Stefanie Krauer (Name geändert) geht gerne ins Fitnessstudio. Seit sie ihren Sohn auf die Welt gebracht hat, wird es ihr im Training manchmal peinlich. «Beim Seilspringen mache ich in die Hose», sagt die 41-Jährige.
Krauer leidet unter einer leichten Inkontinenz. Wie ihr geht es vielen Frauen. Vor allem mit zunehmendem Alter wird Inkontinenz ein Problem. Eine Gesundheitsbefragung des Bundes 2012 zeigte: Jede fünfte Frau über 65 Jahren hat Mühe, den Harndrang zu kontrollieren. Der Grund dafür sind schwache Muskeln des Beckenbodens. Diese befinden sich rund um den Scheideneingang und den Anus.
Verkäufer bieten verlockend einfache Lösungen an: Trainingsgeräte, die angeblich automatisch zu einem stärkeren Beckenboden führen. Beispiel «Elanee-Konen»: Das sind Kugeln mit einem Bleikern, die wie ein Tampon geformt sind. Sie wiegen 20 bis 70 Gramm. Frauen schieben sich die Kugeln in die Scheide. Das Wirkprinzip: Damit die Kugeln nicht aus der Scheide gleiten, müssen die Beckenbodenmuskeln aktiv werden. Kosten der Elanee-Konen: etwa 40 Franken. Die Firma Grünspecht Naturprodukte wirbt, damit könne man das Beckenbodentraining «ganz nebenbei im Alltag integrieren».
Ähnlich soll der «Kegelsmart» der Firma Lelo wirken. Er hat zusätzlich einen Sensor, der die Muskelstärke messen könne. Lelo schreibt, der «Kegelsmart» sei eine «Revolution» und mache das «Beckenbodentraining extrem leicht». Kostenpunkt: 128 Franken.
Das Unternehmen Parsenn-Produkte bietet das Gerät «Elpha 4 Conti» an. Es stimuliert die Beckenbodenmuskeln mit elektrischem Strom. Die Frauen führen Elektroden in die Scheide oder den Anus ein. Das Unternehmen schreibt, Frauen hätten «Erfolge nach zwei bis acht Wochen». Kosten: rund 350 Franken.
Fachärzte raten von solchen Produkten ab. Rüdiger Mascus, Leiter des Blasen- und Beckenbodenzentrums am Kantonsspital Baden, sagt: «Es fehlen Studien, die belegen, dass diese Geräte Beckenbodenübungen überlegen sind.» Es sei allerdings denkbar, dass zum Beispiel Kugeln einigen Frauen helfen könnten. «Denn häufig spüren sie dank solcher Geräte erst, wo ihr Beckenboden überhaupt ist.»
Studie: Tägliches Training hilft
Es gebe aber kein Beckenbodengerät, dass die Inkontinenz heilen könne, sagt Mascus. Vielmehr müsse eine Frau selbständig Beckenbodenübungen machen – ohne zusätzliche Hilfen. Die Deutsche Kontinenz Gesellschaft kommt zum gleichen Schluss. Beim Beckenbodentraining kräftigen Frauen ihre Muskeln rund um die Scheide.
Wie gut solche Übungen wirken, zeigt eine Übersichtsstudie des unabhängigen Netzwerkes Cochrane aus dem Jahr 2014. Die Forscher hatten über 1000 Patientinnen mit Inkontinenz verglichen. Die Hälfte der Frauen machte ein Beckenbodentraining, die andere Hälfte nicht. Das Resultat: Frauen, die täglich ihre Scheidenmuskeln trainierten, verloren weniger Urin und mussten weniger häufig auf die Toilette. Schöner Nebeneffekt: Sie genossen auch den Sex mehr. Denn je mehr der Beckenboden sich zusammenziehen und entspannen kann, desto intensiver ist der Orgasmus.
Um den Beckenboden zu trainieren, zieht man die Scheide zusammen, als würde man einen Tampon einsaugen. Das braucht Konzentration und Übung. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser hat für die Leserinnen sechs Übungen zusammengestellt (siehe Merkblatt). Bei Stefanie Krauer hat das funktioniert. Sie lernte in einer Physiotherapie Übungen, um den Beckenboden zu kräftigen. Zusätzlich trainierte sie eine Zeitlang zwei Mal pro Woche für jeweils zehn Minuten mit einem elektrischen Beckenbodengerät zu Hause. Mit Erfolg: «Danach konnte ich wieder problemlos seilhüpfen.» Allerdings hat Krauer die Übungen in letzter Zeit vernachlässigt. «Jetzt verliere ich wieder ein paar Tröpfchen beim Training.»
Hersteller: Geräte «als ergänzende Massnahme»
Die Firma Grünspecht schreibt, die «Elanee-Konen» würden wirken. Das zeige sich in der Praxis und sei wissenschaftlich belegt. Allerdings sind die entsprechenden Studien zehn bis zwanzig Jahre alt. Das Netzwerk Cochrane kam deshalb zum Schluss, es brauche mehr Studien, um den Nutzen zu belegen.
Die Firma Parsenn-Produkte sagt, das Training mit den Geräten sei im Rahmen einer Physiotherapie als ergänzende Massnahme zu empfehlen. Auch das Unternehmen Lelo rät, die Elektrogeräte unter professioneller Anleitung einzusetzen, um gute Behandlungserfolge zu erzielen.