Ängstlich? Gestresst? Erschöpft? – Bevor alle Stricke reissen: Vitango.» So preist Hersteller Schwabe Pharma seine Tabletten mit Rosenwurz-Extrakt an. Unterdessen findet man in Apotheken und Drogerien eine ganze Reihe solcher Pflanzenmittel, die die Folgen von Stress mildern sollen: Sie enthalten z. B. Extrakte aus Ginseng, Taigawurzel, Baldrian oder Passionsblume (siehe Tabelle im PDF).
Tatsächlich können solche Mittel in stressigen Zeiten eine gewisse Stütze sein. Der Zürcher Psychiater Peter Mai setzt bei seinen Patienten häufig auch auf pflanzliche Mittel: «Sie beruhigen, können Ängste lösen oder stärken den Körper und die Psyche, damit man dem Stress besser begegnen kann.» Die Nebenwirkungen sind meist gering.
Ist man bei Stress vor allem nervös und schläft schlecht, helfen Pflanzenmittel, die beruhigen. Dazu gehören Baldrian und Passionsblume. Auch Johanniskraut beruhigt, zudem hellt es die Stimmung auf und löst Ängste. Von allen Pflanzenmitteln bei Stress ist Johanniskraut dasjenige, dessen Wirksamkeit am besten nachgewiesen ist.
Lavendelöl kann man auch inhalieren
Ebenfalls gegen Ängste helfen die Lavendelöl-Kapseln Lasea, die es bald auch in der Schweiz zu kaufen gibt. Allerdings verursachen sie öfters Aufstossen. Ärztin und Homöopathin Stephanie Wolff: «Man kann die ätherischen Öle von Lavendel auch inhalieren, zum Beispiel mit Hilfe einer Duftlampe oder eines Lavendelkissens.» Vermutlich habe dies einen ähnlichen Effekt.
Gute Erfahrungen hat Psychiater Mai bei Stress-Patienten auch mit Ginkgo gemacht. Die Pflanze ist zwar vor allem als Mittel gegen Demenz bekannt. Doch bei Stress kann sie ebenfalls wirken, wenn sich jemand schlecht konzentrieren kann: «Ginkgo verbessert Aufmerksamkeit und Konzentration», sagt Peter Mai.
Dieselbe Wirkung schreiben Therapeuten Tabletten mit Ginseng, Taigawurzel oder Rosenwurz zu. Diese Mittel sollen den Körper zusätzlich gegen die Stressfolgen stärken. So gebe es Hinweise, dass die Muskeln dank Ginseng besser mit Sauerstoff versorgt sind. Auch das Immunsystem funktioniere besser. Gut nachgewiesen ist die Wirkung allerdings nicht.
Etwas besser ist die Lage bei Präparaten mit Rosenwurz, zum Beispiel bei Vitango. Peter Mai setzt sie öfters ein: «Rosenwurz wirkt zusätzlich auf die Psyche, denn er beruhigt.» Diese Pflanze hemme auch die Stressreaktion und reduziere Müdigkeit. «Das kann helfen, wenn man sich überarbeitet hat», so Mai.
Doch diese Mittel sind nicht immer geeignet: Wenn der Stress zu lange anhält und Betroffene bereits chronisch erschöpft sind – zum Beispiel bei einem Burnout – rät Ärztin Wolff von Mitteln mit Ginseng, Taigawurzel oder Rosenwurz ab. Gemäss Studien greifen sie in den Haushalt der Stresshormone ein – und dieser funktioniert bei chronisch Erschöpften nicht mehr normal. Die Ärztin empfiehlt diese Heilpflanzen nur bei akutem Stress und wenn die Betroffenen noch ein wenig Energiereserven haben.
Pflanzliche Mittel wirken nicht sofort
Allerdings braucht man bei pflanzlichen Mitteln immer etwas Geduld: Es dauert oft Tage, bis man spürt, dass sie wirken. Trotzdem sollte man damit nicht allzu lange selber experimentieren, rät Psychiater Mai. Haben die Beschwerden nach drei, vier Wochen nicht nachgelassen, sollte man zum Arzt. «Ohne die richtige Diagnose und Therapie kann sich eine Angststörung oder ein Burnout verschlimmern.»
Medikamente allein – ob pflanzlich oder chemisch – sind ohnehin keine langfristige Lösung für Menschen, die unter Stress leiden. Peter Mai empfiehlt, nach den Ursachen zu forschen, die Situation am Arbeitsplatz oder zu Hause zu überdenken und zu ändern. Oft müssen Betroffene auch an ihrer Persönlichkeit arbeiten. Sie müssen lernen, Grenzen zu setzen, bevor ihnen alles zu viel wird. Oder ihre überhöhten Ansprüche, alles perfekt machen zu wollen, korrigieren.
Laut den Herstellern gibt es zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit ihrer Präparate ausreichend belegen. Zudem verweisen die Firmen auf die lange Erfahrung. Die Nebenwirkungen würden in der Packungsbeilage stehen, seien selten und meist gering. Zeller Medical schreibt, dass Arzneimittel mit Johanniskraut oder Ginkgo auch in Leitlinien von Fachgesellschaften empfohlen werden. Dies bestätige den Nachweis der Wirksamkeit. Schwabe Pharma sagt, ihre Produkte seien von der Arzneimittelbehörde geprüft und zugelassen. Laut Herbamed halte Vigor bei Stress «einigermassen leistungsfähig». Wer dauernd unter Stress stehe, müsse aber seine Lebensumstände ändern. Ginsana empfiehlt, die Kapseln zusammen mit einer Mahlzeit einzunehmen. Dann gebe es keine Nebenwirkungen auf Magen und Darm. Bei chronischer Erschöpfung sei es aber Aufgabe des Arztes, zu entscheiden, ob das Ginseng-Präparat geeignet sei.