Die 40-jährige Renate Huber (Name geändert) aus Steinen SZ machte eine harte Zeit durch. Sie verlor wegen gesundheitlicher Probleme ihren Job. Hinzu kam, dass sie eine unglückliche Liebesbeziehung führte. Wenn sie mit Kolleginnen darüber sprach, habe man sie oft nicht ernst genommen, sagt Huber. «Es kam mir vor, als seien sie nur in guten Zeiten für mich da.» In ihrer Verzweiflung wählte Huber die Nummer der Dargebotenen Hand. «Ich wollte loswerden, was mir auf der Seele lag.»
Mehrere Jahre lang liess sie sich dort immer wieder unterstützen. «Meistens rief ich kurz vor Mitternacht an, nachdem ich stundenlang geweint hatte», erinnert sie sich.
Seelsorgedienste sind kostenlos
Seelsorgedienste wie die Dargebotene Hand können in Krisen eine wertvolle Hilfe sein. Die Notfallpsychologin Anne-Lise Schneider aus Zürich sagt: «Es sind gute Angebote für Leute, die jemanden zum Reden brauchen.» Denn die Dienste sind kostenlos, Anrufer bezahlen den normalen Telefontarif. Die Hürden für solche Anlaufstellen sind klein. Schneider: «Das Handy hat man ja fast immer dabei.» Studien zeigen, dass die telefonische Seelsorge helfen kann.
Im Jahr 2007 analysierten US-Forscher die Protokolle von über 300'000 Telefonaten der nationalen Krisenhotline mit Leuten im Alter von 10 bis 89 Jahren. Die Forscher stellten fest, dass die Anrufer nach Gesprächen ruhiger, zuversichtlicher und entschlossener waren als zuvor. 2021 werteten australische Forscher 52 Fachartikel aus, die sich mit Notfallnummern für Jugendliche beschäftigten. Auch sie kamen zum Schluss, dass die Gespräche den Anrufern nützten.
Anrufer können anonym bleiben
Der Psychologe Henri Guttmann aus Winterthur ZH bestätigt: «Wer über eigene Probleme redet, fühlt sich damit weniger allein.» Das könne helfen, eine Situation besser zu ertragen, auch wenn man keine Lösung finde. Die Mitarbeiter sind geschulte Zuhörer. Werden sie mit Problemen konfrontiert, sind sie weniger schnell überfordert als das persönliche Umfeld. «Die Mitarbeiter kommen nicht direkt mit einfachen Lösungen», sagt Guttmann.
Ein weiterer Vorteil der Hotlines: «Man kann anonym anrufen», wie Notfallpsychologe Michael Freudiger aus Winterthur ZH erklärt. Die Anrufer können am Telefon also auch sehr belastende oder intime Dinge erzählen. In der Schweiz gibt es mehrere Angebote von Telefonseelsorgediensten. Ein Vergleich des Gesundheitstipp zeigt: Nicht alle Angebote eignen sich bei akuten Krisen (siehe Tabelle).
Die Dargebotene Hand ist rund um die Uhr erreichbar, also auch nachts. Hilfesuchende können sich mit jeglichen Problemen und Krisen an die Hotline wenden. Manchmal komme es zu Wartezeiten, berichtet Renate Huber: Einmal habe die diensthabende Person gerade ein Gespräch geführt und sie gebeten, 15 Minuten später nochmals anzurufen. «Dann fühlte ich mich noch mehr allein», sagt Huber.
Auch bei der Dargebotenen Hand kann man anonym anrufen, selbst bei Suizidgedanken. Stellenleiter Matthias Herren sagt: «Die meisten Anrufer möchten über ihre Gedanken sprechen, ohne dass jemand interveniert.»
Einige Dienste sind Gesprächspartner bei Alltagssorgen
Der Dienst Mein Ohr für dich richtet sich an Anrufer ab 16 Jahren. Das Angebot ist für Leute gedacht, die lediglich über ihre Alltagssorgen sprechen möchten, also nicht in einer Krise stecken. Co-Projektleiter Philippe Goetschel sagt: «Wir bieten eine Kontaktmöglichkeit für Leute, die gerade niemanden zum Reden oder Plaudern haben.» Die Hotline Malreden richtet sich an Senioren. Auch sie ist nicht für akute psychische Krisen gedacht, sondern eher für Alltagssorgen und bei Einsamkeit. Co-Geschäftsleiterin Eve Bino sagt: «Wir helfen, indem wir zuhören.»
Beim Sorgentelefon für Kinder finden Minderjährige nachmittags an Werktagen ein offenes Ohr. Die Mitarbeiter können bei Problemen in der Schule oder mit der Familie, bei Geldsorgen, Mobbing oder Zweifel bei der Berufswahl beraten. Bei Gefahr für Leib und Leben benachrichtigen sie die Polizei. Ein ähnliches Angebot gibt es von Pro Juventute. Dort können Kinder und Jugendliche bis zum Alter 25 rund um die Uhr anrufen. Auch hier verständigen die Mitarbeiter die Polizei, wenn sie sich Sorgen um die Sicherheit der Anrufer oder Dritter machen.
Sie haben ein abgeschlossenes Studium in Psychologie, Sozialpädagogik oder sozialer Arbeit. Neben den vom Gesundheitstipp verglichenen Diensten gibt es auch religiöse seelsorgerische Angebote. Diese sind unterschiedlich organisiert. Ein mit der Dargebotenen Hand vergleichbarer Dienst ist die Muslimische Seelsorge, erreichbar rund um Uhr über Tel. 043 205 21 29. Sie steht gemäss eigenen Angaben allen Konfessionen offen. Kirchgemeinden haben meistens einen eigenen Seelsorger.
Adressen findet man bei den Kirchgemeinden im Internet. Auch diese Dienste stehen allen Konfessionen offen. Der Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen bietet in der Deutschschweiz Seelsorge für Juden an, die keiner Gemeinde angehören.