Bei Lorenz Matter blieb ein Krebs monatelang unerkannt. Der Grund: Ein Arzt in einer HMO-Praxis der Krankenkasse Swica hatte auf einen Bluttest verzichtet. Aus Kostengründen, so Matters Vermutung. Die Swica bestreitet dies. Darüber berichtete der Gesundheitstipp in der letzten Ausgabe. HMO-Praxen sind Gruppenpraxen, zu denen Krankenkassen ihre HMO-Versicherten schicken. Diese zahlen dafür weniger Prämien. Doch jetzt zeigt eine Umfrage des Gesundheitstipp bei allen HMO-Praxen in der Schweiz: Die Swica-Gesundheitszentren schneiden im Vergleich zu anderen Praxen weniger gut ab.
Bei Swica ist der Ombudsarzt ein eigener Kadermann
Zusammen mit der Patientenorganisation SPO Patientenschutz stellte der Gesundheitstipp vier Kriterien auf. Die Swica-Gesundheitszentren erfüllen kein einziges davon (siehe Tabelle im pdf-Artikel):
- Sie sind nicht von einer unabhängigen Stelle zertifiziert. Eine zertifizierte Praxis muss Qualitätsstandards einhalten.
- Die Swica veröffentlicht keine Richtlinien, wie ihre Ärzte gängige Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes oder Migräne behandeln sollen.
- Die Ärzte besprechen heikle Fälle nicht täglich.
- Die Swica-Zentren verfügen als einzige nicht über einen unabhängigen Ombudsarzt, der in Streitfällen zwischen Patient und Praxis vermitteln könnte.
Die Swica bezeichnet zwar den Arzt Stefan Schindler als Ombudsarzt. Doch Schindler ist oberster Leiter der Swica-Gesundheitszentren. Margrit Kessler von SPO Patientenschutz hält dazu fest: «Ein Ombudsarzt muss unabhängig sein. Als Swica-Kadermann ist Schindler nicht unabhängig.» Nur eine einzige Praxis erfüllte alle vier Kriterien: Die Medix-Gruppenpraxis in Zürich-Wipkingen. Sie ist eine der wenigen Praxen, in denen die Ärzte täglich über heikle Fälle sprechen. Die meisten anderen Praxen machen Fallbesprechungen wöchentlich. In den 13 Sanacare-Praxen in verschiedenen Städten sprechen die Ärzte «mindestens wöchentlich» über heikle Fälle, in der Gesundheitsplan-Praxis in Basel zweimal wöchentlich. Laut Margrit Kessler sind tägliche Fallbesprechungen für die Patienten der Idealfall: «Die Ärzte sind täglich gezwungen, ihre eigene Arbeit zu hinterfragen. Dies führt zu mehr Qualität.»
Davon profitieren auch Margot und Marcel Cornuz aus Oberengstringen ZH. Schon seit vielen Jahren sind sie Patienten in der Medix-Gruppenpraxis und wissen nur Gutes zu berichten: «Die Ärzte nehmen sich Zeit und überweisen mich wenn nötig an einen Spezialisten», sagt Margot Cornuz. In dringenden Fällen bekomme sie immer einen Termin am selben Tag, und im Wartezimmer müsse sie nie lange verweilen. Dass sie nicht immer zum selben Arzt kann, stört sie nicht: «Alle Ärzte dort sind gut.»
Mangelnde Transparenz beim Label der Vereinigung SQS
Auch die Sanacare-Praxen erfüllten nicht alle Kriterien. Zwar sind auch sie von einer unabhängigen Stelle zertifiziert, der Vereinigung SQS. Doch Experten werfen dem Label mangelnde Transparenz vor: «Die Kriterien, aufgrund deren die SQS ihr Zertifikat vergibt, sind nicht öffentlich zugänglich», kritisiert Peter Berchtold. Als Präsident des Forums Managed Care setzt er sich intensiv mit der Qualität von Gruppenpraxen und Ärztenetzen auseinander. Rafael Sinniger von SQS räumt ein, dass die Kriterien «vorläufig noch» nicht öffentlich sind: «Damit schützen wir unser geistiges Eigentum. Aber jede Praxis, die Interesse hat, kann sie bei uns anfordern.»
Anders das Zertifikat der Stiftung Equam, über das vier andere Gruppenpraxen verfügen: Hier ist eine detaillierte Checkliste öffentlich zugänglich. In der Umfrage sind sogenannte Ärztenetze nicht berücksichtigt. Hier wählt der Versicherte einen Arzt aus einer Liste aus und verpflichtet sich dann, immer zuerst diesen Arzt aufzusuchen. Einige Krankenkassen bezeichnen auch solche Versicherungsmodelle als «HMO» – obwohl der Patient nicht zwingend in eine HMO-Gruppenpraxis muss: Der Begriff HMO ist im Gesetz nicht definiert. Auffällig an der Gesundheitstipp-Umfrage: Die drei Praxen, die am besten abschneiden, gehören den Ärzten, die dort arbeiten. Die meisten übrigen HMO-Praxen sind dagegen im Besitz der Krankenkassen – die Sanacare-Praxen zum Beispiel der Concordia und der Wincare. Felix Huber, Co-Leiter der Medix-Gruppenpraxis, sieht es als entscheidenden Vorteil, nicht von einer Krankenkasse angestellt zu sein: «Wir Ärzte gestalten unsere Arbeit so, wie wir es sinnvoll finden. Die Krankenkassen können uns nicht dreinreden.»
Praxen wollen Richtlinien für Behandlung nicht offenlegen
Zu ihrem Abschneiden in der Umfrage schreibt die Sanacare, die Ärzte könnten «wenn nötig spontan eine zusätzliche Fallbesprechung durchführen». Dies werde rege genutzt. Auch die Gesundheitsplan-Praxis kennt solche spontanen Besprechungen. Sie schreibt zudem: «Wir kennen keinen wissenschaftlichen Beleg, dass tägliche Besprechungen zu mehr Qualität führen.» Die Richtlinien für die Behandlung der Patienten will die Gesundheitsplan-Praxis nicht veröffentlichen. Sie seien «für den Arzt bestimmt und für Laien nicht verständlich.» Man gebe den Patienten stattdessen allgemein verständliche Informationsblätter zu ihrer Krankheit ab. Die Xundheit-Praxen in Luzern, Zug und Altdorf veröffentlichen «aus Ressourcengründen» ebenfalls keine Richtlinien, und die Sanacare schreibt, man halte sich an «anerkannte wissenschaftliche Richtlinien».
Auch die Swica gibt an, sich an die Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zu halten. Am kritisierten SQS-Zertifikat will die Sanacare festhalten: «Die SQS geniesst ein hervorragendes Renommee als neutrale Zertifizierungsstelle.» Auch die Xundheit-Praxen sind vom Zertifikat überzeugt: Sie waren bis Ende 2008 Equam-zertifiziert, wollen jetzt aber zur SQS wechseln. Die Swica hält es dagegen nicht für nötig, ihre Gesundheitszentren von einer unabhängigen Stelle prüfen zu lassen: «Entscheidend ist nicht eine Zertifizierung, sondern wie Qualität umgesetzt wird. Unsere Zentren verfügen über ein eigenes Qualitätsmanagement.» Dieses gehe deutlich über eine Zertifizierung hinaus.
Als der Gesundheitstipp die Swica mit der Kritik konfrontiert, ihr «Ombudsmann» Stefan Schindler sei nicht unabhängig, stellt sie dessen Rolle plötzlich anders dar: Er «koordiniere» bloss die Abklärungen. «Beurteilt werden die Fälle jedoch von Chefärzten der jeweiligen Kantons- oder Regionalspitäler.» Ausgewählt hat diese Ärzte – die Swica.