Trendige Bakterien: Grosse Versprechen, fragliche Wirkung
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saldo 2/2000
02.02.2000
Probiotische Joghurts und Drinks sind im Trend. Laut Werbung sollen sie die Abwehrkräfte des Körpers stärken. Doch unabhängige Wissenschafter widersprechen dieser Behauptung.
Joghurts sind bei den Schweizerinnen und Schweizern sehr beliebt. 17,6 Kilo haben sie 1998 pro Kopf und Jahr vertilgt -Tendenz steigend. Seit einigen Jahren quellen nun die Re-gale der Grossverteiler über mit so genannt probiotischen Joghurts und Drinks (probiotisch stammt aus dem Griechischen und bedeut...
Probiotische Joghurts und Drinks sind im Trend. Laut Werbung sollen sie die Abwehrkräfte des Körpers stärken. Doch unabhängige Wissenschafter widersprechen dieser Behauptung.
Joghurts sind bei den Schweizerinnen und Schweizern sehr beliebt. 17,6 Kilo haben sie 1998 pro Kopf und Jahr vertilgt -Tendenz steigend. Seit einigen Jahren quellen nun die Re-gale der Grossverteiler über mit so genannt probiotischen Joghurts und Drinks (probiotisch stammt aus dem Griechischen und bedeutet "für das Leben").
Die Hersteller der probiotischen Produkte versprechen den Konsumenten stärkere Abwehrkräfte und bessere Gesundheit: "Fördert und stabilisiert die Verdauung", "Der tägliche Beitrag für Ihre Gesundheit", "Verstärken Sie Ihre natürlichen Abwehrkräfte" oder "Die tägliche Quelle für Ihr Wohlbefinden" heisst es in den mil-
lionenschweren Werbekampagnen.
Joghurt enthält für die Darmflora gesunde Bakterien
Was steckt dahinter? Zuerst einmal dies: Joghurts sind esund. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts erforschte der Russe Ilja Metschnikoff die Joghurt-Bakterien und ihre Auswirkungen auf die menschliche Darmflora. Er nahm an, dass fäulnisverursachende Bakterien im menschlichen Darm zu einer Vergiftung führen und dass der Genuss von milchsäurebildenden Keimen (in den Joghurts enthalten) dem
entgegenwirke. Metschnikoff begründete seine Forschungen auf der Tatsache, dass die Menschen in Ost-europa viele Joghurtprodukte konsumierten und gleichzeitig sehr alt wurden. Seine damals revolutionären Erkenntnisse brachten ihm 1908 den Nobelpreis ein.
Die Probiotika sind eine Goldgrube für die Hersteller
Mit seiner Theorie weckte der Russe das Interesse der Wissenschafter an der Wirkungsweise der Milchsäurebakterien. Die Lebensmittelindustrie forscht heute in-tensiv auf diesem Gebiet. Vor allem wird untersucht, wie sich die Bakterien auf die menschliche Verdauung auswirken.
In der Darmflora existieren zwischen 400 und 600 verschiedene Bakterienarten. Einigen von ihnen werden gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben, andere haben eher schädigende Wirkungen. Die Immunabwehr des Körpers hängt stark davon ab, ob der Darm mit möglichst vielen nützlichen Bakterienstämmen besiedelt ist. Diese wehren eindringende Krankheitserreger ab.
Bakterien sind auch im her-kömmlichen Joghurt enthalten. Sie tragen Namen wie Lactobacillus bulgaricus und Streptococcus thermophilus. Diese Bakterienstämme kommen sozusagen aus dem Kuhstall, denn ursprünglich entstammen sie der Darmflora der Wiederkäuer.
Den probiotischen Jo-ghurts werden nun zusätz-lich Bakterienstämme aus der Lactobacillus-acidophilus-Gruppe, der Lactobacillus-casei-Gruppe und Bifidusbakterien zugesetzt. Diese Keime wurden aus der menschlichen Darmflora isoliert. Sie sollen sich güns-tig auf die Gesundheit aus-wirken, indem sie die Darmflora positiv beeinflussen. Die Wirkungsweise vonProbiotika ist sehr umstrit-ten und deshalb Gegenstand intensiver Diskussionen unter Wissenschaftern (siehe Kasten).
Unbestritten ist immerhin: Menschen, die Milchzucker nicht vertragen und darauf mit Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall reagieren, verdauen probiotische Produkte weit besser. Denn die Keime unterstützen den Milchzuckerabbau im Darm.
Nur vorübergehend positive Wirkung auf die Darmflora
Damit die Mikroorganismen überhaupt eine Wirkung haben können, müssen sie lebend und in genügend grosser Menge den unteren Darmtrakt erreichen. Das ist nicht einfach. Denn bevor sie dorthin gelangen, haben sie einige Attacken zu überstehen. Die Keime sind der Magen- und Gallensäure sowie den eiweisszersetzenden Enzymen im Dünndarm
ausgesetzt.
Auf die Dauer im Darm ansiedeln können sich die probiotischen Bakterien allerdings nicht, auch wenn die Aussagen mancher Hersteller dies andeuten. Denn die Darmflora ist ein stabi-les, individuelles Ökosystem mit unzähligen Bakterien-arten. Bestenfalls bewirken die zugeführten Keime eine vorübergehende Unterstützung der bereits im Darm enthaltenen "guten" Bakterien.
Um eine dauerhafte Wirkung zu