Wechseljahre - «Soll ich Hormone schlucken?»
Inhalt
Gesundheitstipp 6+7/2002
01.06.2002
Hausärztin Regula Dirr berät die Patientin Ingrid Toggweiler
Ingrid Toggweiler nimmt seit zehn Jahren ein Hormonpräparat wegen der Wechseljahre. Sie hat Krampfadern und eine Venen-Entzündung und litt vor einiger Zeit an einer Thrombose. Soll sie die Hormone weiter schlucken? Regula Dirr, Hausärztin der Medix-Praxis, berät sie.
Regula Dirr: Warum hat man Ihnen die Hormone verschrieben?
Ingrid Toggweiler: Ich hatte starke Wallungen nach dem Ausble...
Hausärztin Regula Dirr berät die Patientin Ingrid Toggweiler
Ingrid Toggweiler nimmt seit zehn Jahren ein Hormonpräparat wegen der Wechseljahre. Sie hat Krampfadern und eine Venen-Entzündung und litt vor einiger Zeit an einer Thrombose. Soll sie die Hormone weiter schlucken? Regula Dirr, Hausärztin der Medix-Praxis, berät sie.
Regula Dirr: Warum hat man Ihnen die Hormone verschrieben?
Ingrid Toggweiler: Ich hatte starke Wallungen nach dem Ausbleiben der Blutungen und meine Gynäkologin empfahl mir diese Pille. Das Medikament hat mir sehr geholfen. Ich hatte keine Wallungen mehr.
Dirr: Diese Hormone - es sind Östrogene und Gestagene - erhöhen allerdings die Wahrscheinlichkeit, eine Thrombose oder Lungenembolie zu erleiden.
Toggweiler: Das wusste ich nicht.
Dirr: Konkret gesagt: Von 74 Frauen, die während vier Jahren Hormone nehmen, hat eine Patientin eine Thrombose. Bei Raucherinnen sowie Frauen mit Krampfadern oder bereits durchgemachten Thrombosen ist das Risiko noch grösser.
Toggweiler: Soll ich diese Pille also nicht mehr nehmen?
Dirr: Sie haben bereits Krampfadern und eine Venen-Entzündung. Wegen der Thrombose-Gefahr würde ich Ihnen deshalb abraten. Wir müssen allerdings abklären, ob es allenfalls Gründe gibt, weshalb Sie die Hormone weiter schlucken sollten.
Toggweiler: Wie ist es mit den Wallungen?
Dirr: Sie sind jetzt 67 Jahre alt. Die Wallungen sind vorbei. Wallungen können während der natürlichen Umstellung auftreten. Sehr viele Frauen fühlen sich eingeschränkt dadurch. Viele Frauen müssten allerdings lernen zu akzeptieren, dass sich ihr Körper umstellt. Dazu gehört, dass man manchmal schwitzt. Auch ein roter Kopf ist eigentlich nichts Krankhaftes.
Man kann allerdings auch ohne Hormone etwas gegen Wallungen tun: viel Bewegung, sich geistig fit halten, Soja-Produkte essen. Es gibt auch wirksame Östrogene und andere Medikamente aus Pflanzen. In Japan wenden viele Frauen solche Mittel an, Wechseljahr-Beschwerden sind dort nicht bekannt.
Toggweiler: Das wären Gründe, das Medikament abzusetzen.
Dirr: Die Gebärmutter wurde Ihnen nicht entfernt?
Toggweiler: Nein, wieso?
Dirr: Bei Frauen, die sich im fruchtbaren Alter die Gebärmutter entfernen liessen, setzt die Menopause frühzeitig ein. Es ist deshalb sinnvoll, in diesem Fall Hormone zu nehmen.
Toggweiler: Nützen Hormone gegen Knochenschwund?
Dirr: Das kommt darauf an, ob Sie Risikofaktoren haben.
Toggweiler: Das weiss ich nicht.
Dirr: Risikofaktoren für Knochenschwund und die dadurch steigende Gefahr von Knochenbrüchen sind: Einnehmen von Kortison über längere Zeit, Rauchen, lange Bettruhe, anhaltender Bewegungsmangel, Ausbleiben der Menstruation über eine längere Zeit. Hat Ihre Mutter oder Ihre Schwester Osteoporose?
Toggweiler: Nein. Ich habe weder die von Ihnen genannten Risikofaktoren, noch gibt es in meiner Familie Fälle von Osteoporose.
Dirr: Dann nützen Ihnen Hormone auch nichts. Im Gegenteil: Sie werden an den Nebenwirkungen leiden. Hormone beeinflussen die Knochendichte zwar positiv - nicht aber die Anzahl Knochenbrüche. Das heisst: Frauen, die Hormone nehmen, haben genauso viele Brüche wie solche mit geringerer Knochendichte, weil sie keine Hormone nehmen.
Toggweiler: Gibt es andere Medikamente, um dem Knochenschwund vorzubeugen?
Dirr: Medikamente zum Vorbeugen von Knochenschwund machen nur dann Sinn, wenn Risikofaktoren da sind. Wie wir vorhin gesehen haben, sind bei Ihnen solche Risikofaktoren aber nicht vorhanden.
Beispiele für vorbeugende Medikamente sind Vitamin-D- und Kalzium-Präparate. Die billigste Methode ist, sich ausgewogen zu ernähren, mit viel Gemüse und wenig tierischem Fett. Zudem sollte man sich regelmässig bewegen und auf diese Weise die Muskeln stärken und die Gelenke beweglich halten. Dreimal eine halbe Stunde in der Woche bringen bereits wesentliche Fortschritte. Falls Sie trotzdem eine starke Osteoporose bekommen, gibt es wirksame Medikamente.
Toggweiler: Können Hormone Krebs verhindern oder auslösen?
Dirr: Studien zeigen, dass Frauen, die Hormone nehmen, häufiger an Gebärmutter-, Eierstock- oder Brustkrebs erkranken.
Toggweiler: Wie gross ist denn dieses Risiko?
Dirr: Wenn Sie ein Hormon-Präparat nehmen, das Östrogene und Gestagene enthält, ist das Risiko 2,5- mal grösser, an Gebärmutterkrebs zu erkranken. Wenn Sie nur Östrogene nehmen würden, wäre das Risiko sogar viermal grösser. Sie müssten dann jährlich eine gynäkologische Untersuchung mit Ultraschall machen. In der Brust bewirken die Hormone zudem eine Verdichtung des Gewebes, was zu Zysten und Brustspannen führt. Dadurch können Ärzte häufiger Tumoren auch übersehen.
Ingrid Toggweiler entschied sich nach der Beratung durch ihre Ärztin, die Hormone abzusetzen.
Die aufgeklärte Patientin - Stellen Sie die richtigen Fragen
- Über Vor- und Nachteile einer Behandlung oder Operation muss Sie der Arzt nach dem neusten Stand der Wissenschaft informieren.
- Er muss Ihnen auch sagen, was kurzfristig, aber auch langfristig passiert, wenn Sie sich nicht oder anders behandeln lassen.
- Sie können dazu beitragen, wenn Sie dem Arzt die richtigen Fragen stellen.
- Das hier abgedruckte Gespräch ist ein Beispiel, wie eine Ärztin aufklären und wie eine Patientin Fragen stellen soll.
Nutzenforschung - Wo künstliche Hormone nützen und wo nicht
Hunderte von Studien sollten in den letzten Jahren den Nutzen von künstlichen Hormonen belegen - mit bescheidenem Erfolg. Neuere Untersuchungen verdeutlichen: Hormone bringen Patientinnen in den Wechseljahren mehr Nachteile, zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für Brust- und Gebärmutterkrebs, Thrombosen, Gallensteinbeschwerden und trockene Augen.
Hier wirken Hormone
- Hautprobleme und Juckreiz: Lokal angewendete Östrogene und pflanzliche Östrogene lindern die Beschwerden.
- Wallungen: Studien belegen den Nutzen von Östrogenen. Alternativen sind pflanzliche Östrogene und mehr körperliche Bewegung. Patientinnen sollten sich zudem geistig fit halten.
- Harnweg-Entzündungen, Schmerzen beim Sex: Östrogene oder kombinierte Hormonpräparate vermindern die Symptome. Östrogenhaltige Cremen wirken lokal ebenso gut.
Hier wirken Hormone nicht
- Hirnschlag: Die Hinweise, dass das Risiko eher zunimmt, verdichten sich.
- Demenz und Alzheimerkrankeit: Die Therapie mit künstlichen Hormonen hat bei diesen schweren Krankheiten keinen Nutzen.
- Knochenschwund und -brüche: Studien zeigen, dass Frauen, die Hormone einnehmen, einen verminderten Abbau der Knochenmasse haben. Gemäss heutigem Wissensstand erleiden Frauen, die Hormone zu sich nehmen, aber nicht weniger Knochenbrüche. Das heisst: Künstliche Hormone schützen nicht vor Knochenbrüchen.
- Depression: Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, ist nach dem 55. Lebensjahr für beide Geschlechter gleich gross. Bis heute konnte keine Studie belegen, dass Östrogene vor Depressionen schützen.
- Herz-Kreislauf-Krankheiten: Es gibt keine fundierten Studien, die zeigen, dass künstliche Hormone Herzkrankheiten verhindern können. Während den ersten zwei Jahren der Hormonbehandlung treten sogar häufiger Herzinfarkte und Hirnschläge auf als bei Personen, die keine Hormone nehmen. Östrogene können zwar die Blutfettwerte wie auch den Blutdruck günstig beeinflussen. Gestagene schwächen diese Wirkung aber wieder ab.