Es ist ein Montagnachmittag im Freizeitzentrum Landauer in Riehen BS. Walzermusik füllt den Raum. Die Tänzer drehen sich im Kreis, gehen drei Schritte vor, drei Schritte zurück, bevor sie erneut im Kreis wirbeln. Zehn Senioren haben sich an diesem Frühlingstag zum Tanzen versammelt.
Ruth Lichtenberger (70) wirkt voll konzentriert. Dann aber lächelt sie – und wenig später ist ihr Gesichtsausdruck viel gelöster. Die zierliche Frau tanzt seit fünf Jahren im Kurs der Pro Senectute mit. Es sei ein Aufsteller, sagt sie: «Manchmal komme ich bedrückt hierher, danach aber gehts mir immer gut.» Lichtenberger schätzt nicht nur den Kontakt zu den anderen Teilnehmern. Sie sagt, das Tanzen trainiere auch das Gehirn: «Ich muss mir immer wieder neue Schrittfolgen merken.»
Der einzige Mann in der Runde ist Max Kubli. Der 89-Jährige braucht zum Gehen einen Stock, nicht aber zum Tanzen. Flink und total im Rhythmus schiebt er seine Partnerin übers Parkett, der Mann, dem es nichts ausmacht, Hahn im Korb zu sein: «Ich bin gern unter Frauen. Sie sind viel interessanter als Männer. Sie wissen etwas zu erzählen.»
Tanzen schützt besser vor Demenz als Spielen
Die 83-jährige Rita Keller ist seit rund 20 Jahren in der Gruppe. Es sei schön, unter Leuten zu sein und sich zu bewegen. Und dann erzählt sie, dass sie sich kürzlich einen der Tänze zu Hause aufgeschrieben habe, zuerst die Noten und dann die Schritte dazu, weil er ihr so gut gefallen habe.
Fest steht: Tanzen tut nicht nur gut, es ist auch gesund. Wer regelmässig übers Parkett wirbelt, erkrankt seltener an Demenz. Das hat die Studie eines US-Forscherteams des Albert Einstein College of Medicine in New York ergeben. Die Forscher untersuchten die Freizeitaktivitäten von rund 500 Senioren. Sie stellten fest, dass Tanzen besser vor Demenz schützt als andere sportliche Betätigungen oder auch als Brettspiele.
Christian Baumann, Leitender Arzt der Klinik für Neurologie am Unispital Zürich, erklärt: «Tanzen fordert das menschliche Gehirn auf verschiedenen Ebenen.» So sei mit dem Tanzen stets ein Lernvorgang verbunden, weil man sich immer wieder neue Schrittfolgen merken müsse. Zudem spreche es einen auf der emotionalen Ebene an, aktiviere die Muskeln, trainiere das Gleichgewicht und auch die Sinne.
Baumann sieht es gern, wenn Patienten mit Krankheiten wie Demenz oder Parkinson tanzen. «Es gibt Hinweise, dass man den Verlauf solcher Krankheiten durch regelmässiges Tanzen günstig beeinflussen kann.»
Zum Tanzen rät auch Neurologe Notger Müller, der an der Otto-von-Guericke-Universität im deutschen Magdeburg forscht. Er untersuchte mit Sportwissenschaftern zusammen die Auswirkung des Tanzens auf das Gehirn älterer Menschen. Aufnahmen des Gehirns zeigten, dass Tanzen mehr Hirnregionen verändert als Ausdauersport: «Wer tanzt, muss ständig mitdenken. Wir nehmen an, dass dies damit zusammenhängt.» Müller hat zudem festgestellt, dass bestimmte Hirnregionen durch das Tanzen anwachsen. «Das hat uns überrascht, weil das Hirnvolumen im Alter normalerweise abnimmt.» Das Tanzen tue auch gut, weil die Verletzungsgefahr gering sei, man dabei mit anderen Personen zusammen sei und weil dazu auch immer Musik gehöre, sagt Notger Müller.
Auch Anna Munk von der Schweizerischen Alzheimervereinigung ist überzeugt: «Die Musik kann schöne Erinnerungen wecken, das Tanzen gleicht psychisch und körperlich aus.» Es könne so dazu beitragen, die Paarbeziehung zu verbessern, die aufgrund einer Demenz verändert sei. «So erleben die Paare zusammen entspannte Momente.»
Tanzen vermindere zudem die Sturzgefahr, wie Reto W. Kressig, Chefarzt Universitäre Altersmedizin am Felix-Platter-Spital Basel, sagt. Er ist Co-Autor einer Studie, die das Unispital Genf gemeinsam mit der Universitären Altersmedizin realisierte. Resultat: Das Risiko zu stürzen sank um rund die Hälfte, wenn Senioren während sechs Monaten einmal wöchentlich an einem Dalcroze-Kurs teilnahmen. Dabei bewegt man sich zu Klaviermusik.
Nicht für einen Dalcroze-, sondern für den Tanzkurs der Pro Senectute in Riehen hat sich Ruth Lichtenberger damals entschieden. Zuvor hatte sie 40 Jahre lang nicht mehr getanzt. Nun ist die Stunde vorbei, und die 70-Jährige sagt: «Die Musik habe ich sofort wiedererkannt. Gleichzeitig habe ich festgestellt, dass noch alle Schritte auf der Festplatte gespeichert sind.» Und das scheint sie noch immer ein bisschen zu überraschen.