Mittelchen für lausige Zeiten
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Gesundheitstipp 4/2001
01.04.2001
Kopfläuse: So können Sie den Kampf gegen die krabbelnden Plagegeister gewinnen
Läuse auf den Köpfen ihrer Kinder versetzen Eltern in Alarmstimmung. Doch Ratschläge von Schulen, «Laustanten» oder Apotheken sind oft widersprüchlich. Der Puls-Tipp zeigt, wie Betroffene zu Experten werden.
Claudia Peter cpeter@pulstipp.ch
«Was, Ihr Kind hat Läuse? Da haben wir gute Erfahrungen mit Prioderm und Lusap gemacht.» Oder: «Wir empfehlen Loxazol.» Od...
Kopfläuse: So können Sie den Kampf gegen die krabbelnden Plagegeister gewinnen
Läuse auf den Köpfen ihrer Kinder versetzen Eltern in Alarmstimmung. Doch Ratschläge von Schulen, «Laustanten» oder Apotheken sind oft widersprüchlich. Der Puls-Tipp zeigt, wie Betroffene zu Experten werden.
Claudia Peter cpeter@pulstipp.ch
«Was, Ihr Kind hat Läuse? Da haben wir gute Erfahrungen mit Prioderm und Lusap gemacht.» Oder: «Wir empfehlen Loxazol.» Oder auch: «Am besten ist Jacutin!» Eine Stichprobe in drei zufällig ausgewählten Apotheken ergab drei verschiedene Antworten. Die empfohlenen Mittel haben zwei Dinge gemeinsam: Es sind keine Wundermittel. Und bei allen handelt es sich um aggressive Pestizide.
Überall in der Schweiz starten immer wieder Läuse ihre Angriffe auf Kinderköpfe. In Bern waren einige der apothekenpflichtigen Lausshampoos und -gels kürzlich vollkommen ausverkauft. In Zürich brach im Februar der Nachschub zeitweilig zusammen. Die Eltern sind überfordert. Läuse? Aus ihrer Jugend kennen die meisten Läuse nicht.
Auch Christine Blaser war völlig überrascht, als die Coiffeuse, die gerade die Haare ihrer achtjährigen Tochter Claire schnitt, ihr zurief. «Frau Blaser, sind das Läuse auf Claires Kopf? Christine Blaser sah sich den Kopf ihres Kindes an. Tatsächlich: Dutzende der Tierchen krabbelten putzmunter auf Claires Kopf herum.
Heute, zwei Jahre und zehn Laus-Behandlungen später, sagt die selbständige Architekturfotografin: «Ich hatte damals keine Ahnung, was auf mich zukommen würde.»
Freunde und Mitschüler rasch informieren
Sofort erzählte sie Claires Lehrerin von dem Malheur. Diese klärte die Klasse auf, es gebe Kinder mit Läusen. «Sie sagte auch, welche Kinder das sind», erinnert sich Claires Freundin Alexandra. «Damit wir nicht die Köpfe zusammenstecken und uns so die Läuse holen.» Ausserdem gab es jede Menge Ratschläge für die Mutter: Läusemittel kaufen und allen Familienmitgliedern damit die Haare waschen, Bettwäsche kochen, Kleider waschen, Möbel saugen, Stofftiere auf den Balkon verbannen oder einfrieren.
«So eine Entlausungsaktion dauert jedes Mal Stunden», klagt Christine Blaser. Zwei Wochen später waren die Tierchen in der Regel wieder da. Dann werde ihr, der Mutter, die Schuld zugeschoben. «Alle denken - und manche sagen dies auch -, ich hätte nicht sorgfältig genug gearbeitet», berichtet Christine Blaser. «Dabei informieren Schulen, "Laustanten" und Apotheker widersprüchlich - häufig auch falsch.»
Blaser hat sich inzwischen fast zu einer Expertin in Sachen Kopfläuse entwickelt. Sie rät lausgeplagten Eltern, sofort zur Kinderärztin oder zum Hautarzt zu gehen. Der Arzt kenne einige Tricks. «Ausserdem muss die Krankenkasse in der Zusatzversicherung alle gängigen Lausmittel bezahlen - nur sagt das einem niemand.» Christine Blaser hat bis vor kurzem dafür ihre Haushaltskasse geplündert. «Das geht ganz schön ins Geld», weiss sie.
Läuse sind resistent gegen viele Mittel
Ein Thema fällt nach Blasers Erfahrung besonders gern unter den Tisch: Resistenzen. Dabei steht fest: Es gibt Läuse, denen handelsübliche Shampoos nichts mehr anhaben können. Bereits Ende der Neunzigerjahre fand ein britisches Forscherteam Läuse, gegen die sowohl Permithrin, der Wirkstoff in Loxazol, als auch Malathion, der Wirkstoff in Prioderm und Lusap, wirkungslos blieben. «In Einzelfällen wäre die zehnfache Dosis notwendig, um die Läuse zu töten», sagt Godehard Hoffmann, Experte für Schädlingsbekämpfung beim deutschen Umweltbundesamt.
Doch die Devise «Viel hilft viel» wäre ein fataler Trugschluss. Denn alle Lausmittel sind hochwirksame Pestizide. Sie werden zum Teil in der Schädlingsbekämpfung eingesetzt und können erhebliche Nebenwirkungen haben.
Nathalie Slivensky (Name geändert) kann ein Lied davon singen. Die Töchter der Zürcherin traf es bereits im Kindergarten. «Panik», so sieht sie es heute, trieb sie zu einer gefährlichen Gewaltkur. Sie kaufte das Mittel Loxazol. Auf der Packung stand: «Zur einmaligen Behandlung bei Kopfläusen.»
Doch als die Läuse am Morgen nach der Haarwäsche noch immer auf den Köpfen ihrer Töchter herumkrabbelten, geriet Nathalie Slivensky in Panik. Sie wusch den Kindern gleich noch einmal die Köpfe. Ein fataler Fehler: Die Mutter bekam Atembeschwerden. «Es dauerte vier Tage lang», berichtet sie. «Immer, wenn ich draussen war, hatte ich das Gefühl, ich könne nicht mehr richtig durchatmen.»
Pestizide töten nur Läuse - aber nicht alle Lauseier
Regula Müller, Kinderärztin in Zürich, kennt solche Fehler zur Genüge. «Dieser Werbespruch auf der Packung ist schlicht falsch», erklärt sie. «Die chemischen Mittel muss man immer zweimal anwenden. Aber nicht am nächsten Morgen, sondern zehn Tage später.» Der Grund: Die Pestizide töten die lebenden Läuse, aber nicht alle frisch gelegten Läuseeier. Aus den überlebenden Nissen schlüpfen nach zehn Tagen junge Läuse. «Dann muss man die Haarwäsche wiederholen», sagt Müller. «Denn nur so verhindert man, dass die jungen Läuse sich weitere zehn Tage später paaren und erneut befruchtete Eier legen - der Teufelskreis des Lausbefalls.»
Viele Eltern wüssten das nicht und neigten dazu, die Mittel zu oft anzuwenden. Die Folge: Die Kinderköpfe sind überbelastet mit Pestiziden. Manchmal entstehen daraus gefährliche Nebenwirkungen bis hin zu Atembeschwerden, Krämpfen und Lähmungserscheinungen.
Besonders skeptisch ist Müller beim Wirkstoff Lindan. Er ist in Jacutin enthalten. Es enthält das Nervengift Chlorgas und das Krebs erregende Benzol. Wissenschaftler benutzen Lindan häufig in den Labors, um Krämpfe in Ratten zu erzeugen. Wiederholte kleine Dosen von Lindan können auch bei Menschen Krämpfe hervorrufen. Besonders gross ist die Gefahr, wenn das Mittel in offene Wunden gerät.
«Lindanhaltige Mittel gehören längst verboten», findet auch der deutsche Pharmakologe Gerd Glaeske. Sie könnten besonders leicht in die Kopfhaut eindringen und die Nervenenden schädigen, warnt er. Grundsätzlich bestehe diese Gefahr bei allen pestizidhaltigen Mitteln. Daher empfiehlt Glaeske, die Mittel nie über Nacht einwirken zu lassen.
Gift auf Kinderköpfen: Für viele Eltern ein Dilemma
Der US-Bundesstaat Kalifornien hat lindanhaltige Läusemittel vor kurzem verboten. In der Schweiz sind Pestizide mit Lindan zumindest in der Landwirtschaft nicht mehr zugelassen. Dennoch sieht die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) keinen Anlass, die Zulassung von Lindan in Läusemitteln zu überdenken. Auch Roland Limacher von der Herstellerfirma Boots Healthcare erklärte, Lindan werde als Lausmittel nur in kleinen Dosen angewandt und sei daher - sachgemäss verabreicht - toxikologisch durchaus vertretbar.
Das lindanhaltige Jacutin wirkt zwar meistens gut gegen die Läuse, doch es bringt Eltern mehr denn je in ein Dilemma: Die Pestizide vernichten wohl die Läuse, schaden jedoch den Kindern. Ungiftige Hausmittelchen schaden zwar nicht, aber ihre Wirkung ist oft nicht wissenschaftlich geklärt.
Ein neuer Therapie-Ansatz ist das Neem-Shampoo. Der Neem-Baum wächst in Indien. Dort ist seine Insekten vernichtende Wirkung schon seit weit über tausend Jahren bekannt. Der Wirkstoff tötet die Tiere nicht, er macht sie unfruchtbar. Kürzlich haben ägyptische Forscher Neem-Shampoo mit vier chemischen Lausmitteln verglichen. Ihr Ergebnis: Das Shampoo aus Indien wirke nicht wesentlich schlechter als der Wirkstoff Malathion. Doch dafür, so meinen die Wissenschaftler, sei es für Menschen sicherer.
Jeden Morgen tritt der Läusekamm in Aktion
Die Zürcher Kinderärztin Regula Müller wendet das Shampoo bei vielen Patienten «mit gutem Erfolg» an. Allerdings ist Neem-Shampoo erst in wenigen Apotheken erhältlich, zum Beispiel in der Zürcher Bellevue-Apotheke. Wer sichergehen will, sollte das Shampoo 14 Tage lang täglich anwenden, empfiehlt Regula Müller. Zusätzlich plädiert sie für ein «geduldiges Kämmen» mit dem Nissenkamm.
Auch bei Christine Blaser tritt jeden Morgen der Läusekamm in Aktion. «Das tut manchmal weh», stöhnen die Kinder. Ansonsten haben sie sich aber fast schon gewöhnt an die Tierchen. Claire ist sogar zu einer richtigen Lausexpertin geworden. «Ich habe einmal eine Laus in einem Glas gefangen und geguckt, wie lange sie es ohne Luft und Blut aushält», erzählt die Achtjährige. Die Laus erwies sich als besonders zäh. Erst nach 48 Stunden hauchte sie ihr Leben aus. Doch vielerorts kann man noch lesen, dass Läuse ohne menschlichen Wirt höchstens 24 Stunden überleben. So bewies die kleine Forscherin, dass man beim Thema Läuse die Ratschläge der Experten mit Vorsicht geniessen muss.
Kleine Lauskunde - Lausbefall kann jeden treffen
Ausgewachsene Kopfläuse sind etwa so gross wie Sesamsamen. Eine Laus lebt etwa einen Monat lang. In dieser Zeit kann die weibliche Laus bis zu 100 Eier legen. Die Eier nennt man oft Nissen. Sie sind gelbweiss und oval geformt. Sie kleben an der Seite eines Haares. Nach 7-12 Tagen schlüpft eine Laus. Die junge Laus ist zunächst farblos. Nach der ersten Blutmahlzeit kann sie die Haarfarbe des Menschen annehmen, auf dessen Kopf sie sich befindet. 7-12 Tage nach dem Schlüpfen wird die Laus geschlechtsreif und produziert wiederum befruchtete Eier.
Die Laus ernährt sich von menschlichem Blut. Etwa drei- bis viermal am Tag bohrt sie ihren Rüssel durch die Kopfhaut und saugt etwas Blut heraus. Längst nicht immer juckt es dabei - ein weiterer Grund, weshalb Läuse schwer zu entdecken sind. Man findet sie nur, wenn man die Kopfhaut ganz genau anschaut, am besten mit einer Lupe.
Kopfläuse können weder springen noch fliegen und auch nicht hüpfen. Sie können nur krabbeln. Deshalb wechseln sie nur
Wenn Wasser auf die Haare kommt, verfallen Läuse in eine Art Bewusstlosigkeit, aber klammern sich dennoch am Haar fest. So überleben sie jede Haarwäsche, jeden Regen und jedes Bad. Die Menge an Chlor, die es bräuchte um Läuse zu töten, wäre auch für Menschen sehr gefährlich.
Kampf gegen Läuse erfordert Geduld und Ausdauer
Läuse finden und auskämmen
- Läuse krabbeln bei Licht schnell weg. Haarfestiger lähmt sie für 20 Minuten.
- Immer mit der Lupe und bei gutem Licht suchen.
- Den Kamm zwischendurch in Essigwasser tauchen. Das erleichtert das Auskämmen der Nissen.
- Eine US-Elterninitiative bietet einen selbst entwickelten Kamm an. Er soll das Kämmen schmerzfreier machen (www.headlice.org).
- In kurzen Haaren sind Läuse leichter zu finden.
Ansteckung vermeiden
- Mädchen die Haare zusammenbinden. Die Läuse können einen anderen Kopf dann schwerer erreichen.
- Keine Mützen, Handtücher, Helme oder Kopfhörer tauschen.
Pestizide richtig benutzen
- Bei einigen Mitteln (Lusap, Prioderm) darf man nicht mit Chlorwasser in Berührung kommen. Haare an der Luft trocknen. Die Mittel immer kühl aufbewahren.
- Läuse können auch in Augenbrauen leben. Hier nie mit Pestiziden hantieren! Nur Läusekamm und Pinzette benutzen.
- Niemals nach dem Shampoonieren Badekappen aufsetzen. Das verstärkt die schädliche Wirkung der Gifte auf die Kopfhaut.
- Wenn beim Auskämmen nach 20 Minuten Einwirkzeit noch lebende Läuse da sind, nützt das Mittel nicht. Umsteigen auf ein Produkt mit anderem Wirkstoff.
- Wenn ein Mittel total versagt, einen Arzt aufsuchen. Ein häufiger Wechsel des Mittels trägt zum Entstehen von Resistenzen bei.
- Während der Behandlung keine anderen Shampoos oder Haarpflegeprodukte verwenden.
- Wissenschaftler der Harvard-Universität raten, stets nur das akut befallene Familienmitglied zu behandeln. Nicht die ganze Familie shampoonieren, wie auf den Packungsbeilagen steht.
Alternative Methoden
- Neem-Shampoo: Die Haare 7-14 Tage lang täglich mit Neem-Shampoo waschen. Daneben die Haare täglich mit zweiprozentigem Essigwasser spülen (zwei Teelöffel Essig auf ein Liter Wasser). Danach immer Läusekamm benutzen!
- Essigwasser: Haare in Essigwasser waschen (0,5 Liter Wasser, 0,5 Liter Essig). Vorsicht: Gesicht vorher eincremen, damit das Essigwasser die Gesichtshaut nicht reizt.
- Mayonnaise: Eine Aussenseitermethode, aber sie hat schon oft funktioniert. Drei Wochen lang einmal pro Woche die Haare mit vollfetter Mayonnaise einschmieren. Badekappe darüberziehen, über Nacht einwirken lassen. Keine Vaseline benutzen! Vaseline lässt sich kaum wieder aus dem Haar entfernen.
Umgebung säubern
- Stofftiere absaugen. Wenn sie es aushalten, bei 60 Grad in den Backofen, den Wäschetrockner oder die Mikrowelle stecken.
- Möbel absaugen. Keine Insektensprays benutzen!
- Kleider und Bettwäsche bei 60-80 Grad waschen. 30-Grad-Wäsche etwa zwölf Tage lang separat aufbewahren. Alternative: Wäsche kurz im Tumbler erhitzen.
- Läuse verlassen ihren menschlichen Wirt nie freiwillig. Sonst sterben sie. Wichtiger als zeitraubende Putzaktionen ist es deshalb, auf den Köpfen der Familienmitglieder gründlich nach Läusen zu fahnden.