«Jeder Erstickungsanfall kann der letzte sein»
Inhalt
Gesundheitstipp 2/2000
01.02.2000
Cornelia und Adolf Koller über den Alltag mit einem Lungenemphysem
Adolf Koller ist unheilbar krank: Seine Lunge ist stark vergrössert. Die kleinste Anstrengung kann einen Erstickungsanfall auslösen, ebenso Zigarettenrauch. Seine Frau Cornelia lebt in ständiger Angst um ihn.
Adolf: Atemnot ist für mich normal. Schon als Kind schnappte ich beim Turnen und Spielen schneller nach Luft als die andern. Oft stand ich am Rand des Geschehens, um wieder zu Atem zu komme...
Cornelia und Adolf Koller über den Alltag mit einem Lungenemphysem
Adolf Koller ist unheilbar krank: Seine Lunge ist stark vergrössert. Die kleinste Anstrengung kann einen Erstickungsanfall auslösen, ebenso Zigarettenrauch. Seine Frau Cornelia lebt in ständiger Angst um ihn.
Adolf: Atemnot ist für mich normal. Schon als Kind schnappte ich beim Turnen und Spielen schneller nach Luft als die andern. Oft stand ich am Rand des Geschehens, um wieder zu Atem zu kommen. Später, als Mitarbeiter im Aussendienst, arbeitete ich zwar wie alle anderen. Ich war aber viel schneller erschöpft. Niemand schien das ernst zu nehmen. Doch die Erstickungsanfälle und Hustenattacken nahmen zu.
Cornelia: Dein Hausarzt sagte einfach, dass du «halt echli schwach» auf der Lunge bist. Genauere Abklärungen nahm er nicht vor.
Adolf: Vor etwa zehn Jahren wusste ich nicht mehr weiter, weil sich mein Zustand rapide verschlechterte. Ich suchte mir eine leichtere Arbeit und fing an Taxi zu fahren.
Cornelia: Zum Glück für uns! Ich arbeitete damals als Einsatzleiterin in der Taxizentrale und verliebte mich am Telefon in deine Stimme. Du warst immer freundlich und ausgeglichen, kaum je gestresst.
Adolf: Anfangs traute ich der Sache nicht so recht. Ich konnte es zuerst fast nicht glauben, dass du mich jüngeren, gesunden und leistungsfähigen Männern vorgezogen hast. Ich fragte mich, ob eine solche Beziehung Zukunft hätte.
Cornelia: Als ich dich zum ersten Mal sah - in deinem sehr schlechten gesundheitlichen Zustand -, erschrak ich tatsächlich. Aber es war zu spät, ich war bereits so verliebt, dass keine «guten» Ratschläge mich hätten von einer Beziehung abhalten können. So habe ich mein Bild halt etwas der Realität angepasst.
Adolf: Wir haben intensiv diskutiert. Du musstest wissen, dass meine Krankheit unheilbar ist. Damals hatte sie immer noch keinen Namen. Weder der Arzt noch meine Umwelt nahmen die Beschwerden so richtig ernst. Aber auch das Taxifahren war fast nicht mehr möglich. Erst nach einem besonders heftigen Hustenanfall mit starker Atemnot bestand ich endlich darauf, einen Spezialisten zu konsultieren.
Cornelia: Der Lungenspezialist stellte rasch die Diagnose Lungenemphysem, schrieb dich arbeitsunfähig und setzte dich unter Druck, sofort mit dem Rauchen aufzuhören.
Adolf: Ich bekam eine IV-Rente und rauchte heimlich weiter, bis ...
Cornelia: ... ich ein leeres Zigarettenpäckli im Kehrichteimer entdeckte. Sofort stellte ich dich vor die Wahl: die Zigaretten oder ich. Du hast gewusst, dass es mir ernst war. Ich wollte dich nicht verlieren.
Adolf: Das wirkte! Es fiel mir schwer, mit dem Rauchen aufzuhören, es war aber dringend nötig. Dein Entscheid für mich hat mir das Leben gerettet. Neben den massiven Atemproblemen litt ich seit langem an Zöliakie, einer Allergie gegen Weizengluten. Mein Darm kann keine normale Nahrung aufnehmen. Vor vielen Jahren kam ich ins Spital, weil mein Bauch aufgedunsen war wie bei einem Hungerkind. Ich wäre fast verhungert, obwohl ich genug ass.
Cornelia: Damals im Spital fand der Spezialarzt für innere Medizin die Ursache und verschrieb dir eine strenge Diät: weder Brot noch Nudeln, nichts mit Weizenmehl.
Adolf: Daran habe ich mich inzwischen gewöhnt. Von Fleisch, Gemüse, Reis, Kartoffeln oder Mais kann ich gut leben. Allerdings darf ein «Sösseli» kein Mehl enthalten.
Cornelia: Einladungen zu Fondue oder Spaghetti-Plausch müssen wir ablehnen.
Adolf: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen dieser Allergie und meiner Lungenkrankheit. Nichts als Zufall, dass ich gleich beide Leiden habe und zweimal lange litt, bevor Ärzte die richtige Diagnose stellten.
Cornelia: Wir heirateten vor acht Jahren. Die Luft am vorigen Wohnort direkt an einer befahrenen Strasse war eine richtige Gefahr für dich. Lüften brachte bloss Abgase ins Zimmer. Weil du kaum mehr Treppen steigen konntest, suchten wir eine neue Wohnung. Seit wir ebenerdig, abseits der Strasse und in Seenähe wohnen, fühlst du dich viel besser.
Adolf: Mein Arzt sagt immer, ohne dich würde ich nicht mehr leben. Das stimmt. Jetzt passe ich auf mich auf, und du hilfst mir viel. Du badest mich und wäschst mir die Haare.
Cornelia: Für mich ist das ganz normal, ich bin ja schliesslich deine Frau. Ich habe nie das Gefühl, ich müsse deine Krankenpflegerin sein. Ohne meine Hilfe bist du so erschöpft, dass wir nichts unternehmen können, zum Beispiel auswärts essen. Leider kennen wir in unserer Gegend nur ein einziges garantiert rauchfreies Restaurant.
Adolf: Dort dürfen weder Personal noch Gäste rauchen, auch nicht im Gartenrestaurant. Es scheint auch für andere Leute ein grosses Bedürfnis zu sein. Jedenfalls ist es immer gut besetzt.
Cornelia: Viele Gäste geniessen das Essen ohne Rauch und finden Düfte und Geschmack intensiver. Wenn wir an ein Fest eingeladen sind, erkundigen wir uns vorher, ob die Anwesenden rauchen dürfen. Unsere Familien und Freunde nehmen immer und gerne Rücksicht.
Adolf: Passivrauchen ist für mich gefährlich. Der Rauch einer Zigarette kann bei mir jederzeit einen Erstickungsanfall auslösen. Einmal ist es dann einfach der letzte.
Cornelia: Ich weiss nicht, wie oft ich dich schon notfallmässig ins Spital gefahren habe. Dort bekommst du sofort Sauerstoff. Jedes Mal dauert es etwa drei Wochen, bis du dich wieder einigermassen erholt hast.
Adolf: Wenn ich beim Spazieren eine stark befahrene Strasse kreuzen muss, halte ich die Luft an.
Cornelia: Haarlack oder Parfüm darf ich nur bei geschlossener Badezimmertüre benutzen. Anschliessend muss ich das Badezimmer gründlich lüften.
Adolf: Zum Glück ist es mir nie langweilig. Ich führe den Haushalt für uns beide. Ausser Staubsaugen und Wäsche aufhängen geht das gut. Ich bastle oft, sammle die verschiedensten Dinge und brauche viel Ruhe und Schlaf.
Cornelia: Ich fühle mich gar nicht eingeschränkt. Kinder wollte ich sowieso nie, auch nicht bevor ich dich kennen lernte. Manchmal gehe ich mit Kollegen tanzen. Wir reisen beide gerne. Fliegen ist zwar anstrengend für dich, aber auch weite Autofahrten wären problematisch. Meerluft tut dir jeweils sehr gut.
Adolf: Einmal war ich in einem Salzbergwerk. Ich fühlte mich dort wie neugeboren in der feuchten und salzigen Luft. Ich habe ein gutes Leben, trotz aller Einschränkungen.
Cornelia: Mir ist auch wohl. Wir haben viel zu lachen, viele Freunde. Weil wir uns so gut kennen, wissen wir auch, wie wir mit unsern sexuellen Bedürfnissen umgehen können, ohne dass du «gefährdet» bist.
Adolf: Wir geniessen das Leben so, wie es ist. Besser wird mein Lungenemphysem nicht. Selbst eine Lungentransplantation würde mir nicht helfen. Inzwischen hat sich mein Herz der zu grossen Lunge angepasst. Herz und Lunge zusammen kann noch niemand verpflanzen. Ich weiss zwar, dass ich jederzeit sterben kann, aber ich habe keine Angst.
Cornelia: Ich schon. Bei jedem Anfall gerate ich in Panik, obwohl ich weiss, dass das niemandem hilft. Ich verliere einfach den Kopf und habe Angst, dich zu verlieren. Zum Glück haben wir Nachbarn, die jederzeit gerne vorbeischauen und im Notfall helfen, wenn ich weg bin. Ich telefoniere jeden Morgen, damit ich beruhigt weiterarbeiten kann.
Adolf: Ich habe mich schon viel mit dem Jenseits beschäftigt. Zum Glück habe ich meistens noch Kraft, dich zu beruhigen. Ich weiss, dass du nur aus Angst um mich so heftig reagierst. Der Umgang mit meiner Krankheit hat mich geduldiger, gelassener und toleranter gemacht. Da ich nichts ändern kann, nehme ich einfach einen Tag nach dem andern, so wie er ist.
Aufgezeichnet: Ursula Angst
Lungenemphysem: Körper erhält zu wenig Luft
Beim unheilbaren Lungenemphysem ist die Lunge krankhaft ausgedehnt. Dadurch werden Betroffene massiv kurzatmig und haben oft Atemnot.
- Weil die Lungen das Blut nur noch schlecht mit Sauerstoff versorgen, leidet auch der Herzmuskel. Quälender Husten schwächt den Allgemeinzustand zusätzlich. Zudem sind bei Betroffenen die nächtlichen Erholungsphasen oft beeinträchtigt.
- Psychische Probleme kommen oft dazu, weil die Erkrankten sich häufig isolieren. Schon kleinste Verrichtungen führen zu kompletter Erschöpfung.
- Neben lindernden Medikamenten gibt es spezielle Physiotherapie: Drainagebehandlung, um die Bronchien von Sekreten zu befreien, und Atemtherapie.
- Bei chronischem Husten und Atemproblemen sollte man sofort einen Lungenfunktions-Test vornehmen lassen. Bereits im Frühstadium der Krankheit gilt: sofort aufhören zu rauchen!
Auskünfte geben: Kantonale Lungenligen oder Lungenliga Schweiz, Südbahnhofstrasse 14c, Postfach, 3000 Bern 17, Tel. 031 378 20 50