Nach dem Eingriff blieb das Kinn taub
Ruth Faigaux hat kein Gefühl mehr im Kinn, seit eine Zahnärztin ihr Implantate einsetzte. Wahrscheinlich ist ein Nerv unheilbar geschädigt. Jetzt stellt sich heraus: Bei ihrem Gebiss hätte man gar keine Implantate einsetzen dürfen.
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Gesundheitstipp 03/2013
20.03.2013
Christian Egg
Das Inserat in der Zeitung überzeugte: Die «AAZ Aarauer Zahnklinik» warb dafür, Zahnimplantate gut und günstig einzusetzen. «Genau das brauche ich», dachte sich Ruth Faigaux. Denn unten links fehlt ihr ein Backenzahn. Die Brücke, die ihn bisher ersetzte, war kaputt gegangen.
In der Klinik wurde die Patientin von Zahnärztin M. N. untersucht. «Sie sagte mir, ich müsse keine Angst haben, sie habe schon mehrmals Implantate ein...
Das Inserat in der Zeitung überzeugte: Die «AAZ Aarauer Zahnklinik» warb dafür, Zahnimplantate gut und günstig einzusetzen. «Genau das brauche ich», dachte sich Ruth Faigaux. Denn unten links fehlt ihr ein Backenzahn. Die Brücke, die ihn bisher ersetzte, war kaputt gegangen.
In der Klinik wurde die Patientin von Zahnärztin M. N. untersucht. «Sie sagte mir, ich müsse keine Angst haben, sie habe schon mehrmals Implantate eingesetzt», erinnert sich die heute 53-Jährige aus dem solothurnischen Selzach. M. N. zieht ihr die beiden Zähne vor und hinter der Lücke und setzt ihr zwei Implantate ein. Kosten: 3600 Franken, zahlbar im Voraus.
Computertomografie wäre nötig gewesen
Das Einsetzen verlief nicht reibungslos: «Die Ärztin seufzte, es sei sehr schwierig, in meinem Mund sei es sehr eng», sagt Ruth Faigaux. Nach der Behandlung hatte sie in der linken Gesichtshälfte kein Gefühl mehr. «Frau N. sagte während mehrerer Monate, das komme schon wieder.»
Doch bis heute, zwei Jahre nach der Behandlung, sind Kinn, Wange und Unterlippe auf der linken Seite taub. Beim Essen verliert Faigaux Speichel.
Ein erfahrener Zahnarzt und Gutachter hat die Unterlagen der Patientin studiert. Gegenüber dem Gesundheitsstipp hält er fest, dass M. N. beim Einsetzen des Implantates den Nerv des Unterkiefers beschädigt habe: «Die Taubheit wird wohl als Schaden zurückbleiben.» Zahnärztin N. habe es unterlassen, vorher mit einer Computertomografie abzuklären, wo der Nerv verlaufe. «Damit hat sie die Sorgfaltspflicht verletzt.»
Gutachter: «Das war nicht seriös»
Dazu kommt: Das Gebiss von Ruth Faigaux ist in einem schlechten Zustand. Auf den Röntgenbildern lasse sich ausgedehnte Karies feststellen, und das Zahnfleisch sei so stark entzündet, dass der Knochen «infiziert und stark abgebaut wurde». Für den Fachmann ist klar: «In ein solches Gebiss darf man keine Implantate setzen. Dies vorzuschlagen, war nicht seriös und entspricht nicht der Lehrmeinung», sagt er abschliessend.
Ein paar Monate nach dem Eingriff teilte man Ruth Faigaux in der Klinik mit, Frau N. arbeite nicht mehr hier. Der gemäss Klinik leitende Zahnarzt entfernte der Patientin kostenlos ein Implantat. Doch das Gefühl in Kinn und Backe kam nicht zurück. Das andere Implantat ragt bis heute als nackter Metallstift aus dem Kiefer. Der leitende Zahnarzt hatte Ruth Faigaux versprochen, das Implantat mit einer Krone zu versehen, ebenfalls kostenlos. Dafür sollte die Patientin eine Vereinbarung unterschreiben, dass sie auf alle künftigen Ansprüche verzichte. Das lehnte Faigaux ab: «Denn seither habe ich das Vertrauen in die Klinik verloren.»
Jetzt nimmt sich die Patientenstelle der Sache an. Für Yvonne Blöchliger von der Patientenstelle Aargau/Solothurn ist klar: «Das ist ein Fall für die Haftpflicht-versicherung der beteiligten Zahnärzte.»
Die Klinik schreibt dem Gesundheitstipp, Frau M. N. habe ein Implantat zu tief gesetzt. Es sei «das gute Recht» von Ruth Faigaux, dass sie dem «ersten Entwurf» der Vereinbarung nicht zugestimmt habe. Auf zwei weitere Lösungsvorschläge habe sie jedoch nicht reagiert und auch die angefertigte Krone nie abgeholt. Auf die Kritik des Experten, man hätte bei diesem Gebiss gar keine Implantate einsetzen dürfen, geht die Klinik dagegen nicht im Detail ein. Sie schreibt nur, der Zustand des Gebisses habe «keine Rolle gespielt».
Zahnärztin M. N. wollte gegenüber dem Gesundheitstipp nicht Stellung nehmen.
TIPPS: Grosser Zahn-Eingriff: Darauf sollten Sie achten
- Holen Sie vor grösseren Behandlungen eine Zweitmeinung ein.
- Verlangen Sie bei Eingriffen, die über 1000 Franken kosten, einen schriftlichen Kostenvoranschlag.
- Bezahlen Sie die Behandlung erst vollständig, wenn Sie damit zufrieden sind.
- Falls der Zahnarzt Mitglied der Zahnärzte-Gesellschaft SSO ist: Sie hat in den meisten Kantonen eine Ombudsstelle. Adressen unter www.sso.ch oder Tel. 031 310 20 80.
- Weitere Anlaufstellen bei Konflikten: Dachverband Schweizerischer Patientenstellen, Tel. 0900 104 123 (Fr. 2.–/Min.) oder Schweizerische Patientenorganisation, Tel. 0900 56 70 47 (Fr. 2.90/Min.)