"Treppen überwinde ich nur mühsam kriechend" - Werner Locher, 54: Leben mit halbseitiger Lähmung
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Gesundheitstipp 10/2004
13.10.2004
Noch vor drei Jahren war ich ein begeisterter Sportler: Ich fuhr Ski, schwamm und fuhr mit dem Kanu durchs Wildwasser. Ich war ein richtiger Abenteurer und reiste viel. Ich hatte sogar die Pilotenlizenz.
Jetzt geht gar nichts mehr. Ich bin halbseitig gelähmt und meist auf den Rollstuhl angewiesen. Noch knapp 500 Meter kann ich mit einem Stock gehen. Treppenstufen überwinde ich mühsam kriechend.
Doch kein Arzt weiss, woran ich leide. Die einen reden von einer selt...
Noch vor drei Jahren war ich ein begeisterter Sportler: Ich fuhr Ski, schwamm und fuhr mit dem Kanu durchs Wildwasser. Ich war ein richtiger Abenteurer und reiste viel. Ich hatte sogar die Pilotenlizenz.
Jetzt geht gar nichts mehr. Ich bin halbseitig gelähmt und meist auf den Rollstuhl angewiesen. Noch knapp 500 Meter kann ich mit einem Stock gehen. Treppenstufen überwinde ich mühsam kriechend.
Doch kein Arzt weiss, woran ich leide. Die einen reden von einer seltenen Form von fortschreitender Multipler Sklerose, gegen die es keine Therapie gebe. Die andern schliessen diese Krankheit aus.
Alles hat ganz harmlos angefangen: Nach einem Spurt auf den Zug hatte ich eine starke Zerrung im linken Bein. Dann, bei einem langen Spaziergang durch Köln, zog ich plötzlich das linke Bein nach. Ich schaffte es nur noch ganz knapp, den Turm des Kölner Doms zu besteigen. Mein Gang wurde mit der Zeit immer tapsiger. Schliesslich ging ich zum Arzt. Der Verdacht auf einen Hirntumor erwies sich zum Glück als falsch. Auch die tödlich verlaufende Nervenkrankheit ALS konnten die Ärzte ausschliessen.
Schliesslich meinten die Spezialisten, es könnte sich um Multiple Sklerose handeln und schickten mich zur Kur nach Valens. Dort sollte ich täglich eine Stunde schwimmen. Obwohl ich ein geübter Schwimmer war, schaffte ich es bald nicht mehr ohne Flossen. Denn ich konnte das linke Bein nicht mehr richtig kontrollieren. Dann begann sich auch noch die linke Hand zu verkrampfen. Ich hatte bald keine Kraft mehr, die Krücke zu halten. Dreimal hintereinander stürzte ich schwer. Ich bekam Spezialschuhe und später Gehschienen.
Die Krankheit hat meinen Aktionsradius extrem eingeschränkt. Meine Partnerin kann den schweren Elektrorollstuhl nicht allein in den Kofferraum des Autos heben. Ich vermisse meine abenteuerlichen Reisen in die kanadische Wildnis, nach Neuguinea oder in den Tibet. Kürzlich haben wir in Holland eine neue Reiseart ausprobiert: Unser Berner Sennenhund zog mich im Hundewagen über weite Strecken.
Ich möchte unbedingt wissen, woran ich leide. Deshalb bin ich auch für Therapie-Experimente zu haben. Chemotherapien habe ich zwar erstaunlich gut vertragen, aber eine Besserung brachten sie nicht.
Letzten Februar hatten die Ärzte eine neue Vermutung: Sie glaubten, dass eine Arterie direkt unter dem Hirnstamm auf das Rückenmark drücke. Ich verbrachte eine Woche im Unispital Zürich, wo ich diversen Spezialuntersuchen unterzogen wurde. Bisher hat noch niemand in der Schweiz versucht, diese Arterie operativ zu verlegen. Die Ärzte konnten mir keine Garantie geben, dass sich die Lähmungen bessern, und die Risiken würden beträchtlich sein. Doch ich setzte grosse Hoffnung in diese Operation.
Wenige Stunden vor dem Eingriff sagten die Chirurgen die Operation ab. Eine letzte Untersuchung hatte ergeben, dass zwischen Arterie und Rückenmark doch noch ein Zwischenraum liegt. Die Arterie drückte die Nerven also nicht ab.
In der Schweiz und in Deutschland kann mir kein Spezialist mehr weiterhelfen. Und Untersuchungen in den USA hat die Krankenkasse abgelehnt. Mir bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten, bis es neue Erkenntnisse gibt. Diese Ungewissheit ist für mich nur schwer auszuhalten. Zurzeit mache ich Ergo-, Physio- und die Perfetti-Therapie. Dadurch kann ich wenigstens den Abbau etwas hinauszögern.
Aufgezeichnet: Ursula Angst-Vonwiller
Diese Therapien können bei Lähmungen helfen
Lähmungen an Armen und Beinen sind oft die Folge einer Krankheit oder Verletzung des Gehirns, Rückenmarks, von peripheren Nerven oder der Muskeln. Zum Beispiel bei Multipler Sklerose, Gehirnentzündungen, Bandscheibenvorfall oder Gehirntumoren.
Die gelähmten Muskeln sind entweder schlaff oder verkrampft. Die Patienten erhalten meist Physio- und Ergotherapie. Durch Therapie können Patienten ihre gelähmten Glieder teilweise wieder bewegen. Oder die Betroffenen lernen, den Alltag mit anderen Bewegungen und Hilfsmitteln zu bewältigen.
Bei halbseitiger Lähmung kann auch die Perfetti-Therapie helfen. Dabei versucht der Patient mit grosser Konzentration, Abläufe der gesunden Körperhälfte auf die andere Seite zu übertragen. Die Therapie wird von einigen Spitälern, Rehakliniken, Ergo- und Physiotherapeuten angeboten.
- Kontakt zu Selbsthilfegruppen für Menschen mit Lähmungen: Stiftung Kosch, Tel. 0848 810 814