Abnehmpille Acomplia: Entzaubertes Wundermittel
Die Diätpille Acomplia wurde als Wunderwaffe gegen Übergewicht angepriesen. Neuste Studien stellen ihre Wirkung aber in Frage.
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saldo 12/2007
27.06.2007
Letzte Aktualisierung:
02.11.2008
Andreas Grote
Als vor ein paar Jahren die Antifettpille Xenical und der Appetitzügler Reductil auf den Markt kamen, hatten sie einen schweren Stand: Der mit den Pillen zu erreichende Gewichtsverlust sei zu gering, um die möglichen Nebenwirkungen zu rechtfertigen, urteilten zahlreiche Kritiker. Trotzdem erachtete die Schweizer Arzneimittel-Zulassungsbehörde Swissmedic das Risiko als vertretbar. Und das Bundesamt für Gesundheit setzte die Arzneien auf die Spezialitätenliste. Das bede...
Als vor ein paar Jahren die Antifettpille Xenical und der Appetitzügler Reductil auf den Markt kamen, hatten sie einen schweren Stand: Der mit den Pillen zu erreichende Gewichtsverlust sei zu gering, um die möglichen Nebenwirkungen zu rechtfertigen, urteilten zahlreiche Kritiker. Trotzdem erachtete die Schweizer Arzneimittel-Zulassungsbehörde Swissmedic das Risiko als vertretbar. Und das Bundesamt für Gesundheit setzte die Arzneien auf die Spezialitätenliste. Das bedeutet, dass sie von der Krankenkasse bezahlt werden.
Im April nun erhielt auch das als bislang stärkste Abnehmwaffe angekündigte Mittel Acomplia des Herstellers Sanofi-Aventis die Zulassung in der Schweiz. Doch auch bei Acomplia gibt es zunehmend Bedenken von Expertenseite.
Nebenwirkungen von Depressionen bis zu Selbstmordgedanken
In den USA kommt das Mittel vorerst nicht auf den Markt. Das für die Zulassung entscheidende Beratergremium empfahl der US-Arzneimittelbehörde FDA einstimmig, von einer Zulassung abzusehen. Grundlage dafür waren die gleichen Daten, auf der auch die Zulassung von Swissmedic beruht. Diese hat aber ihren Ermessensspielraum nach eigenen Angaben in die andere Richtung genutzt.
Der Grund für die amerikanische Zurückhaltung hat mit der Wirkungsweise von Acomplia zu tun. Der im Medikament enthaltene Wirkstoff Rimonabant blockiert im Suchtzentrum des Gehirns jene Bereiche, die das Hungergefühl kontrollieren.
Doch Rimonabant stört gleichzeitig auch andere Mechanismen, die von diesen Gehirnbereichen gesteuert werden: In den Zulassungsstudien mit insgesamt 6800 Übergewichtigen berichteten ungewöhnlich viele Patienten von Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken. Viele stiegen deswegen aus der Studie aus, heisst es aus Kreisen der FDA. Sanofi-Aventis will die von der FDA angeforderten zusätzlichen Daten nachliefern, hält aber fest: «Sanofi-Aventis vertraut nach wie vor auf die Sicherheit und Wirksamheit von Acomplia.»
Gemäss Sanofi-Aventis hat das Medikament eine Reihe anderer positiver Wirkungen. Zum Beispiel soll es den Blutzucker senken und das «gute» HDL-Cholesterin erhöhen. Positiv würde es auch Bluthochdruck beeinflussen. Das würde zumindest in der Theorie das Risiko für Diabetes Typ 2 oder Herzgefässerkrankungen senken. Deshalb wurde Acomplia schon als Wundermittel für Übergewichtige bezeichnet.
Angeblich positive Zusatzwirkungen als gering eingestuft
Doch eine Untersuchung des britischen National Institute for Health and Clinical Excellence stellt auch diese Wirkungen in Frage: Die Studien würden keine Beweise liefern, dass die besseren Blutwerte Acomplia zu verdanken sind. Vielmehr weisen die Forscher diese Effekte dem Umstand zu, dass die Testpersonen während der Studie weniger Kalorien zu sich nahmen und sich mehr bewegten. Rimonabant zeige keine positiven Auswirkungen auf den Bluthochdruck, der bei Übergewichtigen verbreitet ist. Und auch das für Herzinfarkte mitverantwortliche schlechte LDL-Cholesterin werde nicht gesenkt.
Fazit der britischen Forscher: Die positiven Nebeneffekte von Acomplia seien gering und könnten mit bewährten anderen Medikamenten ebenfalls erreicht werden. Auch die europäische Arznei-Zulassungsagentur Emea bescheinigte Rimonabant in den Studien einzig die Wirksamkeit bei der Gewichtsabnahme.
Bruno Gross von Swissmedic betont deshalb, dass Medikamente wie Acomplia nur bei stark Adipösen verschrieben werden sollten und nicht als Lifestyle-Pille zur schnellen Abnahme einiger Kilos: «Üblicherweise ist eine Änderung des Lebensstils die erste Massnahme. Erst wenn das nicht reicht, der Patient aber wegen Begleiterkrankungen abnehmen muss, kann im Einzelfall eine medikamentöse Behandlung erwogen werden.»
Wird die Pille abgesetzt, steigt das Gewicht wieder an
Markus Fritz von der Schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle warnt: «Starkes Übergewicht ist das Resultat eines ständigen Energieüberschusses. Keine dieser Abnehmpillen hilft bei der Fettverbrennung, verbessert eine falsche Ernährung und kann erst recht keinen nachhaltigen Effekt bewirken.»
Und: Irgendwann muss die Pille abgesetzt werden. Oder der Patient bricht wegen stagnierender Gewichtsabnahme - was häufig vorkommt - selbst ab. «Studien zeigen, dass bei allen Mitteln das Gewicht nach dem Absetzen wieder ansteigt», berichtet Natascha Potoczna vom Adipositas-Zentrum an der Klinik Lindberg in Winterthur: «Weil die Unterstützung wegfällt oder die Betroffenen aus Frust wieder in das alte Ernährungsschema zurückfallen.»
Diäten helfen nicht
Auch wenn Frauenzeitschriften im Wochenrhythmus das Gegenteil proklamieren: eine Diät taugt nicht, um das Gewicht dauerhaft zu reduzieren. Eher setzt man damit noch die Gesundheit aufs Spiel. Das zeigte vor kurzem die grösste zu diesem Thema unternommene Studie im Fachblatt «American Psychologist».
US-Forscher von der Universität von Kalifornien analysierten die Ergebnisse von 31 Studien zu den unterschiedlichsten Diäten, die auch noch zwei bis fünf Jahre danach die Teilnehmer beobachteten. Das Ergebnis: Zwar verloren die Diäthaltenden üblicherweise in den ersten sechs Monaten zwischen 5 und 10 Prozent ihres Körpergewichts. Doch die meisten kehrten innert fünf Jahren wieder auf ihr Ausgangsgewicht zurück.
Dauerhafter Gewichtsverlust durch eine Diät war nur bei einer kleinen Minderheit zu beobachten. Doch bis zu zwei Drittel der Studienteilnehmer wogen vier bis fünf Jahre nach der Diät noch mehr als vorher. Bei den Beteiligten, die länger als zwei Jahre an einer Studie teilnahmen, wogen am Ende gar 83 Prozent mehr als zuvor.
Ohne Diät wäre ihrem Körper und der Psyche die Qual erspart geblieben. Denn schon länger deuten Studien darauf hin, dass wiederholtes Abnehmen durch Diäten und anschliessende Wiederzunahme im Zusammenhang steht mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Diabetes und der Schwächung des Immunsystems allgemein.