Letzten Frühling bezog Leo S. ein Zimmer im Pflegezentrum Nidelbad in Rüschlikon ZH. Seine Frau Annelies S. verbrachte fast jeden Nachmittag bei ihrem Mann im Heim. Bald stellte sie ernsthafte Mängel fest.
«Seit einem Hirnschlag kann mein Mann nicht mehr selber mit Messer und Gabel essen», sagt sie. «Aber das Personal half ihm nicht. Manchmal landete das halbe Menü am Boden.» Einmal seien seine Kleider nass gewesen, weil er die Suppe verschüttet hatte: «Den ganzen Nachmittag lang wechselte niemand die Kleider.» Seit dem Einzug ins Pflegeheim habe ihr Mann stark abgenommen.
«Oft sass er stundenlang auf schmutzigen Einlagen»
Weil Leo S. an Inkontinenz leidet, braucht er Einlagen. «Man muss sie drei- bis viermal täglich wechseln», sagt Annelies S. «Aber im Nidelbad kontrollierte nie jemand, ob das nötig ist. Oft sass er stundenlang auf Einlagen, die voll Stuhl waren.»
Eines Tages habe Leo S. wiederholt gestöhnt. «Niemand hatte gemerkt, dass sein Rücken blutig und zerschunden war. Mein Mann war aus dem Rollstuhl gefallen und hatte sich dabei verletzt», sagt seine Frau. Wiederholt sprach sie bei der Pflegedienst- und bei der Heimleiterin vor. «Es änderte sich nichts.»
Nidelbad-Leiterin Brigitte Büchel räumt ein, ein Teil der Reklamationen sei berechtigt gewesen: «Ich habe Frau S. zugestimmt, dass ihr Mann beim Essen bestimmter Nahrungsmittel Hilfe benötigt.» Die Heimleiterin sagt aber auch: «Zu Hause hat Frau S. ihren Mann liebevoll rund um die Uhr gepflegt. Ich bedaure, dass wir die von ihr gewünschte Einzelbetreuung nicht bieten können.»
Beim Essen sollten Heimbewohner möglichst lange selbständig sein. Das sei das oberste Ziel, so Brigitte Büchel. Deshalb habe man Leo S. Lebensmittel serviert, die er von Hand und «weitgehend ohne Hilfe essen konnte. Das ging aber nicht ohne Flecken.» Auch dass ein Teil der Lebensmittel auf Kleidern und am Boden landete, habe sich nicht vermeiden lassen. Oft habe Leo S. aber aggressiv reagiert, wenn das Personal versucht habe, ihm das Essen einzugeben.
Heimleiterin gibt zu: Behandlung kam zu spät
Weiter sagt Brigitte Büchel: «Als sich Herr S. beim Sturz aus dem Rollstuhl eine Schürfwunde zuzog, hat das Personal eine Fachkraft zugezogen. Sie hat die Verletzung behandelt. Zu unserem Bedauern geschah dies mit einer Verzögerung von zwei Stunden.» Die Inkontinenz-Einlagen und die Kleider seien «nach Bedarf» gewechselt worden. «Immer wieder setzte sich Herr S. jedoch vehement zur Wehr.»
Doch Annelies S. sagt: «Mein Mann ist kein aggressiver Mensch. Sein Verhalten hängt davon ab, wie man mit ihm umgeht.» Nach einem halben Jahr hatte Annelies S. genug: Sie meldete ihren Mann bei einem anderen Heim an. Ende Oktober zog er aus dem Nidelbad aus.
Auch andere Angehörige sind unzufrieden mit der Pflege im Nidelbad. Zum Beispiel Kurt Renfer (Name geändert). Seine Schwiegermutter lebte vier Jahre lang im Nidelbad. Unterdessen ist sie verstorben.
Die Schwiegermutter litt an Demenz. «Sie konnte nicht mehr selber essen», sagt Renfer. «Das Personal hatte aber zu wenig Geduld und nahm ihr das Essen weg. Innert kurzer Zeit nahm sie 20 Kilo ab.» Auch seien das Bett und die Kleider oft verschmutzt gewesen, aber lange nicht gewechselt worden.
Häufig fehlt dem Personal die Zeit, Bewohnern zu helfen
Heimleiterin Büchel sagt: «Die Schwiegermutter von Herrn Renfer verlor vor ihrem Tod tatsächlich viel an Gewicht. Das Personal hat versucht, ihr Essen einzugeben. Wegen ihrer schweren Krankheit konnte ihr Organismus die Nahrung aber nicht mehr ordentlich verwerten.»
Auch in anderen Schweizer Heimen hapert es mit der Pflege. Barbara Gassmann, Vizepräsidentin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und -männer, sagt: «In vielen Heimen ist zu wenig Personal vorhanden.» Deshalb fehle oft die Zeit für die Hilfe beim Essen oder bei der Körperhygiene. Zudem seien viele Angestellte auf dem Gebiet der Pflege und der Betreuung ungenügend ausgebildet.
Pflegeheim: So erreichen Sie die bestmögliche Betreuung
- Erkundigen Sie sich vor dem Eintritt genau über das Heim. Fragen Sie, wie viele der Mitarbeiter ausgebildet sind. Beispiel: Im Kanton Zürich muss die Hälfte des Personals eine mehrjährige, anerkannte Ausbildung absolviert haben.
- Sprechen Sie mit Bewohnern und deren Angehörigen.
- Melden Sie Ihre Angehörigen frühzeitig an, damit Sie nicht das erstbeste Heim akzeptieren müssen.
- Suchen Sie das sachliche Gespräch mit der Heimleitung, wenn Sie nicht zufrieden sind.
- Einen Heimwechsel sollten Sie sich gut überlegen. Er bedeutet immer einen Eingriff in das Leben Ihrer Angehörigen.
- Halten Sie die Kündigungsfrist der Institution ein, sonst müssen Sie eine Zeitlang zwei Heime gleichzeitig zahlen.
Folgende Stellen bieten Beratung bei Heimproblemen:
- Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter
erreichbar jeweils von Mo bis Fr, 13–17 Uhr
Tel. 058 450 60 60 für die Kantone SH und ZH,
Tel. 058 450 61 61 für die Kantone AI, AR, GL, SG, TG
- Schweizerische Alzheimer-Vereinigung
Tel. 024 426 06 06
Mo bis Fr, 8–12 und 14–17 Uhr