Sie sei ungewollt schwanger geworden. Muttergefühle habe sie erst gespürt, nachdem sie die Abtreibungspille geschluckt hatte. Das sagt eine junge Frau in einem Video auf der Internetseite Rettet-mein-baby.ch. Dann habe sie bei der dort angegebenen Telefonhotline angerufen.
Hinter Rettet-mein-baby.ch steht die Stiftung Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind in Münchenstein BL. Präsident ist der ehemalige Seelsorger einer katholischen Pfarrei im Kanton Freiburg. Die Stiftung vermittelt Schwangeren Ärzte, damit die Frauen eine Abtreibung rückgängig machen können.
Die Ärzte verschreiben ihnen eine hochdosierte Therapie mit dem Hormon Progesteron. Dabei müssen die Frauen während dreier Monate mehr als 1,5 Gramm Progesteron pro Tag schlucken. Diese Methode sei «völlig unschädlich», behauptet die Stiftung.
Fachleute sind entsetzt. Die Frauenärztin Helene Huldi, Gründerin der Frauenpraxis Runa in Solothurn, sagt: «Die Progesterondosis ist extrem hoch.» Niemand kenne die Folgen für die Frauen und für die ungeborenen Kinder. Die Behandlung sei ein «Experiment mit unverantwortlich hohen Risiken».
Auch die Frauenärztin Dorin Ritzmann aus Dietikon ZH kritisiert die massive Überdosierung: «Mir scheint, dass hier mit der Not der Frauen ein übles Spiel getrieben wird.»
Frauen erlitten mit dem Hormon schwere Blutungen
Frauenärztinnen verschreiben Progesteron im Normalfall gegen Zyklus- und Menopausebeschwerden. Für das Rückgängigmachen von Abtreibungen ist es nicht zugelassen. Die Methode stammt von Abtreibungsgegnern in den USA. Dort ist sie bekannt als Abortion Pill Reversal, auf Deutsch: Rückgängigmachen der Abtreibungspille.
Forscher der University of California in Sacramento (USA) nahmen diese Rosskur unter die Lupe. Sie brachen ihre Studie ab, nachdem drei Frauen wegen schwerer Blutungen ins Spital gebracht werden mussten.
Die Forscher vermuten, dass die Blutungen eintraten, weil die Frauen die medikamentöse Abtreibung nicht zu Ende führten: Sie erhielten zwar das Abtreibungsmittel Mifegyne, nahmen danach aber kein Misoprostol ein. Dieses Mittel führt dazu, dass sich die Gebärmutter zusammenzieht und den Embryo ausstösst. Ärzte verschreiben es Frauen, die mit Mifegyne abtreiben möchten. Hinzu kommt: Frauen, welche die Wirkung von Mifegyne mit einer Hormontherapie rückgängig machen wollen, seien stark gefährdet, in eine psychische Krise zu geraten.
Das sagt der Zürcher Hausarzt David Winizki. «Diese Frauen brauchen dringend therapeutische Hilfe», sagt er. Meistens seien Beziehungsprobleme die Ursache für das Gefühlschaos der Frauen. Winizki rät ihnen, sich an eine weltanschaulich neutrale Beratungsstelle zu wenden.
Die Stiftung Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind teilt dem Gesundheitstipp mit, ihr Angebot richte sich an Frauen, die «umdenken und ihr Baby noch retten» wollen. Das Risiko von psychischen Krisen könne man nicht bestätigen. Die Ärzte der Stiftung würden entscheiden, ob sie den Frauen psychologische Hilfe verschreiben. Oft helfe ein Gespräch mit dem Arzt.
Schwangerschaft vorzeitig beenden: Das ist erlaubt
Verhüten nach dem Sex: Für das nachträgliche Verhüten bei ungeschütztem Sex sind in der Schweiz zwei Mittel zugelassen: Levonorgestrel (Norlevo und Generika) und Ulipristal (Ellaone und Generika). Frauen müssen die Mittel innert drei Tagen nach dem Geschlechtsverkehr einnehmen. Ein Vergleich der University of British Columbia (Kanada) zeigte, dass beide Mittel ähnlich gut wirken und gut verträglich sind. Auch eine Kupferspirale kann nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr eine Schwangerschaft verhindern. Frauenärzte müssen sie spätestens am fünften Tag nach dem Sex einsetzen.
Schwangerschaftsabbruch: Die medikamentöse Behandlung mit dem Mittel Mifegyne ist bis zum 49. Tag nach dem Beginn der letzten Periode zugelassen. 28 Stunden nach der Einnahme von Mifegyne müssen die Frauen zusätzlich ein Hormonpräparat mit Misoprostol schlucken. Mifegyne gibt es nur mit Arztrezept. Eine chirurgische Behandlung ist bis zur zwölften Schwangerschaftswoche erlaubt. Der Eingriff erfolgt unter Narkose oder örtlicher Betäubung mit einer Kanüle, über die der Inhalt der Gebärmutter abgesaugt wird.
Tipp: Das Portal Appella.ch liefert Beratung zu Verhütung, Schwangerschaft, Geburt, Kinderwunsch und Menopause. Und auf der Plattform Schwangerschaftsabbruch.org gibt es Infos zu Schwangerschaft und Abbruch sowie Adressen von Arztpraxen und Beratungsstellen.
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