Genforschung - Das grosse Geschäft mit dem Körper
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saldo 1/1999
01.01.1999
In jedem Körper kann ein Gen stecken, das Millionen Franken wert ist. Deshalb wollen Pharmafirmen Gene patentieren lassen - strikte zu ihren Gunsten.
Das Unglück brach gleich doppelt über den Berner Stefan Gruber herein. Sein Arzt stellte bei ihm Leukämie fest. Die Milz war bereits massiv angeschwollen. Das kranke Organ musste herausgeschnitten werden. Nach der Operation entdeckte der Mediziner in der Milz weisse Blutkörperchen, die ungewöhnlich hohe Dosen an Wirkstoffen ge...
In jedem Körper kann ein Gen stecken, das Millionen Franken wert ist. Deshalb wollen Pharmafirmen Gene patentieren lassen - strikte zu ihren Gunsten.
Das Unglück brach gleich doppelt über den Berner Stefan Gruber herein. Sein Arzt stellte bei ihm Leukämie fest. Die Milz war bereits massiv angeschwollen. Das kranke Organ musste herausgeschnitten werden. Nach der Operation entdeckte der Mediziner in der Milz weisse Blutkörperchen, die ungewöhnlich hohe Dosen an Wirkstoffen gegen Leukämie produzierten. Ein Glücksfund, denn der Arzt war überzeugt, dass er mit Hilfe dieser Blutkörperchen Medikamente und Therapien gegen Leukämie entwickeln könnte.
Er liess Grubers spezielle Blutkörperchen als eigene Erfindung patentieren und verkaufte die Lizenz zur Reproduktion dieser Blutkörperchen für 1,7 Millionen Franken an einen Pharmakonzern.
Der Mediziner hatte Gruber nie um seine Einwilligung gefragt. Und am Gewinn beteiligte er ihn schon gar nicht.
"Mein Körper wurde als Goldmine missbraucht"
Stefan Gruber heisst in Wirklichkeit nicht Stefan Gruber. Doch die Person, deren spezielles Gen ein Millionenvermögen wert ist, gibt es tatsächlich: John Moor, Ölarbeiter in Alaska. Sein Kommentar zum Schicksal: "Die haben meinen Körper als Goldmine missbraucht."
Wie der Fall zeigt, sind in den USA Patente nicht nur auf Erfindungen, sondern im medizinischen Bereich auch auf menschliche Gene und Zellen möglich: Wer ein Gen nicht nur entdeckt, sondern als Erster auch noch nachweisen kann, dass es zur Entwicklung von Medikamenten und Therapien brauchbar sein könnte, darf es patentieren lassen.
Kein anderer Forscher kommt dann an diesem Patent vorbei, wenn er die Geninformationen zur Entwicklung von Heilmitteln nutzen will; es sei denn, er blättert happige Gebühren hin.
Absurd: Der eigentliche Spender des Gens hat in diesem Geschäft nichts zu sagen.
Patente auf solche menschlichen Gene oder auf Zellen, ganze Pflanzensorten und gar Tierarten werden in den USA zahlreich erteilt. Im schweizerischen Patentgesetz sind sie nicht vorgesehen. Noch nicht. Doch hat das Europaparlament letzten Sommer eine Richtlinie verabschiedet, die solche Patente auf Leben zulässt (siehe Kasten rechts oben).
Und das hat Konsequenzen für die Schweiz. Denn zwei Motionen der FDP-Parlamentarierinnen Christine Egerszegi und Helen Leumann verlangen, dass das Schweizer Patentgesetz dieser EU-Richtlinie angepasst wird. Bereits hat der Ständerat die Forderung diskussionslos abgesegnet. Nun wird das brisante Geschäft voraussichtlich in der Frühlingssession im Nationalrat verhandelt.
Auf diese Debatte hin dürften Pharmakonzerne versuchen, die Parlamentarier in Bern tüchtig zu beeinflussen. Denn mit Patentierungen lässt sich sehr viel Geld verdienen. Novartis beispielsweise mischt im weltweiten Konkurrenzkampf um die Entdeckung und Patentierung der Gene kräftig mit. Der Konzern, spezialisiert auf die so genannte Life-Science-Industrie, hat 1997 31,2 Milliarden Franken Umsatz erzielt. Wie Novartis-Sprecher Mark Hill gegenüber saldo erklärte, investiert Novartis in den USA zurzeit 800 Millionen Dollar in zwei neue Forschungsinstitute.
Verständlich, denn die Konkurrenz ist gross: Die rund 70000 Gene, aus denen der Bauplan des Menschen besteht, wollen die Gentech-Unternehmen weltweit innert weniger Jahre isolieren, entschlüsseln und in Datenbanken abspeichern. Wer aus dieser Datenfülle die goldigen Eier, sprich medizinisch verwertbare Gene, herauspicken und patentieren lassen kann, macht das grosse Geld.
Bereits stehen in Laborhallen Roboter, die nichts anderes tun, als Erbinformationen zu lesen und in Datenbanken abzuspeichern. Eine solche Datenbank soll zum Beispiel im kalifornischen Unternehmen Incyte Pharmaceuticals entstehen. "Wir wollen so schnell als möglich alle wirtschaftlich relevanten Informationen abfischen und dem Meistbietenden verkaufen", gibt der Incyte-Geschäftsführer Roy Whitfield unverhohlen zu.
Wie Geldverdienen mit Gentechnik geht, hat der US-Konzern Amgen vorgemacht.
Abhängigkeit von grossen Konzernen nimmt noch zu Dank einem Patent auf das menschliche Gen, das für den blutbildenden Botenstoff Erythropoetin verantwortlich ist, macht der Konzern mit dem daraus entwickelten Medikament jährlich einen Umsatz von 1,5 Milliarden Dollar. Das Mittel, das auch Tour-de-France-Profis als Dopingmittel dient, ist eines der umsatzstärksten Medikamente weltweit.
Patente auf Gene seien dringend nötig, argumentiert die Pharmaindustrie gerne. Damit fliesse das Geld wieder in die Kasse zurück, das für die Entwicklung der Medikamente investiert worden sei. "Ohne Patentschutz können wir die teure Forschung nicht bezahlen", beteuert Novartis-Sprecher Mark Hill.
Dem widerspricht Florianne Koechlin, die Leiterin der Schweizer Koordination "Kein Patent auf Leben": Sie hat nichts gegen Patente auf Medikamente. Damit habe die Pharmaindustrie schon seit langem viel Geld verdient. "Doch Patente auf Leben sind unethisch, denn es darf nicht sein, dass Teile des menschlichen Körpers von ein paar wenigen Weltkonzernen kontrolliert werden." Genau dies geschehe, meint Koechlin, denn wer die wichtigsten Patente auf menschliche Gene besitze, beherrsche den Markt. Patienten würden so stärker denn je abhängig von ein paar finanzstarken Forschungsbetrieben.
Nicht nur das: Viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter kritisieren zudem, dass die Patentierung von Genen die Forschung behindert. Bevor das Patent auf ein neu entdecktes Gen nicht gesichert sei, würden die Biotechnologie-Unternehmen nämlich die Informationen vor anderen Forschern geheimhalten, meint etwa der amerikanische Forscher James Watson im "Wall Street Journal".
Auch Georg Schulthess, Wissenschafter und Oberarzt der Medizinischen Poliklinik in Zürich, ist skeptisch. Die Patente seien zwar gelegentlich eine, wie er meint, "unentbehrliche" Absicherung für den Wissenschafter, "doch sie können tatsächlich die Forschung erheblich verlangsamen".
Catherine Boss