Wenn jemand den Mund verzieht oder mit den Händen gestikuliert, muss ich das nachäffen. Ich ahme auch Tiere nach. Mal krähe ich wie ein Rabe oder belle wie ein Hund. Es passiert einfach, ich kann es nicht kontrollieren. Mein Tourette-Syndrom äussert sich in motorischen Tics oder obszönen Gesten. Zum Beispiel kommt es vor, dass ich einem Polizisten den Mittelfinger zeige. Deswegen musste ich auch schon mit auf den Posten. Zwar klärt sich die Situation dann meist – trotzdem ist es mir unangenehm.
Die Diagnose Tourette erhielt ich erst vor vier Jahren. Das war für mich eine riesige Erleichterung. Endlich fand ich Antworten auf meine Fragen. Denn ein Sonderling war ich schon immer. Als Kind galt ich als Zappelphilipp, den die Lehrer von der Klasse trennten oder vor die Tür stellten. Schon damals sagte ich: Ich mache das nicht absichtlich. Doch man glaubte mir nicht. Mit der Pubertät verstärkten sich meine Tics. Wenn ich ein rohes Ei sehe, muss ich es an die Wand werfen oder draufschlagen.
Ich kann auch keinen Schlagrahmbläser stehen lassen, ohne damit herumzuspritzen. Meine Freunde und die Familie haben Verständnis für meine Krankheit. Schlimmer ist es, wenn ich unterwegs bin und mich nicht kontrollieren kann. Viele Leute schauen mich dann komisch an. Im besten Fall denken sie wohl, der hat einen Vogel, und gehen einfach weiter. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Auseinandersetzung. Ich habe auch schon Schläge kassiert. Einmal flog ich aus einem Restaurant, weil ich Gäste nachgemacht hatte.
Ich arbeite in einer geschützten Arbeitsstätte als Hauswart. Dort bin ich unter Leuten, die körperlich oder geistig beeinträchtigt sind. Die Arbeit gefällt mir, weil ich da nicht auffalle. Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt. Seit vier Jahren bin ich in einer Beziehung. Mein Partner unterstützt mich sehr. Aber natürlich ist es auch ihm unangenehm, wenn ich in der Öffentlichkeit diese Aussetzer habe. Inzwischen sieht er mögliche Auslöser für Aussetzer voraus. Dann sagt er: Wehe, du machst jetzt etwas.
Allerdings kann ich meine Tics kaum unterdrücken. Ab und zu gelingt mir das für kurze Zeit, indem ich die Luft anhalte. Aber dann bricht es trotzdem aus mir heraus. Ich frage mich schon seit langem, warum ich mich so verhalte. Meine Tics fühlen sich immer noch fremd an – als ob sie nicht zu mir gehörten. Deshalb machte ich schon mehrmals eine Therapie. Ich führe auch Tagebuch über die Tics und habe immer wieder nach der Ursache gesucht. Ausser dass es bei den Aussetzern oft um etwas «Unanständiges» geht, fand ich allerdings keine schlüssige Erklärung.
Tourette-Patienten ecken oft an
Patienten mit dem TouretteSyndrom haben Tics und Aussetzer. Sie bewegen sich unwillkürlich oder stossen ungewollt Laute aus. Die Krankheit ist angeboren und betrifft das Nervensystem. Forscher vermuten, dass die Botenstoffe im Gehirn im Ungleichgewicht sind. Wenn eine Psychotherapie oder Entspannungstechniken nicht helfen, erhalten Patienten oft das Medikament Haldol.
Infos: Tourette-Gesellschaft, www.tourette.ch