Feinstaub: Bald haben die Richter das Wort
Feinstaubwerte sind so extrem hoch, dass sie amtliche Messgrafiken sprengen. Greenpeace will jetzt Bund und Kantone einklagen.
Inhalt
saldo 2/2006
01.02.2006
Marc Meschenmoser
Drei Millionen Menschen atmen in Schweizer Städten und Agglomerationen täglich zu viel krank machenden Feinstaub ein. Das führt zu Atemwegserkrankungen, Lungenkrebs und jährlich 3700 Toten (saldo 7/05). Diesen Winter verschärft sich die Situation weiter: Bei anhaltendem Hochnebel können die giftigen Russpartikel während Tagen nicht entweichen - die Dreckluft staut sich.
Mittlerweile ist die Luftverschmutzung so extrem, dass die Feinstaubwerte selbst Messgrafiken der Kantone...
Drei Millionen Menschen atmen in Schweizer Städten und Agglomerationen täglich zu viel krank machenden Feinstaub ein. Das führt zu Atemwegserkrankungen, Lungenkrebs und jährlich 3700 Toten (saldo 7/05). Diesen Winter verschärft sich die Situation weiter: Bei anhaltendem Hochnebel können die giftigen Russpartikel während Tagen nicht entweichen - die Dreckluft staut sich.
Mittlerweile ist die Luftverschmutzung so extrem, dass die Feinstaubwerte selbst Messgrafiken der Kantone sprengen. Etwa in Zürich-Opfikon: Mitte Januar wurden 182 Mikrogramm Feinstaub in einem Kubikmeter Luft (µg/m3) gemessen. Zum Vergleich: Das Gesetz erlaubt im Jahresschnitt 20, an einem einzigen Tag im Jahr 50 µg/m3. Dieser Wert wurde in der Berner Innenstadt letztes Jahr an 63 Tagen überschritten. In Chur mass das Kantonale Amt für Natur und Umwelt am 10. Januar einen Rekordwert von 316,8 µg/m3. Amtsleiter Remo Fehr konstatiert ernüchtert: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Grenzwerte diesen Winter wieder massiv überschritten werden.»
Das wird noch lange so bleiben. In einer internen Beurteilung kommt das Bundesamt für Umwelt zum Schluss, dass die Grenzwerte noch jahrelang missachtet werden: «Bis 2020 liegen die Feinstaubemissionen der Schweiz deutlich über dem ökologischen Ziel.»
Kantonsbehörden schieben die Verantwortung ab
So lange will die Umweltschutzorganisation Greenpeace nicht mehr warten. Verkehrskampagnenleiter Cyrill Studer: «Bund und Kantone schauen tatenlos zu. Das wollen wir ändern und klagen das Recht auf saubere Luft diesen Herbst vor Gericht ein.» Bisher haben sich 30 Betroffene bei Greenpeace gemeldet, die an vielbefahrenen Strassen wohnen und nachweislich durch Autoabgase erkrankt sind.
Die Organisation sucht weiter Betroffene und erhofft sich, dass der Staat unter Druck rasch handelt - sprich zum Mittel temporärer Fahrverbote greift. Denn die Kantonsbehörden weisen die Verantwortung von sich. In Chur sagt der höchste behördliche Umweltschützer Fehr: «Wir können nicht im Alleingang Fahrverbote einführen. Das müsste mit anderen Kantonen zusammen geschehen.» In Zürich erklärt Bruno Hohl, Direktor Umwelt- und Gesundheitsschutz der Stadt, dass Fahrverbote zwar in Frage kämen. «Doch wir müssen die Interessen abwägen: Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind nicht unwesentlich. Entscheidendes müsste in Bern passieren.» Doch es ist fraglich, ob der Bundesrat im März einem Filterobligatorium für Lastwagen und Autos zustimmt.
Deutschland hat Fahrverbote in Städten eingeführt
Fahrverbote galten auch in Deutschland noch vor einem Jahr als «nicht durchführbar» - heute sind sie in Städten wie Frankfurt oder Stuttgart Realität. Grund: In der EU haben Bürger ihr Recht auf saubere Luft erfolgreich eingeklagt, teils machen sich sogar Bürgermeister persönlich strafbar, wenn sie Grenzwertverstössen tatenlos zusehen. In ganz Deutschland erhalten ab 2007 schadstoffarme Autos Plaketten, damit sie auf gesperrten Strassen fahren dürfen - Stinker müssen draussen bleiben.
Dass Fahrbeschränkungen wirksam sind, zeigt auch das Beispiel London: Seit dort eine Strassengebühr eingeführt wurde, ging der Verkehr um 18 und der Feinstaubausstoss um 12 Prozent zurück. Auch im italienischen Bozen und Meran gilt diesen Winter ein Fahrverbot für Autos der Abgaskategorien Euro 0 bis 3. Zum Vergleich: In der Schweiz verkehren noch über 100 000 Diesel-Autos dieser besonders schmutzigen Klasse.
Bund gibt offen zu: Ohne Druck geht nichts
Beim Bund gibt man zu, dass es Zwänge braucht, bis Massnahmen ergriffen werden. Karine Siegwart, Umweltjuristin des Eidgenössischen Departements des Äusseren: «Gleich wie in der EU könnte auch hier das Recht auf Leben verletzt sein, wenn der Staat Grenzwertverstösse zulässt. Offensichtlich braucht es diesen gerichtlichen Druck auch in der Schweiz, um den Staat zum Handeln zu zwingen.»
Erfüllen Sie die Voraussetzungen, um mit Greenpeace eine Klage einzureichen? Informieren Sie sich im Internet unter http://info.green peace.ch/de/klima/index