Aging-Male-Syndrom
Im Herbst 2002 erfanden deutsche Pharmafirmen eine neue Krankheit: Sie warnten, zwei von drei Männern würden stark unter «Wechseljahren» leiden, verursacht durch einen Testosteronmangel. Die Folgen für die Betroffenen seien Schlafstörungen, schlechte Knochen oder sexuelle Unlust. Gegen die Beschwerden priesen die Pharmakonzerne neuartige Hormon-Gels an.
Tatsache ist:
Es gibt keinen Beweis dafür, dass sinkende Testosteronwerte im Alter zu Beschwerden führen. Zudem: Nur 2 bis 5 Prozent aller Männer leiden unter einem krankhaften Hormonmangel.
Hyperhidrose
Privatkliniken behaupten, zahlreiche Menschen würden an krankhaftem Schwitzen leiden, der sogenannten Hyperhidrose. Betroffene hätten grosse Nachteile im Privatleben und am Arbeitsplatz. Als Gegenmittel preisen die Kliniken teure Eingriffe an: Sie spritzen den Patienten Botox in Achseln, Hände, Füsse und andere Körperteile oder saugen die Schweissdrüsen vollständig ab.
Tatsache ist:
Schwitzen ist keine Krankheit, sondern ein natürlicher Vorgang. Krankhaftes Schwitzen kommt sehr selten vor: Nur einer von hundert Menschen leidet daran.
Soziale Phobie
Ende der 1970er-Jahre gründete ein US-Psychologe eine «Schüchternheitsklinik». Einige Jahre später griff ein Schweizer Medikamentenhersteller das Thema auf und behauptete: Jeder zehnte Mensch leidet an krankhafter Schüchternheit, der sozialen Phobie. Ein gestörter Stoffwechsel im Gehirn sei der Grund dafür. Mit Antidepressiva könne man diese Störungen gut heilen.
Tatsache ist:
Nur zwei bis drei von hundert Menschen haben so starke Angst vor sozialen Kontakten, dass sie eine Psychotherapie und Medikamente brauchen.
Sissi-Syndrom
1998 schaltete eine deutsche Pharmafirma Inserate, in denen sie das «Sissi-Syndrom» als neue Form der Depression beschrieb. Betroffene würden versuchen, ihre innere Leere mit übermässiger beruflicher und sportlicher Aktivität zu überspielen. Die österreichische Kaiserin Elisabeth, auch «Sissi» genannt, habe an dieser Krankheit gelitten. Das Syndrom könne man mit Antidepressiva bekämpfen.
Tatsache ist:
Eine Untersuchung deutscher Psychologen zeigte: Das Sissi-Syndrom existiert nicht als eigenständige Krankheit. Die Fachleute kamen zum Schluss, dass die Pharmafirma das Krankheitsbild erfunden hatte.
Paradies-Depression
Ein Psychotherapeut, der auf Ibiza lebt, beschrieb 2002 in einem Fachartikel erstmals die sogenannte Paradies-Depression. Geplagt von der Krankheit seien Rentner, die aus Nordeuropa nach Ibiza ausgewandert seien. Viele von ihnen seien deprimiert und würden ihr Leben auf der sonnigen Mittelmeerinsel als sinnlos empfinden. Psychiater verschreiben den Betroffenen seither oft Antidepressiva.
Tatsache ist:
Etwa jeder Dritte gerät nach der Pensionierung in ein seelisches Tief. Das ist keine Krankheit, sondern eine normale seelische Reaktion. Ein neues Hobby oder eine ehrenamtliche Tätigkeit hilft meistens.
Prämenstruelle dysphorische Störung
Erst seit zwei Jahren ist die prämenstruelle dysphorische Störung im Psychiatrie-Handbuch DMS als eigenständige Krankheit aufgeführt. Als Symptome gelten Reizbarkeit, Angst, Schlaf- und Appetitstörungen sowie Kopfschmerzen und herabgesetzte Leistungsfähigkeit. Pharmafirmen vermarkten auf der ganzen Welt Medikamente gegen die Störung.
Tatsache ist:
Stimmungsschwankungen vor der Menstruation sind so alt wie die Menschheit. Nur 2 bis 5 Prozent aller Frauen haben jedoch schwere Symptome.
Reizdarm-Syndrom
Im Jahr 2002 gelangte ein geheimes Papier an die Öffentlichkeit. Es zeigte, wie eine internationale Public-Relations-Agentur versuchte, das Reizdarm-Syndrom als sehr verbreitete, schwere Krankheit darzustellen. Mit einem grossen, auf drei Jahre angelegten «Erziehungsprogramm» versuchte die Agentur, Apotheken, Ärzten und Betroffenen einzutrichtern, dass ein neues Medikament Abhilfe schaffen könne.
Tatsache ist:
Drei Viertel der Bevölkerung haben ab und zu Bauchweh, Durchfall und Blähungen. Nur einer von hundert Menschen hat so starke Darmbeschwerden, dass eine ärztliche Behandlung nötig ist.
Anpassungsstörung
1980 tauchte die «Anpassungsstörung» erstmals im psychologischen Psychiatrie-Handbuch DMS auf. Diese Krankheit entstehe oft nach belastenden Ereignissen wie Scheidung, Todesfällen im sozialen Umfeld oder bei beruflichen und finanziellen Problemen. Betroffene leiden unter Depression, Angst, Sorgen, Ärger und Anspannung. Ärzte verschreiben ihnen oft Beruhigungsmittel oder Antidepressiva.
Tatsache ist:
Trauer und Sorgen nach belastenden Ereignissen sind eine normale Reaktion. Nur 1 bis 2 Prozent der Betroffenen brauchen psychiatrische Hilfe oder Medikamente.