Ich hatte jahrelang Blähungen und fürchterliches Bauchweh nach dem Essen», erinnert sich saldo-Leserin Ilse S. aus Untersiggenthal AG. Sie führte dies auf einen empfindlichen Magen und Darm zurück und achtete auf eine gesunde Ernährung. Doch die Beschwerden verschwanden nicht. Ein Atemtest erbrachte die Überraschung: Ilse S. leidet an einer Milchzucker-Unverträglichkeit. Die Leserin gehört zu den gut 15 Prozent Schweizern, die Milchzucker (Laktose) nicht ausreichend verdauen. Grund dafür ist ein fehlendes Verdauungsenzym im Dünndarm, das den Milchzucker aufspaltet. Die Laktose gelangt bei diesen Menschen unverdaut in den Dickdarm, wo sie gärt. Die Folgen: Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Erbrechen.
Einsatz als Geschmacksverstärker und Konservierungsmittel
Für Betroffene gibts nur eins: Sie müssen ihre Essgewohnheiten umstellen. «Aber nur mit begleitender Beratung», empfiehlt die diplomierte Ernährungsberaterin Nathalie Metzger aus Glarus. «Der Laie kennt all die versteckten Laktosequellen nicht.» So ist Milchzucker in vielen Lebensmitteln, aber auch in Medikamenten und homöopathischen Kügelchen zu finden. Die Lebensmittelindustrie verwendet Laktose, um die Haltbarkeit der Produkte zu verlängern, und als Geschmacksverstärker – etwa für Fertigprodukte und Streuwürze. Eine laktosefreie Diät ist laut Metzger nicht notwendig. Laktosearme Ernährung genügt. «Jeder Mensch muss selber darauf achten, welche Mengen er ohne Beschwerden zu sich nehmen kann.» Christiane Pichler, Allergologin am Berner Inselspital, ist gleicher Ansicht: «Wer sich gut beobachtet und darauf schaut, was er isst und trinkt, findet leicht heraus, was er verträgt.» Sie rät, laktosefreie Spezialprodukte zu konsumieren, anstatt Milchprodukte zu meiden. «Man sollte nicht ganz auf das Kalzium in der Milch verzichten.» Pichler und Metzger betonen: «Auch ein Mensch mit einer starken Laktose-Intoleranz kann einen Deziliter Milch pro Tag trinken.»
Hartkäse kann ohne Bedenken gegessen werden
Nicht jedes Milchprodukt enthält gleich viel Laktose. Je mehr es fermentiert ist, desto weniger Laktose bleibt. Am meisten Milchzucker hat es in Vollmilch, Joghurt und Quark. Frisch- und Weichkäse enthalten deutlich weniger. Butter besteht in erster Linie aus Milchfett. Laktosefrei ist Hartkäse: Der Milchzucker wird bei der Reifung vollständig abgebaut. Ob Fertigprodukt, Gewürze oder Milchprodukt – der Blick auf die Zutatenliste ist für Menschen mit Laktose-Intoleranz unerlässlich. Zwar muss Milchzucker auf der Produkteverpackung aufgeführt sein. Doch in den meisten Geschäften sucht man laktosefrei deklarierte Produkte vergeblich. Ein saldo-Augenschein bei den Grossverteilern und Reformhäusern zeigt: Bei Denner, Aldi, Volg und Spar gibt es nur vereinzelt Spezialprodukte im Sortiment.
Grösste Produkteauswahl bei Coop, Migros und Reformhäusern
Coop und Migros hingegen haben den Markt mit Allergien und Lebensmittel-Unverträglichkeiten entdeckt. Die beiden Grossverteiler führen neben Reformhäusern die grössten Sortimente unter einheitlichen Labels. Den Kunden am leichtesten macht es Coop: Das grüne Schild mit der Aufschrift «free from» steht von den Regalen ab und ist von weitem zu sehen. Das laktosefreie Sortiment reicht von den klassischen Milchprodukten über Französische Salatsauce bis zu Gemüsebouillon, Streuwürze und Fleisch-Würzmischung.
Auch bei der Migros weist ein Schild an vereinzelten Stellen im Kühlregal auf Produkte mit dem «aha!»-Gütesiegel hin. Die Läden führen in erster Linie laktosefreie Milchprodukte, aber auch Tofu und Hinterschinken. Eher mühsam zusammensuchen muss der Kunde die laktosefreien Joghurts hingegen etwa im Zürcher Reformhaus Vier Linden. Der Bio-Laden führt neben verschiedenen Joghurts, Quarks, Reis- und Soja-Drinks auch einen laktosefreien Mozzarella und Guetzli.
Für Ernährungsberaterin Metzger sind diese Produktelinien wertvoll: «Sie sind kontrolliert und erhöhen die Sicherheit der Konsumenten.» So enthalte zwar eine normale Gemüsebouillon keine Laktose. Aber wenn der gleiche Betrieb laktosehaltige Produkte herstelle, könne es zu Verunreinigungen kommen. Deshalb deklariert die Migros laut Sprecherin Monika Weibel laktosefreie Produkte wie Biscuits nicht. So hilfreich die Spezialprodukte sind, ein Wermutstropfen bleibt: Einige sind deutlich teurer als ihre normalen Pendants. Ein Free-from-Joghurt kostet 48 Rappen pro 100 Gramm, das Joghurt der Coop-Eigenmarke 25 Rappen. Bei der Migros sind 100 Gramm Valflora-Butter für Fr. 1.55 zu haben, die laktosefreie Butter kostet Fr. 2.70. Das Kilogramm Aha!-Schinken gibt es für 44 Franken, den TerraSuisse-Schinken für 34 Franken pro Kilogramm.
Intoleranz und Allergie: Das müssen Sie wissen
Laktose-Intoleranz: Etwa zwei Drittel der weltweiten Bevölkerung leiden an Laktose-Intoleranz. Bei den meisten Asiaten fehlt das Verdauungsenzym ganz. Stark betroffen sind auch die schwarze Bevölkerung der USA und die Bevölkerung im Mittelmeerraum. Christiane Pichler, Allergologin am Berner Inselspital, führt dies auf die genetischen Veranlagungen zurück. In der Schweiz vertragen mindestens 15 Prozent Laktose nicht. Meist treten die Beschwerden erst bei Erwachsenen auf. Grund: Die Aktivität des Verdauungsenzyms nimmt im Lauf des Lebens ab. «Laktose-Intoleranz wird heute häufiger diagnostiziert als früher», sagt die Ernährungsberaterin Nathalie Metzger. Sie erklärt dies damit, dass die Menschen heute bei Verdauungsbeschwerden schneller zum Arzt gehen. Nicht jede Laktose-Intoleranz ist von Dauer oder genetisch bedingt. Sie kann auch nach einer Dünndarmoperation oder als Folge anderer Krankheiten wie Reizdarm oder der Gluten-Unverträglichkeit Zöliakie auftreten. Allergologin Pichler: «Nach einem heftigen Durchfall kann es zu einer kurzzeitigen Laktose-Intoleranz kommen.»
- Symptome: Die typischen Symptome sind Blähungen, Völlegefühl, chronische Durchfälle, Bauchkoliken.
- Diagnose: Wer den Verdacht hegt, an einer Milch-zucker-Unverträglichkeit zu leiden, kann dies selber testen: Einige Tage auf Kuhmilchprodukte verzichten und nach der Wiederaufnahme der gewohnten Ernährung darauf achten, ob die Symptome zurückkehren. Wer sicher sein will, sollte zum Arzt gehen, der beispielsweise die Atemluft nach der Einnahme von Milchzucker testet.
- Behandlung: Laktose-Intoleranz ist nicht heilbar. Betroffene können aber ihre Beschwerden lindern, indem sie auf Milchprodukte verzichten respektive den Konsum reduzieren. Bei Einladungen oder Restaurantbesuchen kann das Verdauungsenzym in Tablettenform hilfreich sein. Wichtig ist, dass die Pillen vor oder mit dem Essen eingenommen werden. Das Präparat heisst Lactigest und ist in Apotheken rezeptfrei erhältlich.
Kuhmilchallergie: Nicht mit der Intoleranz zu verwechseln ist die sehr seltene Kuhmilchallergie, bei welcher der Körper auf das Eiweiss in der Milch reagiert. Die Reaktion kann von Hautausschlägen bis zu einem Multi-Organ-Versagen reichen. Betroffene müssen Milch und Milchprodukte absolut meiden. Da die Eiweisse einander ähnlich sind, gilt dies für die Milch aller Tiere.