Wenn sie malt, kann Christine Heim ihre Depression ein bisschen vergessen. «Dann tauche ich in eine andere Welt ein», sagt die 49-Jährige. Schon seit vierzehn Jahren hat Christine Heim immer wieder depressive Schübe.
Als die Krankheit begann, war
Heim Aussendienst-Mitarbeiterin, stundenlang mit dem Auto unterwegs und hatte oft Stress. «Ich fühlte mich immer unglaublich müde, völlig erschöpft.» Bei längeren Strecken musste sie zwischendurch anhalten und schlief im Auto einfach ein. «Ich hatte auch zunehmend Mühe, mich zu konzentrieren.» Deshalb besuchte sie esoterische Kurse. Bis ihr schliesslich eine Kursleiterin sagte: «Du hast eine Depression und musst zum Psychiater.» Diese Feststellung habe sie weder getroffen noch überrascht, so Heim: «Ich spürte nichts, war zu keinen Gefühlen mehr fähig.» Der Psychiater bestätigte die Vermutung der Kursleiterin. Er überwies Heim in eine Klinik. Fünf Monate blieb sie dort. «Es tat mir gut. Endlich konnte ich mich fallen lassen.»
Einem Viertel helfen Scheinmedikamente
Praktisch jeder siebte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer Depression. Dies die Feststellung des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Die meisten Patienten bekommen von ihrem Arzt Medikamente verschrieben. Doch deren Nutzen ist umstritten. Fachleute wie der britische Psychologie-Professor Irving Kirsch kritisieren, dass Antidepressiva weniger bringen als erwartet. Ein grosser Teil der Wirkung beruhe «auf dem Placeboeffekt», so Kirsch. Ein möglicher Grund: Die Ursache von Depressionen ist viel komplizierter als bloss ein Zuviel oder Zuwenig bestimmter Botenstoffe im Hirn.
Eine neue Untersuchung der Uni Chicago (USA) zeigt, dass die Mittel vor allem älteren Menschen wenig helfen. Die Forscher untersuchten die Wirkstoffe Fluoxetin und Venlafaxin. Fluoxetin ist in Fluctine enhalten, Venlafaxin in Efexor. Mit diesen Medikamenten ging es zwar 37 von 100 Senioren besser. Doch auch mit Placebos besserte sich die Depression bei 27 von 100 Studienteilnehmern. Bei den jüngeren Erwachsenen wars anders: 55 von 100 Patienten profitierten von den Antidepressiva.
Christine Heim hat schon unzählige Medikamente ausprobiert, in verschiedenen Kombinationen. Zurzeit schluckt sie Cymbalta und ein Epilepsie-Medikament, das auch gegen psychische Krankheiten wirken soll. Doch die Patientin ist ernüchtert: «Bisher hat mich kein einziges Antidepressivum vor einem Rückfall bewahrt.» Sie habe sich oft gewünscht, keine Tabletten mehr nehmen zu müssen. Der Psychiater habe jedoch befürchtet, dass die depressiven Schübe dann noch schlimmer wären. «Davor habe ich Angst.» Die Nebenwirkungen der Mittel seien erträglich. Eines habe ihren Blutdruck erhöht, ein anderes Angstträume ausgelöst oder Probleme, die richtigen Wörter zu finden.
Leiden Patienten stark unter Nebenwirkungen, kann es helfen, das Medikament zu wechseln. Je nach Gruppe treten unterschiedliche Probleme auf (siehe Tabelle). Es gibt auch Alternativen wie Akupunktur, Psycho- und Bewegungstherapie. Kürzlich zeigte eine grosse internationale Studie: All diese Therapien besserten die Beschwerden ebenfalls bei rund der Hälfte der Patienten.
Peter Bäurle, Chefarzt an der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Aadorf TG, ist überzeugt: Bei den meisten Patienten hat die Kombination von Psychotherapie, Medikamenten, Aktivierungstherapie und Akupunktur die besten Chancen auf Erfolg. Antidepressiva seien vor allem bei schweren Depressionen mit Suizidgedanken nötig, mittelschwere könne man mit pflanzlichen Mitteln behandeln. Pillen alleine genügten selten: «Depressive Menschen haben Probleme. Diese muss man lösen.» Dabei helfe eine Psychotherapie. Das reduziere die Rückfälle. Wichtig sei auch, auf die Bedürfnisse des Patienten einzugehen: «Ist er von einer Methode überzeugt, erhöht das die Chancen, dass sie hilft.»
Meditel: Antidepressiva
Haben Sie das Gefühl, dass die Medikamente zu wenig nützen? Sind Sie unsicher, ob die Kombination der Mittel zusammenpasst? Spüren Sie starke Nebenwirkungen?
Rufen Sie an. Die Ärztinnen Elisabeth Wanner und Stephanie Wolff beantworten Ihre Fragen. Bitte nehmen Sie alle Medikamente, die Sie verwenden, mit ans Telefon.
Beratungszeiten:
Montag, 10. Dezember: 9 bis 13 Uhr
Dienstag, 11. Dezember: 12 bis 16 Uhr