Wie die Mobiliar einem Versicherten die Leistungen verweigert
Medizinische Gutachten fallen oft einseitig zugunsten der Versicherung aus. Die Versicherten kommen zu kurz. Zum Beispiel Hans Brefin.
Inhalt
K-Geld 1/2007
07.02.2007
Philipp Lütscher
Am 5. Oktober 2001 kam Hans Bre?ns Wagen von der Strasse ab, überschlug sich mehrmals und blieb auf einer Wiese stehen.
Bre?n erlitt eine Gehirnerschütterung, brach sich das linke Schlüsselbein, quetschte sich den Brustkorb und erlitt ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule. Der damals 53-jährige Basler lag 18 Tage im Kantonsspital Laufen.
Bre?n aus Burg im Leimental BL war selbständig erwerbend. Er besass eine Firma für technischen Support. 1995 hatte er sic...
Am 5. Oktober 2001 kam Hans Bre?ns Wagen von der Strasse ab, überschlug sich mehrmals und blieb auf einer Wiese stehen.
Bre?n erlitt eine Gehirnerschütterung, brach sich das linke Schlüsselbein, quetschte sich den Brustkorb und erlitt ein Schleudertrauma der Halswirbelsäule. Der damals 53-jährige Basler lag 18 Tage im Kantonsspital Laufen.
Bre?n aus Burg im Leimental BL war selbständig erwerbend. Er besass eine Firma für technischen Support. 1995 hatte er sich bei der Mobiliar gegen Unfall und Krankheit versichern lassen.
Die Unfallpolice versicherte ein Taggeld von 105 Franken während maximal 670 Tagen und eine Invalidenrente von 20 000 Franken jährlich bei unfallbedingter Erwerbsunfähigkeit.
Die Krankenpolice versicherte ebenfalls ein Taggeld, aber keine Invalidenrente bei krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit. Und sie hatte einen Vorbehalt: «Folgen von Alkoholismus sind von der Versicherungsdeckung ausgeschlossen.»
Wenige Tage nach seiner Entlassung aus dem Spital informierte Bre?n die Mobiliar über den Unfall. Die Unfallpolice zahlte nach der vereinbarten Wartefrist von 60 Tagen fortan während 670 Tagen ein Unfalltaggeld.
Bre?ns damalige Mobiliar-Sachbearbeiterin schrieb ihm zu Beginn der Zahlungen: «Obschon eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit attestiert wird, hoffen wir doch, dass es Ihnen Tag für Tag besser geht.»
Das war jedoch nicht der Fall. Bre?n leidet seit seiner Jugend unter Depressionen. Seine nach dem Autounfall anhaltend starken Schmerzen im Hals-Nacken-Bereich und die damit verbundene Arbeitsunfähigkeit verschlimmerten sein psychisches Be?nden.
Er verlor wegen der Existenzängste und der Schmerzen jegliche Hoffnung und hatte schwere Depressionen. In unregelmässigen Abständen trank er viel Alkohol, unterbrochen jeweils von mehrmonatigen Phasen totaler Abstinenz.
15 Monate nach seinem Unfall wurde er in die psychiatrische Klinik Sonnenhalde in Riehen eingeliefert, wo er fast drei Monate lang blieb.
Chirurgen-Fazit: Alles eine Folge des Alkohols
Ein halbes Jahr später, im Oktober 2003, stellte die Mobiliar ihre Zahlungen vertragsgemäss ein. Die Leistungsdauer für das Unfalltaggeld war abgelaufen.
Nun stellte sich die Frage, ob Bre?n neu Anspruch auf eine Invalidenrente aus der Unfallpolice hatte. Er hatte nach wie vor grosse Schmerzen im Halswirbel-Bereich und konnte höchstens eineinhalb Stunden arbeiten pro Tag. Oder hatte er Anspruch auf ein Krankentaggeld? Die Arbeitsunfähigkeit war ja wegen der Depressionen offensichtlich nicht mehr nur unfall-, sondern zumindest teilweise auch krankheitsbedingt.
Möglich wäre auch eine Kombination von Krankentaggeld und Invalidenrente gewesen, sofern sich seine Arbeitsunfähigkeit als teilweise krankheits- und teilweise unfallbedingt herausstellen sollte.
Für die Beantwortung dieser Fragen wandte sich die Mobiliar im Dezember 2003 an den Arzt Jürg Peyer, einen beratenden Arzt der Versicherungsgesellschaft. Er sollte ein Gutachten erstellen, das der Versicherung erlaubte, über die weiteren Zahlungen zu entscheiden.
Peyer sichtete das ihm zugestellte Dossier und machte der Mobiliar einen Vorschlag, wie sie die Zahlungen an den Versicherten künftig aufteilen sollte.
Die Mobiliar setzte die Empfehlungen ihres beratenden Arztes Peyer jedoch nie um. Raoul Nanzer, Leiter Personenversicherungen Mitte der Mobiliar, begründet diesen Entscheid: «Dr. Peyer hat in seinem Gutachten auf gewisse Informationslücken in den medizinischen Akten hingewiesen. In der Folge haben wir uns um die IV-Akten bemüht.»
Die Mobiliar bemühte sich aber keineswegs um die Akten der Invalidenversicherung. Sie unternahm gar nichts mehr. Bre?n selbst war in dieser Zeit psychisch nicht in der Lage, sich um seine Versicherung zu kümmern.
Er meldete sich erst im September 2004, also fast ein Jahr später, bei der Mobiliar und fragte, wie es nun weitergehe. Erst jetzt forderte die Mobiliar die IV-Akten an.
Zwei Monate später schrieb die Mobiliar ihrem Kunden: «Da sowohl krankheits- wie unfallbedingte Beschwerden vorliegen, haben wir die Unterlagen unserem beratenden Arzt zur Prüfung vorgelegt.»
Ein Jahr nach dem ersten Gutachten holte die Mobiliar also ein zweites Gutachten ein. Dieses Mal aber nicht mehr bei Peyer, obwohl dieser Bre?ns Krankengeschichte kannte und anhand der zusätzlichen Unterlagen sein Gutachten hätte anpassen können.
Neuer beratender Arzt war Max Kaufmann in Grenchen. Dazu Nanzer von der Mobiliar: «Es ist nicht aussergewöhnlich, dass in komplexen Fällen die Meinung eines zusätzlichen beratenden Arztes eingeholt wird.»
Chirurg Kaufmann kam zum Schluss: «Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist ausschliesslich durch die chronische Alkoholkrankheit bedingt. Unfallbedingt besteht eine Arbeitsunfähigkeit von 10 Prozent.» Die Mobiliar verweigerte jede weitere Zahlung.
Bre?n erhielt trotz seiner zwei Policen nichts mehr. Die Unfallpolice hätte eine Invalidenrente erst ab einer unfallbedingten Arbeitslosigkeit von 25 Prozent ausbezahlt. Und die Krankenpolice zahlte kein Taggeld, weil die Alkoholabhängigkeit Ursache für die Krankheit sei.
Bre?n, der in den vorangegangenen Jahren Patient zahlreicher Ärzte und Psychiater gewesen war, bat diese ihrerseits um Gutachten. Sie beurteilen den Fall einhellig und im krassen Widerspruch zum Gutachten von Max Kaufmann.
«Seine Arbeitsunfähigkeit hat nichts mit dem Alkohol zu tun», sagt Psychiaterin Melanie Kast in Allschwil, die Bre?n seit Mai 2003 zweimal pro Woche behandelt. «Vielmehr fördern die seit dem Unfall bestehenden chronischen Schmerzen und Konzentrationsstörungen, die fehlende berufliche Perspektive usw. in hohem Masse das depressive Geschehen. Sie erhöhen damit die Bereitschaft, auf sich ergebende Schwierigkeiten mit Alkoholkonsum zu reagieren.»
Der Alkohol ist laut Kast Folge, nicht Ursache des gesundheitlichen Problems. Schon Jürg Peyer, der erste beratende Arzt der Mobiliar, war zu diesem Schluss gekommen: «Der in der Krankenpolice vorgebrachte Alkoholismus-Vorbehalt kommt sicherlich nicht zum Tragen.»
Brefins Ärzte: Alkohol ist Folge, nicht Ursache
Ähnlich formuliert es die IV-Stelle Basel-Landschaft: «Die Sucht ist Folge der in der Kindheit beginnenden Entwicklung einer schweren Persönlichkeitsstörung.»
Genau gleich urteilt der Arzt Marc Vogel vom Kantonsspital Laufen: «Bre?n konnte aufgrund des Unfalls nicht mehr arbeiten. Die depressiven Verstimmungen nahmen zu und als Folge davon akzentuierte sich das Alkoholproblem.»
Wenn der von langen Pausen unterbrochene Alkoholkonsum aber tatsächlich Folge und nicht Ursache der Depressionen ist, kann er auch nicht Ursache für die Arbeitsunfähigkeit sein. Die Krankenpolice müsste ein Taggeld zahlen.
Und die Unfallpolice müsste eine Invalidenrente zahlen, sofern Bre?ns Arbeitsunfähigkeit zu mindestens 25 Prozent unfallbedingt wäre. Tatsache ist, dass Bre?n seinen Hals bis heute kaum bewegen kann.
«Aktuell bestehen wellenförmigbelastungsabhängige stechende, zum Teil krampfartige Schmerzen im Bereich der mittleren und unteren Halswirbelsäule», schrieb Ralph Lindner, leitender Arzt der Schmerzsprechstunde im Spital Laufen, Mitte Dezember 2006.
Und Bre?ns Hausarzt Walter Meier aus Rodersdorf hielt fest: «Objektiv besteht eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung des Kopfes bei degenerativen Veränderungen der Hals- und Brustwirbelsäule.»
Bre?n gab nicht auf. Er leitete die Gutachten an die Mobiliar weiter. Wieder vergingen Monate, in denen die Versicherung nicht auf telefonische und schriftliche Anfragen Bre?ns reagierte.
Erst nach einem Hinweis Bre?ns auf den K-Tipp kam erneut Bewegung in die Sache. Die Mobiliar beauftragte ihren beratenden Arzt Max Kaufmann mit einem weiteren Gutachten.
Eine Mobiliar-Mitarbeiterin schickte Kaufmann zwei Gutachten von Bre?ns Ärzten und schrieb im Begleitbrief unmissverständlich: «Ich gehe davon aus, dass die beiden Stellungnahmen nichts an Ihrem Bericht ändern werden.»
So war es denn auch. Kaufmann blieb bei seiner ersten Beurteilung. Die Mobiliar hat seither keinen Rappen mehr bezahlt.
Aufgepasst!
- Schliessen Sie bei einer grösseren Versicherungssumme eine Rechtsschutzversicherung ab.
- Ziehen Sie bei einer langdauernden Arbeitsunfähigkeit einen Anwalt bei.
- Wählen Sie einen Anwalt, der keine Versicherungen vertritt. Fragen Sie ihn danach.
Haben Sie auch schon schlechte Erfahrungen mit Versicherungen gemacht? Bitte schreiben Sie an: redaktion@kgeld.ch oder K-Geld, Wolfbachstrasse 15, Postfach 431, 8024 Zürich