Das Inserat in der Lokalpresse und im Internet versprach ‹überdurchschnittliche Verdienstmöglichkeiten›: Die Krankenkasse Groupe Mutuel suche ‹selbständige Partner›, die ‹aufgestellt, kontaktfreudig und kundenorientiert› sind. Weitere Voraussetzungen waren: Ehrgeiz, loyale Arbeitsweise und ein einwandfreier Leumund. Alles kein Problem für mich, dachte ich, als ich das Inserat las. Was mir aber Sorgen machte: Ich habe von Krankenkassen so gut wie keine Ahnung. Doch das ist kein Problem für die Groupe Mutuel: Es brauchte nur einen Anruf, zwei kurze Treffen mit Sales Managerin Sabine Bianchi (Name geändert), eine vierstündige Schnellbleiche – und schon war ich offizieller Vermittler mit der Nummer 15131. Ich habe jetzt einen Vertrag (auf meinen richtigen Namen übrigens!) und darf offiziell Krankenkassenprodukte der Groupe Mutel verkaufen.

Allerdings: Von Krankenkassen weiss ich praktisch gleich viel wie vor meiner Bewerbung. Im Inserat versprach die Groupe Mutuel ‹Aus- und Weiterbildung›. Das erläutert meine Kontaktperson Sabine Bianchi beim ersten Telefongespräch so: ‹Wir bieten eine Ausbildung an drei Nachmittagen an.› Wer sie absolviere, erhalte ein Zertifikat; das Ganze koste 200 Franken. Doch schon beim ersten halbstündigen Treffen im Stadtzürcher Groupe-Mutuel-Service-Center macht mir Bianchi ein ‹Schnell›-Angebot: ‹Wenn Sie die Schulung bei mir absolvieren, dauert sie nur einen Nachmittag. Es gibt zwar kein Zertifikat, dafür kostet es auch nichts.› Einen Zusammenarbeitsvertrag gebe es trotzdem.

Schon drei Wochen später sitze ich in einem Raum an der Birchstrasse 117 in Zürich – zusammen mit ein paar Verkäufern mit Erfahrung, die nur gekommen sind, um die neusten Produkte der Groupe Mutuel kennenzulernen. Mit im Raum sind ausser mir drei weitere Grünschnäbel. Alle erhalten das gleiche Programm vorgesetzt. Zuerst stellen Sabine Bianchi und eine Kollegin das Krankenkassenkonglomerat Groupe Mutuel vor und erklären ein paar allgemeine Grundlagen der Krankenversicherung. Doch der grösste Teil des vierstündigen Vortrags ist eine ausführliche Erläuterung der Produkte. Da wären etwa die 17 Zusatzversicherungen, wie Zahnpflegeversicherung ‹DP›, Reiseversicherung ‹Mundo› oder ‹Legis› – Rechtsschutz bei medizinischen Kunstfehlern. Weiter erfahren wir, wie der ‹perfekte Versicherungsantrag› ausgefüllt werden muss. Mit einem Offertprogramm am Computer oder von Hand – das spiele keine Rolle. Wichtig sei nur: ‹Wenn Sie Fehler machen, kann der Antrag nicht bearbeitet werden, und es gibt keine Provision.›

Das mit den Provisionen hatte mir Bianchi schon vorher schmackhaft gemacht. Wenn ich zum Beispiel einer Person über 61 die Grundversicherung mit Franchise 1000 Franken und die richtige Zusatzversicherung verkaufe, verdiene ich 500 Franken. Die Erklärungen zu den Internet-Seiten für Vermittler runden den vierstündigen Vortrag ab. Mit einem brummenden Schädel, zwei schweren Ordnern und 114 Formular-Blättern verlasse ich das Kurslokal. Ich darf jetzt Kunden besuchen und vermitteln. ‹Am besten sind 35- bis 45-Jährige›, gibt mir Bianchi mit auf den Weg. Die Jungen seien unzuverlässig, die würden jedes Jahr die Versicherung wechseln. Und das gebe Abzüge bei meinen Provisionen.

Immerhin: Falls ich beim Kundengespräch etwas nicht weiss, kann ich jederzeit meine Sales Managerin anrufen: ‹Das macht sich gut – auch während eines Verkaufsgesprächs. Damit zeigst du, dass du auf jemanden im Hintergrund zurückgreifen kannst.› Und: Sabine Bianchi ist auch bereit, mich bei meinem ersten Kundentermin zu begleiten – überall in der Schweiz. Aber nur, falls ich das wünsche. Von Weiterbildung hat sie kein Wort gesagt...


Groupe Mutuel schweigt

Der K-Tipp hat den Vorwurf der Schnellbleiche der Direktion des Krankenkassenkonglomerats Groupe Mutuel zur Stellungnahme vorgelegt. Die Zuständigen hätten auch Gelegenheit gehabt, die im Artikel geschilderten Vorkommnisse zu kommentieren. Sie haben jedoch verzichtet.