Selbstaufgabe: Ein Opfer, das keinem nützt
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Gesundheitstipp 2/2000
01.02.2000
Hans-Peter will Brigitte verlassen. Und zwar sofort. «Mir ist die Puste ausgegangen, ich bekomme keine Luft mehr.» Brigitte vermutet, dass er sich in eine andere Frau verliebt hat. Hans-Peter jedoch weist diesen Verdacht entschieden zurück. Was ist geschehen?
Brigitte und Hans-Peter leben seit einigen Jahren zusammen. Es ging ihnen gut und sie fühlten sich wohl. Sie achteten darauf, möglichst viel Zeit miteinander zu verbringen. Nun aber will er möglichst weit weg von ihr, l...
Hans-Peter will Brigitte verlassen. Und zwar sofort. «Mir ist die Puste ausgegangen, ich bekomme keine Luft mehr.» Brigitte vermutet, dass er sich in eine andere Frau verliebt hat. Hans-Peter jedoch weist diesen Verdacht entschieden zurück. Was ist geschehen?
Brigitte und Hans-Peter leben seit einigen Jahren zusammen. Es ging ihnen gut und sie fühlten sich wohl. Sie achteten darauf, möglichst viel Zeit miteinander zu verbringen. Nun aber will er möglichst weit weg von ihr, lieber heute als morgen.
Der Grund: Er will endlich wieder einmal er selbst sein und all die Dinge tun, die ihm gefallen und wichtig sind. Er will sich mit den Leuten treffen, mit denen er sich gut versteht. Vor allem aber will er endlich seinen geliebten Hobbys wieder nachgehen können. Bis jetzt hatte er sich wie ein Dieb in der Nacht davonschleichen müssen, um sich einige Stunden dem zu widmen, was ihm Spass macht.
Wer sich zu sehr anpasst, verliert die eigene Identität
Wer sich in einer Beziehung zu stark dem Partner oder der Partnerin anpasst, wird sich irgendwann selbst verlieren. Und das ist ein ernst zu nehmendes Problem. Irgendwann fühlt es sich an wie ein Verrat an der eigenen Person. Wer zu viel von seiner eigenen Identität für den anderen aufgibt, vollbringt ein Opfer, das niemandem nützt. Im Gegenteil: Es schadet langfristig der Beziehung. Wer seine eigenen Wünsche aufgibt, erwartet, dass der andere ihn dafür entschädigt. «Ich höre auf Tennis zu spielen, aber du musst mich dafür glücklich machen.»
Es wird auf die Dauer kaum gelingen, die Glücksgefühle, die sich beim Sport einstellen, durch einen gemeinsamen Spaziergang oder ein gutes Essen mit Kerzenlicht zu erzeugen. Allmählich schleicht sich ein geheimer Groll gegen den anderen ein.
Der Ausgangspunkt für eine gut funktionierende Beziehung liegt darin, mit sich selbst in einem guten Einverständnis zu leben, für sich und für das, was einem wichtig ist, gut zu sorgen und sich einzusetzen. Wenn wir uns so weit verändern, dass unsere Welt nahtlos in die Welt des Partners oder der Partnerin hineinpasst, verleugnen wir uns selbst. Es mag durchaus für eine bestimmte Zeit gelingen, sich und seine eigenen Anliegen und Wünsche zu übergehen. Wir können ja auch die Luft anhalten. Aber nach wenigen Momenten reicht der stärkste Wille nicht aus, das Atmen zu unterdrücken.
Wer sich selbst zugunsten des Partners oder der Partnerin vergisst, wird irgendwann im Kampf gegen die eigenen Bedürfnisse unterliegen. Wenn wir unsere Individualität verlieren, werden wir früher oder später etwas vermissen und auf die Suche nach dem eigenen Selbst gehen.
In der Partnerschaft sich selber treu bleiben
Manchmal äussern Paare den Wunsch, sich für eine gewisse Zeit zu trennen, um wieder einmal durchzuatmen und sich zu spüren. Das bedeutet, dass es ihnen in der Beziehung zu wenig gelungen ist, sich selbst die Treue zu halten. Wer sich selbst die Treue hält, wird auch weniger Gefahr laufen, dem Partner oder der Partnerin untreu zu werden. Wer sich selbst verloren hat, schafft geradezu ideale Bedingungen, sich in einen anderen Menschen zu verlieben.
Deshalb tun wir gut daran, unsere persönlichen Bedürfnisse ernst zu nehmen und ihnen genügend Raum zu geben. Je besser es uns persönlich geht, desto wohler werden wir uns in unserer Beziehung fühlen.
Buchtipp:
- Dirk Revenstorf: «Wenn das Glück zum Unglück wird, Psychologie der Paarbeziehung», Beck'sche Reihe, Fr. 17.-
- Georg Felser: «Bin ich so, wie du mich siehst? Die Psychologie der Partnerwahrnehmung», Beck'sche Reihe, Fr. 19.-
Vortragskassetten:*
- Arno Gruen: «Die Schwierigkeit, sich selber zu sein», Auditorium, Fr. 22.-
*Bezugsquelle: Media Didacta Verlag, Postfach 1314, 8580 Amriswil, Tel. 071 411 04 06, Fax 071 411 04 05, media-didacta@bluewin.ch.
Julia Onken
Die Psychologin und Autorin behandelt auf dieser Seite Fragen und Probleme aus Partnerschaft und Ehe. Die Gründerin und Leiterin des Frauenseminars Bodensee und des Vereins «Bildungsfonds für Frauen» hat sich auch als Dozentin in der Erwachsenenbildung einen Namen gemacht. (www.julia-onken.ch)