Schweres Geschütz gegen Demenz
Demente und verwirrte Patienten bekommen im Spital und in Heimen oft starke Medikamente. Nun kommt eine australische Studie zum Schluss: Den Patienten geht es damit eher schlechter.
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Gesundheitstipp 05/2017
05.05.2017
Letzte Aktualisierung:
09.05.2017
Tobias Frey
Patienten am Lebensende oder mit Demenz sind oft verwirrt. Sie können sich nicht mehr orientieren, werden unruhig oder gar aggressiv. Fachleute sprechen vom Delir. Im Spital und in Heimen verschreibt ihnen der Arzt deshalb oft starke Medikamente. Dazu gehören Haldol und Risperdal. Die Pharmaindustrie hat diese Mittel ursprünglich entwickelt, um Wahnvorstellungen bei Schizophrenie-Kranken zu dämpfen. Beide können zu starken Nebenwirkungen führen: Haldol löst ...
Patienten am Lebensende oder mit Demenz sind oft verwirrt. Sie können sich nicht mehr orientieren, werden unruhig oder gar aggressiv. Fachleute sprechen vom Delir. Im Spital und in Heimen verschreibt ihnen der Arzt deshalb oft starke Medikamente. Dazu gehören Haldol und Risperdal. Die Pharmaindustrie hat diese Mittel ursprünglich entwickelt, um Wahnvorstellungen bei Schizophrenie-Kranken zu dämpfen. Beide können zu starken Nebenwirkungen führen: Haldol löst Schluckkrämpfe oder Bewegungsstörungen aus, Risperdal Ängste oder Parkinson-Symptome.
Jetzt kommen australische Forscher im Fachblatt «Journal of American Medial Association» zum Schluss: Diese Medikamente helfen Delir-Patienten nicht. Es geht ihnen damit nicht besser, als wenn man sie nur pflegt und unterstützt. Im Gegenteil: Die Hirnleistung war nach der Behandlung schlechter als vorher. Die Forscher hatten 300 Patienten mit leichtem bis mittelschwerem Delir drei Tagen lang untersucht und die Symptome notiert.
Für den pensionierten Professor Christoph Hürny von der Geriatrischen Klinik St. Gallen ist die Studie «ein Segen». Im Fachblatt «Infomed-Screen» schreibt er: «Diese ausgefeilte Studie zeigt eindeutig, dass diese Art Medikamente zum Behandeln des Delirs ungeeignet ist.» Man sollte sie weglassen. Ärzte sollten besser die Ursache des Delirs abklären und behandeln. Zudem sollte man Patienten pflegen, unterstützen und die Angehörigen miteinbeziehen. Auch Thomas Münzer vom Bürgerspital St. Gallen sagt, dass die Mittel «das Delir vermutlich nicht beeinflussen».
Die Schweizerische Gesellschaft für Alterspsychiatrie und -psychotherapie sieht das anders. Egemen Savaskan, Vorstandsmitglied und Chefarzt der Klinik für Alterspsychiatrie am Unispital Zürich, schreibt, ein Delir könne gerade bei Demenzpatienten viele Ursachen haben. Bis man die richtige Diagnose gestellt habe, könne man den Patienten die Mittel geben. Man verschreibe sie ohnehin nur, wenn alles andere nichts nütze. «Man setzt sie nicht ein, weil sie optimal sind, sondern weil die Alternativen schlechter sind.» Wie oft Ärzte in Spitälern und Pflegeheimen solche Mittel verschreiben, ist unklar. Erhebungen dazu gibt es nicht. Doch laut Arzt Hürny sind die Medikamente «sehr verbreitet».