Beim Zürcher Marathon rannte er in eine Tafel und stürzte. Doch ans Aufgeben dachte Matthias Ackeret nie. Mittlerweile hat der 50-jährige Journalist vier Marathonläufe bestritten. Die körperlichen Strapazen bekommt er dabei immer zu spüren. «Ich habe gelesen, der Marathon sei der Mount Everest des kleinen Mannes. Das stimmt.»
Auch der 50-jährige Markus Gerber aus Rüfenacht BE will im kommenden Jahr zwei Marathonläufe bestreiten. Und trainiert dafür sechs Mal in der Woche. Sein Fazit: «Im Alter braucht man längere Erholungspausen.»
Viele Männer um die 50 wollen es noch einmal wissen und nehmen Herausforderungen an, die nur für gut trainierte Athleten gedacht sind: Marathonläufe über 42 Kilometer oder den Ironman, bei dem noch 180 Kilometer Radfahren und fast 4 Kilometer Schwimmen dazukommen. Eine Umfrage des Gesundheitstipp bei Veranstaltern wie dem Zürcher Ironman oder dem Swiss Alpine in Davos zeigt: Die Teilnahme von Männern und Frauen um die 50 ist steigend.
Doch nicht alle kennen ihre Grenzen. Vor allem Männer rennen, schwimmen und radeln bis zur Erschöpfung – sogar bis zum Tod: In den letzten zehn Jahren starben weltweit 29 Athleten an Triathlon-Wettkämpfen. Dies zeigt eine Statistik des deutschen Sportmediziners Klaus Pöttgen. Die meisten Todesfälle ereigneten sich beim Schwimmen.
In den USA haben Forscher des Minneapolis Heart Institute während drei Jahren Triathlon-Veranstaltungen beobachtet. Die grösste Gruppe der Opfer betrifft Männer im Alter zwischen 40 und 60.
Auch in der Schweiz gibt es immer wieder Todesfälle: Zuletzt traf es im August einen 55-jährigen Sportler am Triathlon in Uster ZH. Der Läufer sei kurz vor dem Ziel zusammengebrochen und trotz sofort eingeleiteter Massnahmen verstorben, heisst es beim Veranstalter.
Diagnose «plötzlicher Herztod» am häufigsten
Bei praktisch allen Todesfällen an Ausdauerrennen stellten Ärzte die Diagnose «plötzlicher Herztod». Christian Schmied, Herzspezialist und Sportkardiologe am Unispital Zürich, erklärt die Ursachen: «Etwa ab 30 beginnen die Wände der Blutgefässe zu verkalken.» Beim Sport wirken Reibungskräfte auf diese Kalkschichten, die sogenannten Plaques. Laut Schmied können Teile davon während der Anstrengung aufreissen. Das setzt die Blutgerinnung in Gang mit der Folge, dass ein Blutpfropfen ein Gefäss im Herzen verstopfen kann. Bei manchen Sportlern seien hingegen verengte Herzkranzgefässe schuld. Schmied: «Der Herzmuskel bekommt zu wenig Blut und damit zu wenig Sauerstoff. Beide Mechanismen führen zum Herzinfarkt.» Herzspezialist Schmied sagt, dass vier Fünftel aller Todesfälle von über 30-Jährigen bei Sportanlässen darauf zurückzuführen seien.
Am Tod von jüngeren Sportlern seien hingegen praktisch immer angeborene Herzfehler schuld, so Schmied. Diese könne man durch einen Check beim Arzt frühzeitig entdecken. Schmied rät deshalb allen ambitionierten Sportlern – egal welchen Alters – zu einem Untersuch beim Experten, bevor sie sich ins Training stürzen. Schmied: «Der Herztod ist zwar ein eher seltenes Ereignis, dennoch könnte man Ihn in den meisten Situationen vermeiden.»
Wer zu verbissen um den sportlichen Erfolg kämpft, gefährdet aber nicht nur sein Herz. Auch das Immunsystem kommt unter Druck. Schmied: «Der Körper wird bei extremen Belastungen anfälliger für Infektionskrankheiten.»
Warum gerade Männer um die 50 den schnellen Erfolg im Extremsport suchen, dafür haben Fachleute Erklärungen. Patrick Noack betreut als Leiter am Medbase Zentrum für Medizin und Sport in Abtwil SG die Schweizer Triathleten, die an internationalen Wettkämpfen starten. Er sagt: «Sobald die Kinder älter, das Haus gebaut und die berufliche Karriere etabliert sind, hat man wieder mehr Zeit und neue Ziele.» Noack beobachtet oft, dass diese Sportler ihren ganzen Ehrgeiz daran setzen, in kurzer Zeit zum Beispiel einen Marathon zu laufen. Noack: «Das sind oft unrealistische Vorhaben, die tragisch enden können.»
Derselben Ansicht ist Sportarzt Walter O. Frey, Leiter von Movemed am Unispital Balgrist in Zürich: «In meine Sprechstunde kommt manch ein 40- bis 50-Jähriger, frisch von der Stammtischwette, mit der Frage, was er machen müsse, um noch im selben Jahr den New Yorker Marathon laufen zu können.» Für Frey ist das «ein Symptom einer Midlife Crisis».
Walter Kistler ist Rennarzt beim Swiss Alpine Marathon und beim Gigathlon. Er bestätigt: «Viele suchen eine neue Grenzerfahrung.» Dies töne dann etwa so: «Neuer Job, neue Frau und jetzt noch den Marathon laufen.»
Erschöpfung führt zu Trainingsrückschritt
Ein weiteres Problem: Nicht selten wollen ältere Sportler nach einer längeren Pause wieder aktiv werden. Laut Sportarzt Peter Schnorr von der Sport Clinic Zurich neigen Wiedereinsteiger aber dazu, zu schnell zu viel von sich zu verlangen. Schnorr: «Sie wollen gleich zu Beginn dort anknüpfen, wo sie als junge Sportler aufgehört haben.» Dies führe oft zu einem Übertraining. In der Folge seien die Sportler erschöpft und machten im Training Rückschritte statt Fortschritte.
Sport sollte aber nicht in Stress ausarten, sondern vor allem Spass machen. Mit dieser Einstellung können Sportler auch bis ins hohe Alter an Wettkämpfen teilnehmen. Sportarzt Kistler sagt: «Die Älteren laufen dann sogar oft viel vernünftiger als die Jüngeren.» Denn sie wüssten, wie sie ihre Kräfte einteilen müssten.
Das weiss auch der 73-jährige Wolfgang von Känel aus Oberägeri ZG. Er habe zwar «einen gesunden Ehrgeiz», sagt er. Verbissen zu trainieren, sei aber nicht sein Ding. Klar probiere er, besser als die Konkurrenten zu sein. «Aber ich überschreite meine körperlichen Grenzen nicht», sagt er. Denn dann mache man Fehler. Dieses Jahr siegte von Känel an der Triathlon-Europameisterschaft in Zürich in seiner Alterskategorie. Der ehemalige Küchenchef trainiert rund 15 Stunden wöchentlich – draussen, bei jedem Wetter. Das bedeute für ihn Lebensqualität.
Regelmässig den Ruhepuls überprüfen
Sport ist in jedem Alter gesund – mit Mass. Wer sich regelmässig bewegt, schützt die Blutgefässe vor Arteriosklerose und damit sich selbst vor Herzinfarkt. Ingo Froböse, Sportwissenschafter der deutschen Sporthochschule Köln, sagt: «Alles, was mich nicht überfordert, ist gesund.» Im Alter brauche der Körper aber längere Erholungszeiten.
Ob man sich überfordert hat, könne man leicht selber feststellen. Froböse empfiehlt, am Morgen nach dem Training drei bis viermal eine Minute lang den Ruhepuls zu messen und dann den Mittelwert zu berechnen. «Ist dieser Durchschnittswert nach einem Training erhöht, muss man sich zurücknehmen.»
Mit zunehmendem Alter geht laut Froböse zudem die Schnelligkeit zurück, weil das Zusammenspiel zwischen den Nerven und den schnellen Muskelfasern nicht mehr so gut funktioniert. Deshalb seien für ältere Menschen eher Ausdauersportarten geeignet.
Das nahm sich Rosmarie Marolf aus Biel schon vor Jahren zu Herzen. Sie ist 70 und bestreitet jedes Jahr den Bieler 100-Kilometer-Lauf. Sie läuft, seit sie denken kann. «Ich renne aus Freude, es geht mir nicht um Zeiten», sagt sie. Rennen halte sie «jung und fit». Es ist für sie auch eine Lebensschule: «Man lernt, dass man durchhalten muss – und es auch kann, wenn man will.»
Richtig gepackt hat sie das Rennfieber mit Ende Dreissig. Da wollte sie den «Hunderter» laufen, ohne speziell dafür trainiert zu haben. Das ging gründlich schief. Nach 18 Stunden und 5 Minuten sei sie zwar im Ziel angekommen. Danach sei sie aber zwei Wochen lang «schlächt zwäg» gewesen. Daraus hat sie ihre Lehren gezogen.
Marathon: So bereiten Sie sich richtig vor
- Bevor Sie mit dem Training beginnen: Klären Sie beim Arzt ab, ob Ihr Herz und Kreislauf gesund sind
- Beginnen Sie mindestens sechs Monate vor dem Lauf mit regelmässigem Training
- Wählen Sie ein eher hügeliges Laufgelände. So trainieren Sie alle Muskeln
- Joggen Sie jeden zweiten Tag und nur 4 bis 6 Stunden pro Woche
- Laufen Sie in den ersten Wochen nicht länger als etwa eine Stunde am Stück
- Steigern Sie Ihr Training acht Wochen vor dem Lauf
- Laufen Sie in dieser Zeit einmal pro Woche 3,5 Stunden am Stück. Legen Sie danach eine Ruhepause von drei Tagen ein. Laufen Sie in dieser Zeit bis 80 Kilometer pro Woche
- Gehen Sie vier Wochen vor dem Lauf runter mit der Leistung: Laufen Sie nur noch maximal 60 Kilometer pro Woche
- Machen Sie regelmässig andere Sportarten wie Velofahren oder Schwimmen
- Mehr Informationen: www.dr-walser.ch (/Marathon/Jogging)