Früher Unterricht: Teenager denken nur ans Schlafen
Inhalt
Gesundheitstipp 8/2002
01.08.2002
Heranwachsende sind abends oft hellwach und gehen sehr spät ins Bett. Am Morgen kommen sie dann kaum aus den Federn. Der Grund: Bei Jugendlichen verschiebt sich der Schlaf-Wach-Rhythmus.
Tobias Frey tfrey@pulstipp.ch
Manchmal ist es zum Verzweifeln», erzählt Franziska Welling aus Bellach SO. «Ich bringe meine Tochter einfach nicht ins Bett.» Noch um 21 Uhr ist die 11-jährige Tabea hellwach. Oft werde es 23 Uhr, bis Tabea schliesslich einschlafe. Die Folge: Am ...
Heranwachsende sind abends oft hellwach und gehen sehr spät ins Bett. Am Morgen kommen sie dann kaum aus den Federn. Der Grund: Bei Jugendlichen verschiebt sich der Schlaf-Wach-Rhythmus.
Tobias Frey tfrey@pulstipp.ch
Manchmal ist es zum Verzweifeln», erzählt Franziska Welling aus Bellach SO. «Ich bringe meine Tochter einfach nicht ins Bett.» Noch um 21 Uhr ist die 11-jährige Tabea hellwach. Oft werde es 23 Uhr, bis Tabea schliesslich einschlafe. Die Folge: Am Morgen muss Franziska Welling ihre Tochter wachrütteln. Tabea hat zwei ältere Geschwister: Annette (16) und Magdalene (15). Bei beiden war es damals gleich.
Über die Hälfte ist «häufig» oder «sehr häufig» müde
Wellings sind keine Ausnahme: Die Jugend schläft zu wenig. Heranwachsende sollten rund 9 Stunden schlafen - doch oft sind 6 bis 7 Stunden die Regel. Eine Untersuchung in der Schweiz zeigte bereits vor zehn Jahren: Jede vierte junge Frau und jeder fünfte junge Mann im Alter von 15 bis 20 Jahren hat Schlafstörungen. Mehr als die Hälfte der Teenager fühlt sich «häufig» oder «sehr häufig» müde.
Der Grund ist oft die innere biologische Uhr. Sie beginnt in der Pubertät plötzlich, dem Tagesablauf hinterherzuhinken. Dies hat die amerikanische Schlafforscherin Mary Carskadon von der Brown- Universität auf Rhode Island herausgefunden.
Pubertierende beginnen am Abend viel später als Kinder und Erwachsene, das Schlafhormon Melatonin auszuschütten. Dafür tun sies noch immer, wenn sie morgens um 7 wieder die Schulbank drücken müssen. Bei 4 von 10 Schülern ist die innere Uhr um diese Zeit auf Nacht eingestellt: Sie gähnen, können kaum die Augen offen halten. Lerneffekt: praktisch Null. Am Wochenende müssen die Jugendlichen ihr Manko nachholen - und schlafen in den Tag hinein, oft bis zu 10 Stunden. Dieses Phänomen kann bereits bei 10-Jährigen auftreten und bis ins Erwachsenenalter anhalten.
Für viele Fachleute ist ein solcher Rhythmus unhaltbar. Sie fordern, dass die Schule später am Morgen beginnt. Schlafforscher Jürgen Zulley von der Universität Regensburg: «Die Schule sollte für heranwachsende Jugendliche um 9 Uhr beginnen.» Für Zulley sprechen die Befunde von Mary Carskadon eine deutliche Sprache. Im amerikanischen Minnesota laufen bereits wissenschaftliche Versuche mit Unterrichtsbeginn um 8.40 Uhr. Die ersten Ergebnisse: Die Schüler sind deutlich aufmerksamer und fehlen weniger wegen Krankheit. Zudem: In anderen europäischen Ländern wie England, Italien oder Frankreich fängt die Schule auch erst gegen 9 Uhr an.
Anders in der Schweiz. In den meisten Kantonen beginnt der Unterricht immer öfter kurz nach 7, wie Barbara Zumstein vom Schweizerischen Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen bestätigt: «Schulen setzen Frühstunden an, damit alle Wochenstunden Platz finden.»
Kein Wunder sind Fachleute und Verantwortliche wie die Basler Schulärztin Margrit Studer zurückhaltend: «Ein grosser Teil der Jugendlichen ist zwar müde, aber wir können nicht verallgemeinern.» Dennoch räumt die Ärztin ein, dass der Unterrichtsbeginn vor 8 Uhr «wenig effizient» sei. Dies bestätigen ihre Kollegen aus Bern, St. Gallen und Zürich.
Länger schlafen - dafür kürzere Mittagspausen
Auch die Schweizerische Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) sah bis anhin wenig Handlungsbedarf. Sie koordiniert zusammen mit dem Bundesamt für Gesundheit das Programm «Schule und Gesundheit». Maëlle Perez vom EDK sagt allerdings, dass ein späterer Schulbeginn in einem solchen Programm «durchaus Platz» hätte.
Für Schlafforscher Zulley hat die Zurückhaltung einen Grund: Der frühe Schulanfang passe vor allem berufstätigen Erwachsenen. Zulley: «Um acht beginnen viele Eltern zu arbeiten. Zuvor möchten sie ihre Kinder in der Schule abladen können.» Deshalb müsse man vermehrt Tagesschulen einrichten. Mit kürzeren Mittagszeiten und vermehrtem Unterricht am Nachmittag könne man die «verschlafene» Stunde kompensieren. Barbara Zumstein findet die Idee gut. Allerdings müssten auch die Arbeitgeber den Arbeitsbeginn verschieben: «Eltern müssen die Chance haben, rechtzeitig zur Arbeit kommen.»
Obwohl Franziska Welling und ihr Mann berufstätig sind, setzt sie sich für einen späteren Schulbeginn ein: «In dieser Phase muss das Kind genug schlafen können.»
Bei Tabea versucht sie, das Problem am Abend zu lösen: «Unser Ritual beginnt um 8.30 Uhr.» Um 22 Uhr «ist für den Rest der Familie Nachtruhe». Tabea erledigt dann noch tausend Dinge. Ihre Mutter: «Zwischen halb elf und elf schläft Tabea meist ein. Das ist zwar krass. Aber das Ritual schont die Nerven aller Beteiligten am meisten.»
So überlisten Teenies ihre innere Uhr
Die besten Tipps am Morgen
- Drehe das Licht an, sobald der Wecker geläutet hat.
- Geh unmittelbar nach dem Aufstehen nach draussen und halte dein Gesicht für einige Minuten in Richtung Sonne.
Die besten Tipps am Abend
- Vermeide Koffein oder Nikotin. Beides regt an.
- Computerspiele kurz vor der Schlafenszeit regen auf.
- Lerne nicht zu intensiv kurz vor dem Zu-Bett-Gehen.
- Computer oder TV-Gerät gehören nicht ins Schlafzimmer.
Was Eltern tun können
- Streiten Sie vor der Schlafenszeit nicht mit den Kindern.
- Einigen Sie sich mit Ihrem Kind in einer ruhigen Phase auf eine Zu-Bett-Geh-Zeit.
- Sorgen Sie dafür, dass Ihr Teenager in einem ruhigen Zimmer schlafen kann.
- Führen Sie ein Ritual ein, das Ihr Kind jeden Abend auch einhalten kann.
- Verabreichen Sie keine Medikamente zum Einschlafen und geben Sie dem Kind nie das Schlafhormon Melatonin. Die Folgen für Jugendliche sind zu wenig erforscht.
- In Ausnahmefällen helfen sanfte pflanzliche Präparate wie Baldrian oder Hopfen.