Die Pille erhält Konkurrenz
Im Supermarkt der Verhütungsmittel gibt es jetzt auch einen Scheidenring und ein Hormonpflaster. Das tägliche Pillenschlucken entfällt - die Nebenwirkungen aber bleiben.
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Haus & Garten 3/2004
30.06.2004
Paula Lanfranconi
Pillenmüde?», fragt das hübsche Girl im Inserat des Scheidenringherstellers und lächelt verführerisch. Doch wer glaubt, es gebe für die rund 100 Millionen Frauen, die weltweit täglich die Pille nehmen, endlich eine sichere Alternative zum Hormoneschlucken, irrt.
Sowohl der mit viel Werbung lancierte Vaginalring Nuva-Ring als auch das neue Verhütungspflaster Evra enthalten eine Hormonmischung aus Östrogen und Gestagen mit all ihren Vor- und Nachteilen.
«Neu...
Pillenmüde?», fragt das hübsche Girl im Inserat des Scheidenringherstellers und lächelt verführerisch. Doch wer glaubt, es gebe für die rund 100 Millionen Frauen, die weltweit täglich die Pille nehmen, endlich eine sichere Alternative zum Hormoneschlucken, irrt.
Sowohl der mit viel Werbung lancierte Vaginalring Nuva-Ring als auch das neue Verhütungspflaster Evra enthalten eine Hormonmischung aus Östrogen und Gestagen mit all ihren Vor- und Nachteilen.
«Neu», sagt Barbara Bass, Gynäkologin an der Zürcher Maternité Inselhof Triemli, «ist nur die Verabreichungsform. Aber immerhin haben die Frauen mehr Auswahl und müssen nicht mehr täglich ans Verhüten denken.»
Vor allem jungen Frauen macht das disziplinierte Pillenschlucken Mühe. Jede dritte Frau, die ungewollt schwanger wird, hat die Pille vergessen. Und etwa 10 Prozent der Frauen müssen die Pille wieder absetzen, weil sie erbrechen oder Durchfall bekommen.
Beim Pflaster kommt es oft zu Hautirritationen
Trotzdem liegt die Zahl der Abtreibungen in der Schweiz seit Jahren bei etwa 12 000 pro Jahr. Das ist eine der niedrigsten Raten in Europa. Seitdem allerdings die «Pille danach» auch ohne Verschreibung erhältlich ist, gehen fast doppelt so viele Packungen über den Ladentisch der Apotheken; 2003 waren es rund 54 000.
Die Hormonhersteller suchen seit Jahren nach moderneren Verhütungsformen. 1999 kam Implanon auf den Schweizer Markt. Dieses Verhütungsstäbchen gibt drei Jahre lang Gestagen ab, muss aber von einer Fachperson in den Oberarm implantiert werden. Es gilt als sehr sichere Methode. Viele Frauen lassen es aber vorzeitig entfernen, weil ihre Mens sehr unregelmässig wird.
Seit Dezember 2003 gibt es nun das Hormonpflaster Evra, seit April den Scheidenring Nuva-Ring. Beide sind rezeptpflichtig, können aber von der Frau selber angewendet werden. Evra ist ein 4,5 x 4,5 Zentimeter grosses Hormonpflaster. Es kann am Oberarm, Bauch, Gesäss oder Oberkörper (aber nicht im Brustbereich) aufgeklebt werden. Nach sieben Tagen muss man ein neues Pflaster anbringen. Nach drei Wochen folgt eine pflasterfreie Woche, in der die Menstruation stattfindet.
Vorteil: Die Verhütung ist nur einmal pro Woche ein Thema. Wer die siebentägige Pflasterpause aber versehentlich verlängert, muss sieben Tage lang zusätzlich mit Kondom verhüten.
Nachteile: Jede fünfte Anwenderin klagt am Anfang über Hautirritationen. Auch Brustspannen und Mensschmerzen sind in den ersten drei Monaten häufiger als bei der Pille.
Junge Frauen stört gelegentlich das unästhetische Aussehen des Pflasters. Trotzdem hört nur jede achte Frau mit dem Pflaster wieder auf. Das sind etwa gleich viele wie beim Ring oder der Pille.
Der Nuva-Ring ist ein elastischer Kunststoffring von 54 Millimeter Durchmesser und 4 Millimeter Dicke. Die Frau führt ihn zu Beginn des Zyklus in die Scheide ein. Nach drei Wochen wird der Ring entfernt, in dieser Zeit findet die Monatsblutung statt. Danach wird ein neuer Ring eingeführt. Achtung: Wenn der Ring später als eine Woche nach der Pause eingelegt wird, muss man zusätzlich mit Präservativen verhüten.
Vorteile: Die Verhütung ist nur zweimal im Monat aktuell.
Nachteile: Frauen, die geboren haben, riskieren, dass der Ring beim Pressen auf dem WC herausrutscht. Etwa jede siebte Anwenderin klagt über eine Scheidenentzündung. Das ist auch der häufigste Ausstiegsgrund. Einige Paare empfinden den Ring beim Geschlechtsverkehr als störend.
«Diszipliniert angewendet», sagt Gabriele Merki, Oberärztin an der Klinik für Endokrinologie des Unispitals Zürich, «verhüten sowohl Pflaster wie Ring fast so sicher wie die Pille.» Berechnet wird die Sicherheit mit dem Pearl-Index. Er geht auf den US-Biologen Raymond Pearl zurück und gibt an, wie viele von 100 Frauen innerhalb eines Jahres schwanger wurden, obwohl sie eine bestimmte Verhütungsmethode angewendet hatten: Je niedriger also der Pearl-Index, desto sicherer die Methode. Die Pille hat je nach Typus einen Pearl-Index von 0,2 bis 1,0. Beim Pflaster liegt die Versagerrate bei 0,7, beim Vaginalring bei 0,65. Ohne jede Verhütung steigt der Pearl-Index auf 80.
Nur Kondome schützen vor einer HIV-Infektion
Beide Neulinge sind also sicher. Für Johannes Bitzer, Professor für Gynäkologische Psychosomatik am Uni-Frauenspital Basel, stellen sich zwei grundsätzliche Fragen:
- Verträgt die Frau hormonelle Verhütungsmittel? Hat sie ein erhöhtes Risiko für Herz-KreislaufKrankheiten oder Thrombosen? Ist sie Raucherin? Diabetikerin? Ab 40 steigen diese Risiken an.
- Hat die Frau keine solchen Risiken: Welche Anwendungsform ist ihr am sympathischsten? «Fällt es einer jungen Frau schwer, die Pille pünktlich zu nehmen, würde ich ihr eher zum Pflaster raten», sagt Bitzer. Frauen, die ihren Körper schon gut kennen und Tampons verwenden, würde Merki eher den Scheidenring empfehlen.
Aber letztlich, sagen beide Ärzte, müsse jede Frau selber herausfinden, was ihr am besten zusagt. Bei Frauen, die mehr als 90 Kilogramm wiegen, sind indes Pille wie Pflaster und Ring weniger sicher, weil die Wirkstoffkonzentration abnimmt.
Fazit: Jede Verhütungsart (s. Tabelle) ist ein Kompromiss - und: Ausser dem Präservativ schützt keine der Methoden vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten.
«Pille» für den Mann: Wenns gut läuft, kommt sie im Jahr 2007
Die Pharmafirmen Schering und Organon machen vorwärts mit der «Pille für den Mann»: Seit Ende 2003 nehmen 350 Männer in sechs europäischen Ländern an einem grossen Testprogramm teil. Wenn alles optimal läuft, sollen ab 2007 auch Männer hormonell verhüten können. Bequem wirds allerdings nicht, denn die «Pille» für den Mann ist keine Pille, sondern eine Kombination aus einem Hormonimplantat und einer Dreimonatsspritze Testosteron.
Das Implantat gibt das weibliche Hormon Gestagen ab, welches das männliche Gehirn veranlasst, weniger Spermien zu produzieren. Der Haken: Das Gestagen senkt auch den Testosteronspiegel, dadurch hat der Mann weniger Lust, seine Muskeln werden schlaffer, die Leistungsbereitschaft sinkt. Um den Testosteronspiegel wieder anzuheben, muss sich der Verhütungswillige alle drei Monate eine Testosteronspritze in den Hintern verpassen lassen.
Neben medizinischen Problemen hat die «Pille für den Mann» noch andere Akzeptanzschwierigkeiten. «Ob ein Mann die Verhütung übernimmt», sagt Mario Mucha, Geschäftsleiter von Organon Schweiz, «hängt sicher stark vom kulturellen Umfeld ab. Erste Anwender könnten Männer sein, die in einer stabilen Beziehung und in einer liberalen Gesellschaft leben.» Am raschesten dürfte sich die neue «Pille» in Skandinavien und der Schweiz durchsetzen.