PCB-Alarm - Weitere Gift-Fälle aufgedeckt
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Gesundheitstipp 11/2000
01.11.2000
Bericht im Puls-Tip zeigt Wirkung: Behörden messen in Schulhäusern die Raumluft
Der PCB-Skandal weitet sich aus. Auch Schulhäuser in Zürich und Chur haben giftigen Fugenkitt in den Wänden. Gelangt das PCB in die Luft, gefährdet es die Gesundheit. Einige Kantone reagieren mit Sofortmassnahmen.
Thomas Grether thgrether@puls-tip.ch
Die Bundesbehörden hatten 1994 entwarnt: Polychlorierte Biphenyle (PCBs) sind in Innenräumen nicht zu finden. Der Pu...
Bericht im Puls-Tip zeigt Wirkung: Behörden messen in Schulhäusern die Raumluft
Der PCB-Skandal weitet sich aus. Auch Schulhäuser in Zürich und Chur haben giftigen Fugenkitt in den Wänden. Gelangt das PCB in die Luft, gefährdet es die Gesundheit. Einige Kantone reagieren mit Sofortmassnahmen.
Thomas Grether thgrether@puls-tip.ch
Die Bundesbehörden hatten 1994 entwarnt: Polychlorierte Biphenyle (PCBs) sind in Innenräumen nicht zu finden. Der Puls-Tip glaubte nicht daran und machte Stichproben in Schulhäusern aus den Sechziger- und Siebzigerjahren. Das in der letzten Ausgabe veröffentlichte Resultat der Laboranalyse erschreckt: Sechs Schulhäuser in Bern, Basel und Olten haben bis zu 17 Prozent PCBs im Fugenkitt zwischen den Wänden. Gelangt die heute weltweit geächtete Chemikalie in die Luft, kann sie über Haut und Atmung in den Körper von Schülern und Lehrern gelangen. Dort wirkt sie hormonähnlich und krebsfördernd.
Der Bericht des Puls-Tip löste ein breites Medienecho aus. Im Schweizer Fernsehen bestätigen Experten in der Sendung Schweiz aktuell, dass PCBs in der Luft die Gesundheit gefährden. «Gefährliche Giftstoffe» titelte die Berner Zeitung. Und in der Aargauer Zeitung kündigten die Behörden «exakte Untersuchungen» an.
Buwal will alle belasteten Gebäude erfassen
Inzwischen kam ans Licht, dass das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) bereits 1994 konkrete Hinweise auf PCBs hatte. Die auf die Entsorgung von Umweltgiften spezialisierte ETI Umwelttechnik AG in Chur stiess damals in Fugendichtungen, Farbanstrichen und Deckenplatten auf die Chemikalie. «Wir informierten das Buwal darüber», sagt ETI-Geschäftsführer Urs K. Wagner heute. Doch offenbar nahmen die Behörden diese Hinweise nicht ernst. Sie glaubten einer Buwal-Studie, die zum Schluss kam, dass PCBs in Innenräumen gar nicht vorkommen.
Heute sieht alles anders aus. Das Buwal stellt die eigene Studie offiziell in Frage. Die Verantwortlichen schliessen nicht mehr aus, dass neben Schulen auch Spitäler, Verwaltungsgebäude und sogar Wohnblocks und private Häuser betroffen sind. Das Buwal reagiert auf die Fehleinschätzung der Gefahr mit einem nationalen PCB-Messprogramm. Eine eilig einberufene Buwal-Projektgruppe hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis Ende nächsten Jahres sollen in der ganzen Schweiz PCB-belastete Gebäude in einem Kataster erfasst sein.
Das Buwal hat allen Grund zur Eile. Denn es tauchen immer mehr Schulen mit PCBs in den Fugendichtungen auf. Zum Beispiel in Chur. Der Puls-Tip weiss aus zuverlässiger Quelle, dass Schulhäuser in der Bündner Hauptstadt mit PCB-Fugen belastet sind. Das Bündner Amt für Umweltschutz weiss das auch - seit über einem Jahr. Doch Amtsvorsteher und Regierungsrat Claudio Lardi verschweigt der Bevölkerung den brisanten Fund. Man habe im Rahmen von «Vorabklärungen orientierende Proben» veranlasst, sagt er bloss. Die Resultate bekannt geben will Lardi nicht.
PCBs in Zürcher Gymi: Notmassnahmen eingeleitet
Auch Schulhäuser in Zürich sind belastet, wie eine zweite Stichprobe des Puls-Tip zeigt. Im Schulzentrum Rämibühl haben das Real- und Literaturgymnasium sowie das Mathematisch-Naturwissenschaftliche Gymnasium bis zu 17 Prozent PCBs in den Fugen. Auffällig: Die Fugen der Rämibühl-Gymnasien, wo sich täglich 300 Lehrer und 2000 Schüler aufhalten, sind mit dem PCB-Gemisch Clophen A 40 belastet, das laut Experten stark in die Luft ausgast. Zudem haben Kinder die giftige Dichtungsmasse teils herausgekratzt und mit Farbstiften traktiert. Experten raten von jeglichem Kontakt mit PCB-Fugen ab.
Mit 1,5 Prozent ebenfalls verseucht sind die Fugen der Kantonsschule Olten. Die Verantwortlichen beim Kanton Solothurn wollen zum Resultat keine Stellung nehmen. «Kein Kommentar», heisst es bei der Bauverwaltung. Anders in Zürich: Dort hat die kantonale Baudirektion umgehend «Notmassnahmen» eingeleitet. Aus dem Unterhaltskredit der Stadt will man bis zu 100 000 Franken für neue Fugen aufwenden.
Auch in den übrigen Schulen, in denen der Puls-Tip PCBs nachwies, hat man die Herbstferien für Sofortmassnahmen genutzt:
- Basel untersucht in diesen Tagen sämtliche Schulhäuser aus den Sechziger- und Siebzigerjahren auf PCB-Fugen. Alle 18 Rektorate von Schulen und Kindergärten sind sofort über die Resultate der Puls-Tip-Stichprobe informiert worden.
- Bern prüft 30 gefährdete Schulhäuser, Kindergärten und Sportanlagen auf PCBs. Belastete Dichtungen in Reichweite der Kinder deckt man ab. Raumluftmessungen sind vorläufig noch nicht geplant.
- Ostermundigen BE hat Fugen im Rüti-Schulhaus für 3000 Franken nochmals im Labor untersuchen lassen. Resultate stehen noch aus.
- Olten hat im Primarschulhaus Säli Ende Oktober die Raumluft gemessen. Resultate liegen noch keine vor. An einem Elternabend diskutierten Lehrer und Eltern die PCB-Problematik.
Schnell reagiert hat man im Freien Gymnasium in Basel. Die Privatschule liess bereits am 11. Oktober die Luft in den Schulzimmern untersuchen und kann deshalb schon bald Resultate liefern. «Es ist mir wichtig, möglichst zügig abzuklären, ob die Gefahr akut ist», sagt Rektor Thomas Brogli. Das beauftragte Labor, die Basler Carbotech AG, hat Geräte aufgestellt, die während einiger Stunden Luft durch einen Filter saugen. Der Filter hält PCBs zurück und wird in einem zweiten Schritt analysiert. «Die Analyse besorgen nicht wir selbst, sondern zwei unabhängige Labors in Deutschland», sagt Carbotech-Geschäftsführer Kurt Schläpfer. Er habe sich vor der Messung in Deutschland über die gängige Methodik informiert.
Sanierungen: Schweiz ist zehn Jahre im Rückstand
Das hat seinen Grund: Die Schweiz betritt mit PCB-Luftmessungen Neuland. Privat- und Kantonlabors haben keine Erfahrung damit. Anders in Deutschland: Dort hat man das PCB-Problem bereits vor zehn Jahren erkannt und aufgrund alarmierender Luftwerte und Krebserkrankungen hunderte von Schulen saniert. Die erste PCB-verseuchte Schule entdeckte 1989 der Chemiker und Baufachmann Gerd Zwiener in Köln. Zwiener rät bei folgenden Punkten zur Vorsicht:
- Wer in diesen Tagen die Luft misst, sollte die Messung im nächsten Sommer wiederholen. Denn PCBs reagieren empfindlich auf Temperatur-Unterschiede. Zwiener: «Fugendichtungen im Fensterbereich gasen im Winter wesentlich weniger PCBs aus als im Sommer.»
- Die Temperatur im Zimmer sollte bei der Messung 22 Grad betragen.
- Nehmen Sie auch geringe Mengen PCBs in der Luft ernst. Untersuchen Sie die Luft auf dioxinähnliche PCBs. Sie sind bereits in kleinsten Dosen gefährlich. Zwiener: «Ohne klaren Auftrag weisen Labors dioxinähnliche PCBs in der Regel nicht nach, weil die Analyse aufwendig und teuer ist.»
- Die Fugen abzudecken, ist keine dauerhafte Lösung, weil sie weiter ausgasen. Zwiener: «Abdecken ist keine Sanierungsmethode.»
Das deutsche Bundesgesundheitsamt empfiehlt eine Sanierung ab 3000 Nanogramm PCB pro Kubikmeter Luft. Einige Umwelt- und Gesundheitsfachstellen in Deutschland fordern dagegen, bereits bei 1000 Nanogramm baulich einzuschreiten. In der Schweiz fehlen für PCBs und andere Raumgifte rechtlich verbindliche Grenzwerte. Es existieren einzig die MAK-Grenzwerte der Suva - doch die sind für Arbeitsplätze in der Industrie gedacht. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist überfordert: Dort kümmert sich gerade mal ein Mitarbeiter um Raumgifte - halbtags.
Schutz vor Raumgiften kümmert Politiker wenig
Aus diesen Gründen fordert SP-Nationalrätin Stephanie Baumann rasche Massnahmen. «Der PCB-Fall rüttelt auf. Er zeigt, dass gesetzliche Vorschriften für Raumgifte dringend nötig sind», sagt sie. Doch politisch sind solche Forderungen nur schwer durchzusetzen. Baumann hatte sich für einen Raumluft-Artikel im neuen Chemikaliengesetz stark gemacht. Das Gesetz hätte es dem BAG ermöglicht, verbindliche Grenzwerte festzulegen. Doch National- und Ständerat erteilten in der Herbstsession dem Gesetzesartikel eine Abfuhr.
Ernüchtert über die Absage ans Raumgift-Gesetz ist man beim BAG. «Uns sind nach wie vor die Hände gebunden», stellt Eva Reinhard, Leiterin der Sektion Chemie und Toxikologie, fest. Man habe in das Gesetz grosse Hoffnungen gesetzt. Der «dringend nötige» Ausbau der Abteilung Raumgifte sei nun in Frage gestellt. Für den PCB-Fall heisst das: Der Schutz der Bevölkerung vor solchen Raumgiften bleibt ungenügend. Das BAG kann nur unverbindliche Empfehlungen abgeben, an die sich niemand halten muss. «Eigentlich erstaunlich», sagt SP-Politikerin Baumann, «schliesslich halten sich die meisten von uns 80 Prozent der Lebenszeit nicht draussen, sondern drinnen auf.»
Buchtipp: Gerd Zwiener, «Handbuch Gebäudeschadstoffe», Rudolf Müller Verlag, Fr. 89.-
Kommentar - Chur schlampt bei PCBs
Die meisten betroffenen Schulen und Behörden haben schnell reagiert: Sie lassen in diesen Tagen die Raumluft in den Zimmern auf PCBs prüfen, halten die Eltern auf dem Laufenden und informieren öffentlich. Das ist lobenswert, denn schliesslich ist die Gesundheit von Kindern gefährdet.
Doch es gibt auch Negativ-Beispiele, wie zum Beispiel in Chur. Auch dort haben einige Schulen PCB-Fugen in den Zimmern. Doch die Öffentlichkeit hat davon keine Ahnung. Der Vorsteher des Amts für Umweltschutz, Regierungsrat Claudio Lardi, verschweigt den brisanten Fund - seit über einem Jahr.
Die Churer Geheimnistuerei ist fehl am Platz. Keine Behörde hat das Recht, eine potenzielle Gesundheitsgefahr monatelang zu verheimlichen. Es ist Pflicht der Behörden, frühzeitig über krebsfördernde Giftstoffe in der Schule aufzuklären. Schliesslich geht es um Fugen, die Kindern offen zugänglich sind, die man in speziellen Sondermüllöfen entsorgen muss.
Pflicht der Behörden ist es auch, bei einem PCB-Fund sofort Massnahmen einzuleiten. Auch da hat man in Chur geschlampt. Das Amt für Umweltschutz hat bis heute keine Raumluftmessungen veranlasst. Eine Nachlässigkeit - und ein riesiger Zeitverlust. Die Behörden nehmen bewusst in Kauf, dass Schüler und Lehrer nochmals ein halbes Jahr in möglicherweise verseuchter Luft arbeiten müssen. Denn wegen der tiefen Temperaturen sind erst nächsten Sommer klare Messresultate möglich.
Das Beispiel Chur darf sich nicht wiederholen. Die Verantwortlichen der PCB-verseuchten Schulen in Bern, Basel, Zürich und Olten müssen weiterhin offen informieren - vor allem über die Resultate der Luftmessungen. Es drohen Sanierungen, die Millionen kosten. Wer da im Stillen vorgeht, setzt sich dem Vorwurf aus, sich vor Sanierungen drücken zu wollen - auf Kosten der Gesundheit von Schülern und Lehrern.
Leser-Aktion - Testen Sie Fugenkitt auf PCBs
PCB-Fugendichtungen finden sich nicht nur in älteren Schulen, sondern auch in etlichen Bürogebäuden, Wohnblocks, Einfamilienhäusern und öffentlichen Gebäuden. Der Puls-Tip bietet in Zusammenarbeit mit einem spezialisierten Labor in Berlin die Möglichkeit, Fugendichtungen auf PCBs zu untersuchen. Eine Probe kostet 78 Franken.
So gehen Sie vor, wenn Sie verdächtige Fugendichtungen untersuchen lassen wollen (der Puls-Tip behandelt alle Angaben vertraulich):
- Klären Sie ab, ob das Gebäude im Zeitraum Ende Fünfzigerjahre bis Mitte der Siebzigerjahre gebaut oder saniert worden ist.
- Entfernen Sie mit einem Messer ein fingernagelgrosses Stück der Fugendichtung. Die Fugen sind mausgrau, manchmal auch schwarz oder überstrichen. Sie fühlen sich stumpf und etwas klebrig an. Achtung: Silikon enthält kein PCB. Es ist meist durchsichtig und lässt sich in die Länge ziehen.
- Wickeln Sie die Probe in Alufolie.
- Waschen Sie nach der Probenahme die Hände und das Messer gründlich.
- Füllen Sie den Coupon aus und senden Sie ihn zusammen mit der Probe ein.
Das Resultat der Laboranalyse erhalten Sie innerhalb von etwa drei Wochen. Es zeigt, wieviel Prozent PCBs die Fugendichtung enthält. Gleichzeitig erhalten Sie Ratschläge, was Sie bei vorhandenen PCBs tun können. Die Laboranalyse ist kostendeckend. Der Puls-Tip zieht keinen Gewinn daraus.