich würde es mir gut überlegen, hier Kinder grosszuziehen.»
Insgesamt liess der Gesundheitstipp zwölf Wohnungen in verschiedenen Schweizer Städten ausmessen. Den höchsten Wert wies er auf dem Balkon einer Wohnung in Bern nach, die wenige Meter neben den vierspurigen Gleisen in Bahnhofsnähe liegt: 9400 Nanotesla. Auch der in Bern gemessene Mittelwert von 2100 Nanotesla ist doppelt so hoch wie der Grenzwert des Bunds von 1000 Nanotesla.
Elektrosmog-Fachmann Peter Schlegel aus Egg ZH sagt dazu: «Das ist happig. Ich würde niemandem empfehlen, an einer so stark belasteten Lage zu wohnen.» Studien zeigen: Ab einer Langzeitbelastung von 400 Nanotesla ist das Leukämierisiko bei Kindern doppelt so hoch. Elektrosensible Menschen bekommen Kopfweh und schlafen schlecht.
In Schlieren ZH überschreiten die SBB den Grenzwert ebenfalls: Direkt an der vierspurigen Schnellzuglinie stellte der Gesundheitstipp einen Mittelwert von 1110 Nanotesla fest. Die Spitzenwerte sind siebenmal so hoch. «Das macht mir Sorgen», sagt ein Wohnungseigentümer, der anonym bleiben möchte. Er fasst einen Umzug ins Auge.
Hohe Spitzenwerte auch in St. Gallen und Thun
An anderen Orten wie Thun BE und St. Gallen ergaben die Messungen hohe Spitzenwerte von 4900 bis 7600 Nanotesla. Experte Nussbaumer sagt: «Empfindliche Menschen sollten nicht so nahe an einer Bahnlinie wohnen.» Dabei setze man sich einer starken Belastung aus. Baubiologen empfehlen, dass der Elektrosmog in Schlafzimmern 20 Nanotesla nicht übersteigen sollte.
Die Messungen des Gesundheitstipp bestätigen: Mit zunehmendem Abstand zur Bahnlinie vermindert sich die Belastung stark. In 10 Metern Entfernung ist sie um ein Fünftel geringer.
Es gibt zwar technische Schutzmassnahmen, doch sind sie für Private kaum bezahlbar. Die Luzerner Staatsanwaltschaft liess vor ein paar Jahren ihre neben einer Bahnlinie liegenden Büros mit Metallplatten auskleiden. Kosten: 400000 Franken. Doch der Nutzen dieser Massnahme sei gering, sagt Adrian Nussbaumer: «Der Elektrosmog kommt dennoch zum Fenster herein.» Wirksamer ist ein Gerät, das störende Magnetfelder aufhebt, indem es ein zweites, künstliches Magnetfeld aufbaut. Es reduziert den Elektrosmog laut Nussbaumer um 80 bis 90 Prozent, kostet aber 20000 bis 30000 Franken.
Bei den Schweizerischen Bundesbahnen heisst es, man überwache die Situation «seit vielen Jahren» und setze alles daran, den Grenzwert einzuhalten. Die SBB hätten bei ihren Fahrleitungen Rückleiter eingebaut. Mit dieser Massnahme seien die gesetzlichen Auflagen erfüllt, selbst wenn damit der Grenzwert nicht eingehalten werden könne.
Armin Hehli, Direktor der Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn, sagt, seine Bahn halte den Grenzwert ein.
Zwar liegen die vom Gesundheitstipp gemessenen Spitzen weit darüber. Doch die Schweizer Bahnen profitieren von einer Sonderregelung: Für sie sind nicht Spitzenwerte entscheidend, sondern der während 24 Stunden gemessene Mittelwert. Und der beträgt gemäss den Messungen in der Zürcher Greencity nur 200 Nanotesla. Denn nachts fahren auf der Sihltal-Bahnstrecke keine Züge.