Niere verschenkt - und dann bereut
Die 48-jährige Margrit Suter legte sich unters Messer - damit ihre Nachbarin nicht sterben muss. Heute bereut sie ihre Organspende. Auch Fachleute raten von der Lebendspende ab.
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Gesundheitstipp 9/2004
15.09.2004
Pirmin Schilliger - redaktion@pulstipp.ch
Mit ihrer Nachbarin pflegte Margrit Suter (Name geändert) immer regelmässigen Kontakt. Doch plötzlich bekam die Nachbarin starke gesundheitliche Probleme. Weil ihre Nieren aussetzten, musste sie zur Dialyse. Dann stellten die Ärzte fest: Die Patientin braucht eine neue Niere.
Margrit Suter wusste, was das heisst. Denn einige Jahre zuvor starb eine ihrer Bekannten, weil die Ärzte nicht rechtzeitig ein Ersatzorgan beschaffen konnten. Suter: «Diese Erfahrung hat mich sensibilis...
Mit ihrer Nachbarin pflegte Margrit Suter (Name geändert) immer regelmässigen Kontakt. Doch plötzlich bekam die Nachbarin starke gesundheitliche Probleme. Weil ihre Nieren aussetzten, musste sie zur Dialyse. Dann stellten die Ärzte fest: Die Patientin braucht eine neue Niere.
Margrit Suter wusste, was das heisst. Denn einige Jahre zuvor starb eine ihrer Bekannten, weil die Ärzte nicht rechtzeitig ein Ersatzorgan beschaffen konnten. Suter: «Diese Erfahrung hat mich sensibilisiert.» Deshalb liess sie ihre Nachbarin wissen: «Ich könnte mir vorstellen, abklären zu lassen, ob ich als Nierenspenderin in Frage komme.» Nach mehreren Gesprächen gab Suter der Nachbarin die Zusage, ihr eine Niere zu spenden.
Die Fachlehrerin ist damit kein Einzelfall. Die Lebendorganspende ist bei Nierentransplantationen häufig geworden. Der Grund: Es gibt zu wenige Menschen, die Ihre Organe nach dem Tod zur Verfügung stellen. Zudem ist der Erfolg mit Nieren von Lebenden besser. Bereits 2002 verpflanzten Schweizer Transplantationsärzte erstmals mehr Nieren von lebenden Spendern - nämlich 73. Von hirntoten Spendern stammten nur 70. Am Universitätsspital Zürich waren sogar 34 der insgesamt 47 im letzten Jahr transplantierten Nieren von Lebendspendern. Dieser Eingriff gilt heute als relativ sicher: Weltweit stirbt 1 von 3000 Nierenspendern bei oder als Folge der Operation. Kein Wunder, setzen die Fachärzte auf die Lebendspende.
Das neue Transplantationsgesetz - es steht kurz vor dem Abschluss - möchte dem Rechnung tragen: Wer will, soll in Zukunft anonym ein Organ spenden können. Bis anhin dürfen sich nur Familienmitglieder und Freunde untereinander helfen. Eine Pulstipp-Umfrage zeigt: Die meisten Menschen wären bereit, eine Niere zu spenden (siehe Umfrage unten).
Doch im Fall von Margrit Suter kam es von Anfang an zu Schwierigkeiten: Bei den Vorgesprächen im Unispital Zürich stellte die 48-Jährige ihre Bedingungen für die Spende. So wollte die Fachlehrerin die Operation und den damit verbundenen Spitalaufenthalt aus fnanziellen Gründen auf die Schulferien planen. Tatsächlich verlegte das Spital aber sowohl Abklärungs- als auch Transplantationstermin in die Schulzeit. Für Margrit Suter hatte das finanzielle Folgen, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Organisieren einer Stellvertretung.
Unispital: Viermonatige Bedenkfrist für die Spenderin
Was die Spenderin zudem befremdete: Bei der zweitägigen Vorabklärung im Spital zückte der verantwortliche Arzt gleich die Agenda. Er drängte auf den Operationstermin - bevor klar war, ob Suter als Spenderin in Frage kam.
Das Unispital Zürich bestreitet, dass es einen «Entscheidungsdruck» seitens des Behandlungsteams gegeben habe: «Eine freie Entscheidungsfindung wurde zudem durch eine viermonatige Bedenkfrist zwischen dem Erstgespräch und der Operation gewährleistet.» Und: «Der behandelnde Arzt hat den Wunsch der Patientin in seiner Agenda überprüft. Leider konnte dem Wunsch infolge Terminkollision nicht vollständig entsprochen werden.»
Operationstermin war schliesslich im Februar 2003. Für die nierenkranke Patientin war die Transplantation ein voller Erfolg. Ihr Körper akzeptierte die neue Niere. Danach ging es ihr schnell besser.
Ganz anders verlief der Heilungsprozess für Margrit Suter: Nach der Operation hatte sich oberhalb der Narbe ein deutlicher Wulst gebildet. «Der Chirurg hat ihn bagatellisiert», beschwert sich Suter. Erst nach energischem Widerspruch der Lehrerin versuchte der Chirurg in einer erneuten Operation, den Wulst zu korrigieren. Ohne Erfolg.
Doch Margrit Suter gab nicht auf. Weitere Termine am Unispital folgten. Nach über einem Jahr kam sie in die Abteilung für Wiederherstellungschirurgie. Wieder folgte eine Operation - dieses Mal aber mit sichtbar besserem Ergebnis. Andere Beschwerden sind hingegen geblieben: Noch heute, eineinhalb Jahre nach der Nierenspende, spürt Margrit Suter nach jedem Essen einen unangenehmen Druck im Bauch. Rückblickend zieht sie eine bittere Bilanz: «Wenn es darum geht, ein lebendes Organ zu erhalten, reagieren die Mediziner schnell. Gibt es aber nach der Operation etwas zu korrigieren, stehlen sie sich aus der Verantwortung.»
Das Unispital Zürich sagt dazu: «Wir haben der Spenderin empfohlen, nochmals vier Wochen abzuwarten, weil eine Narbenbildung erst nach acht Wochen abgeschlossen ist.» Die Ärzte hätten sich nicht aus der Verantwortung gestohlen. Sie hätten Suter zur Operation für eine Narbenkorrektur aufgeboten und schliesslich an den ästhetischen Chirurgen überwiesen. «Die behandelnden Ärzte und auch die für die Lebendspende verantwortliche Psychologin haben sich aktiv um die Spenderin gekümmert und sie bis zur vollständigen Lösung der medizinischen und finanziellen Probleme begleitet.»
Für Margrit Suter steht allerdings fest: «Könnte ich heute nochmals entscheiden, würde ich kein Organ mehr spenden.» Die Erinnerungen an die Spitalaufenthalte wecken in ihr ein Gefühl von Ohnmacht: «Ich war für die Transplantationsmediziner nur ein Mittel zum Zweck.» Die Fachlehrerin tut sich noch immer schwer damit, die unangenehmen Spitalerlebnisse psychisch zu verarbeiten. Deswegen hat sich auch das Verhältnis zur Nachbarin «etwas abgekühlt».
«Nur eine Spende von Eltern an Kinder ist vertretbar»
Was Margrit Suter erlebt hat, ist keine Ausnahme. Dies bestätigt die Nationale Ethikkommission (NEK) für Humanmedizin. Sie kommt in ihrem Bericht zum neuen Transplantationsgesetz zum Schluss: Die Lebendorganspende finde in einem «ethischen und psychologischen Graubereich» statt. Das seelische Befinden der Spender werde zu wenig berücksichtigt. Immer wieder würden Spendewillige zur Organspende gedrängt.
Für Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle, Mitglied der NEK, wirft das Transplantationsgesetz noch «grosse Fragezeichen» auf. Konfrontiert mit Suters Erfahrungsbericht, sagt sie deutlich: «So dürfte es auf keinen Fall ablaufen.»
Margrit Kessler, Präsidentin der Schweizerischen Patientenorganisation (SPO), hat grosse Zweifel, ob eine Lebendspende psychisch überhaupt verkraftbar ist. «Der Spender opfert einen Teil seines Körpers, und das wird er früher oder später heftig bereuen.»
Das Unispital Zürich hält dagegen: Eine interne Untersuchung habe gezeigt, dass nur 1 von 116 Personen die Organspende später bereut. SPO-Präsidentin Kessler befürchtet jedoch, dass mit dem neuen Transplantationsgesetz die Zahl von Spendern mit späteren psychischen Problemen massiv ansteigen wird. «Deshalb rate ich dringend von einer Lebendspende ab.»
Das neue Gesetz sei das Resultat eines riesigen Drucks der Transplantationschirurgen, die unbedingt mehr Organe wollten. Kessler fordert, dass eine Lebendorganspende nur von den Eltern auf die eigenen Kinder erlaubt sein soll. «Einzig dann sehe ich keine Probleme.»
Doch viel wichtiger sei es, meint die SPO-Präsidentin, dafür zu sorgen, dass endlich mehr Leute ihre Organe nach dem Tod für eine Transplantation freigeben würden. Das könnte man mit einem Spenderausweis fördern, den man allen mit der jährlichen Krankenkassenpolice zustellen würde. «Dies hätte einen weitaus grösseren Erfolg als der heutige Spenderausweis, den man selber anfordern muss.»
Haben Sie Erfahrungen mit der Lebendspende? Würden Sie Ihre Organe spenden?
Schreiben Sie uns Ihre Meinung: Redaktion Pulstipp, «Lebendspende», Postfach 277, 8024 Zürich oder redaktion@pulstipp.ch
Pulstipp-Umfrage: Wenn Sie jemand bittet, ihm eine Niere zu spenden, würden Sie das tun?
Vera Frey (63), Horgen ZH
«Ich wollte meiner Freundin eine Niere spenden, doch die Blutgruppe passte nicht. Ich würde aber auch für einen Fremden sofort Organe spenden. Erwarten würde ich nichts - es reicht mir, etwas Sinnvolles tun zu können.»
Ibrahim Kurudere (34), Zürich
«Ich würde nie ein Organ spenden, nicht einmal meiner Frau. Das hat mit einem Unfall in meiner Kindheit zu tun. Damals half mir auch niemand. Zudem glaube ich, dass Gott meinen Körper mir und nicht jemand anderem gegeben hat.»
Bruno Allemann (17), Bern
«Ja, ich würde eine Niere spenden, selbstverständlich auch für einen Fremden. Ich wäre auch dankbar. Wenn jemand Hilfe braucht, schaut man doch nicht, wer das ist. Aber ich würde gerne den Empfänger kennen lernen.»
Myriam Wipf (28), Uitikon ZH
«Organe zu spenden, finde ich grundsätzlich gut. Ob ich die Person kennen würde, die das Organ bekommt, spielt keine Rolle. Leben ist Leben. Bei Fremden würde ich eine finanzielle Kompensation für den Arbeitsausfall begrüssen.»
Mario Dieng (18), Birr AG
«Sicher würde ich eine Niere spenden. Wenn die Blutgruppe passt, würde ich das auch für einen fremden Menschen tun. Was ich dafür erwarten würde? Vielleicht ein Dankeschön oder einen Brief.»
Bruno Visona (35), Niederlenz AG
«Für Freunde und Bekannte würde ich natürlich eine Niere spenden. Ob ich dies auch für eine fremde Person tun würde - schwer zu sagen. Wenn doch, wäre es sicher spannend, die Person, die dann meine Niere hat, kennen zu lernen.»
Melanie Cromwell (30), Büsingen SH
«Ja, ich würde spenden. Es müsste nicht unbedingt ein Bekannter oder ein Freund sein. Meine Bedingung wäre: Wir müssten uns kennen lernen. Die Spende wäre dann ein gemeinsamer Prozess.»
Paula Ramseier (60), Bern
«Ich hab mir das noch nie überlegt. Im Notfall - sicher. Ich müsste aber wissen, was das bedeuten würde. Ob ich noch in die Berge gehen oder Velo fahren könnte. Erst müsste ich mit jemandem reden können, der das durchgemacht hat.»