Unglaublich: Seit sechs Jahren warten Millionen von Handybenutzern auf das Ergebnis der internationalen Interphone-Studie. In 13 Ländern wurden beim weltweit grössten Krebsforschungsprojekt Tausende von Patienten unter die Lupe genommen. Ziel: Die Studie soll klären, ob der Handygebrauch das Risiko erhöht, an einem Tumor im Kopf- und Halsbereich zu erkranken.
Die Koordination der Studie lag bei der Internationalen Krebsagentur (IARC) und der Weltgesundheitsorganisation WHO. Finanziert wurde sie von der International Union Against Cancer (UICC), der GSM Association – der weltweiten Industrievereinigung der Mobilfunkanbieter – sowie von nationalen Forschungsgeldern.
Die ehemalige Leiterin der Interphone-Studie hält sich bedeckt
Die Arbeiten starteten im Herbst 2000, abgeschlossen wurden die Datenerhebungen 2002. Ursprünglich sollte der Schlussbericht 2004 erscheinen, dann versprach ihn die IARC für 2006. Doch auch daraus wurde nichts.
Elisabeth Cardis, eine in Kanada geborene Krebsforscherin, leitete das Projekt. Inzwischen hat sie ihren Posten bei der IARC in Lyon verlassen. Heute lautet ihre Standardantwort auf eine mögliche Veröffentlichung «bald». Die Interpretation der Resultate sei nicht einfach, über 50 Wissenschafter müssten das Endergebnis genehmigen, erklärte sie gegenüber «Le Monde».
Das hat einzelne Länder nicht davon abgehalten, ihre eigenen Studien zu veröffentlichen. Den Start machte Dänemark im Jahr 2004. Thema der Fallstudie ist das Risiko, einen Hörnervtumor aufgrund des Handygebrauchs zu bekommen. Dieser Tumor ist gutartig, kann mit zunehmender Grösse jedoch auf benachbarte Gehirnregionen Druck ausüben und dann lebensbedrohlich sein.
Das Resultat lässt aufhorchen. In der IARC-Zusammenfassung steht: «The average size of tumours was significantly higher, however, for regular users than for non-users.» Auf Deutsch: Bei Personen, die regelmässig mit einem Handy telefonieren, sind die Tumore durchschnittlich signifikant grösser als bei Personen, die kein Handy benutzen. Bei Handytelefonierern massen die Tumore im Schnitt 1,66 Kubikzentimeter – bei den andern nur 1,39. Zusammengefasst: Handys verursachen laut der dänischen Studie zwar keine Hörnervtumore. Kommt es aber aus irgendeinem Grund zu einem solchen Tumor, fördern Mobiltelefone dessen Wachstum.
Viele Medien zitieren nur die entwarnenden Passagen von Studien
Die Medien verharmlosten die dänischen Resultate. Die Nachrichtenagenturen und selbst das «Deutsche Ärzteblatt» zitierten sämtliche entwarnenden Aussagen der Studie, nicht aber die kritischen Aspekte. Der Grund: Viele Publikumsmedien stützten sich auf die kostenlose, aber unvollständige Kurzfassung ab.
In einer andern Teilstudie befragte Anna Lahkola von der finnischen Strahlenschutzkommission mit Kollegen aus Schweden, Dänemark und Grossbritannien 1500 Patienten mit einem Gliom, einem bösartigen Tumor des Stützgewebes im Hirn. Fazit: Bei den untersuchten Personen, die länger als zehn Jahre ein Handy benutzt hatten, war das Risiko eines Glioms auf der Seite, wo sie das Gerät normalerweise an den Kopf hielten, um 39 Prozent erhöht.
Die grosse Frage für jeden Handybenutzer: Weshalb wird das Endergebnis der 20 Millionen Franken teuren Studie der Bevölkerung nicht endlich zugänglich gemacht? Immerhin unterhalten sich rund drei Milliarden Menschen regelmässig per Handy. Allein letztes Jahr wurden weltweit erstmals über eine Milliarde Mobiltelefone verkauft.
Diese Frage beschäftigt auch Martine Hours. Die Ärztin ist verantwortlich für den französischen Teil der Interphone-Studie. «Es ist an der Zeit, die Resultate zu veröffentlichen und die unterschiedlichen Auffassungen transparent zu machen», forderte sie in einem Gespräch mit dem französischen Nachrichtenmagazin «L’Express». Sonst riskiere man, dass es heisst, es werde Druck auf die Wissenschafter ausgeübt, nichts zu sagen, weil die Resultate derart alarmierend seien.
Der Grund für die Hinhaltetaktik: Hinter den Kulissen tobt ein Expertenstreit. Die Forscher müssen sich darauf verlassen, dass sich alle Teilnehmer der Studie gleich gut an ihr Telefonverhalten in den vergangenen Jahren erinnern. Und da hegen einige Experten Zweifel. Wissenschafter haben bei 670 Freiwilligen verglichen, wie gut sie sich nach sechs Monaten noch an ihren Handygebrauch erinnern konnten. Dabei gab es grosse Unterschiede.
Aber einen klaren Trend: Vielnutzer überschätzen, Wenignutzer unterschätzen ihre Zeit mit dem Handy am Ohr. Weiter reden sich Patienten mit einem Hirntumor vermutlich verstärkt ein, dass sie das Handy immer an der betroffenen Seite des Kopfs gehalten hätten.
Und noch etwas monieren Kritiker: In einzelnen Ländern sei es schwierig gewesen, genügend Testpersonen zu finden. Grund: Es gibt nicht so viele Menschen, die schon über zehn Jahre ein Handy benutzen. Vermutlich sind sozial Schwache unterrepräsentiert, weil Wohlhabende eher bei solchen Studien mitmachen.
Experten sind sich über die Schlussfolgerungen uneinig
Unterschiedliche Auffassungen unter den Experten bestätigt auch Elisabeth Cardis: «Es gibt unter den beteiligten Wissenschaftern drei Gruppen. Ein Drittel ist der Ansicht, die Erhöhung der Tumor-Fälle bei langjährigem intensivem Handygebrauch sei auf statistische Ungenauigkeiten zurückzuführen.» Das zweite Drittel vertrete die Meinung, dass es tatsächlich zu verhängnisvollen Auswirkungen durch den Handygebrauch komme. Und das letzte Drittel könne sich weder für eine Warnung noch für eine Entwarnung stark machen. Weil die Auswirkungen riesig seien, «kann man die Resultate und Schlussfolgerungen nicht leichtfertig veröffentlichen», hält Cardis fest.
«Viele Studien zu früh durchgeführt»
Im Februar dieses Jahres haben die israelische Krebsforscherin Siegal Sadetzki und ihr Team von Interphone-Wissenschaftern eine Studie publiziert. Mit alarmierenden Resultaten: Die Studie zeigt, dass intensive Mobiltelefonnutzer ein 50 Prozent höheres Risiko haben, einen Speicheldrüsentumor oder einen Ohrspeicheldrüsentumor zu entwickeln. Und zwar auf der Seite, auf der das Handy gehalten wird.
«Ich würde sagen, unsere Resultate liegen auf der gleichen Linie mit den vorhergehenden, die zeigen, dass hier irgendetwas falsch läuft», kommentierte sie ihre Arbeit. «Nach zehn oder mehr Jahren sehen wir etwas.»
Laut Sadetzki stützt zwar der grösste Teil der globalen Handyforschung immer noch die Behauptung, dass die Technologie sicher sei. Das Problem sei aber, dass die meisten dieser Studien zu früh durchgeführt würden, um eine Bedeutung zu haben. «Es braucht mindestens zehn, zwanzig oder dreissig Jahre, um eine Krebsgefährdung zu sehen», sagt sie.
Auch nach der Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis im August 1945 seien erst Jahrzehnte später erste Studien aufgetaucht, die einen Zusammenhang zwischen der Häufung von Hirntumoren und der atomaren Strahlung nachwiesen.
So reduzieren Sie die Strahlenbelastung
Das Handy ist die stärkste elektromagnetische Strahlenquelle des Alltags. Das Bundesamt für Gesundheit hält zum Thema Strahlenbelastung bei Handys fest: «Es ist ratsam, bis zum Vorliegen verlässlicher Forschungsresultate die Strahlenbelastung des Kopfes möglichst klein zu halten.»
Dabei hält man sich am besten an folgende Punkte:
- Bei einer guten Verbindungsqualität strahlt das Handy weniger als bei einer schlechten. Deshalb: Nur bei gutem Empfang telefonieren und nicht in geschlossenen Räumen, Tiefgaragen, Aufzügen etc. Die Verbindungsqualität wird auf dem Display des Handys mit Balken angezeigt.
- Schalten Sie das Handy möglichst oft ganz aus. Dann nimmt es nicht mehr alle paar Minuten kurz Kontakt zum nächsten Sendemast auf.
- Tragen Sie ein eingeschaltetes Handy nicht am Körper. Es gibt zum Beispiel wissenschaftliche Hinweise, dass die Spermienqualität von Männern sinken kann, wenn sie ein dauernd eingeschaltetes Handy in der Hosentasche tragen.
- Halten Sie das Handy nach dem Wählen einer Nummer nicht sofort ans Ohr, warten Sie, bis die Verbindung steht. Grund: Beim Aufbau der Verbindung strahlen Mobiltelefone am stärksten.
- Schlafen Sie nicht neben dem Handy. Als Wecker nur Handys benutzen, die man abschalten kann.
- Nicht in Fahrzeugen (Auto, Bus, Bahn) telefonieren, weil da das Handy mit voller Leistung strahlt. Und wenns im Auto nicht anders geht: Handy an eine Aussenantenne anschliessen und mit einer Freisprecheinrichtung ausrüsten.
- Achten Sie beim Kauf eines Mobiltelefons darauf, dass der Sar-Wert klein ist. Dieser Wert gibt den Anteil der Strahlung an, der beim Telefonieren vom Kopf absorbiert wird (Watt pro Kilogramm Körpermasse, W/kg). Den Sar-Wert findet man in der Gebrauchsanweisung oder im Internet. Strahlungsarme Handys haben einen Sar-Wert unter 0,6 W/kg.
- Je kürzer das Gespräch, desto kürzer auch die Strahlenbelastung. Oder: SMS schicken statt telefonieren.
- Wer einen Herzschrittmacher trägt: Das eingeschaltete Handy auf keinen Fall am Körper tragen, schon gar nicht in der Brusttasche. Schon die ab und zu gefunkten Verbindungssignale zur nächsten Basisstation reichen für die Störung des Herzschrittmachers.
- Kinder sind besonders empfindlich, da die Knochen dünner sind und die Strahlung stärker durch den Schädel dringt. Die Wiener Ärztekammer empfiehlt: «Kinder unter 16 Jahren sollten Handys nicht benutzen.»