Ernährung: Folsäure gegen die Angst
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Gesundheitstipp 6+7/2000
26.05.2000
Neue Kampagne propagiert Produkte mit Folsäure - mit wackligen Argumenten
Die Folsäure-Offensive will Lebensmittel mit Folsäure-Zusätzen vermarkten. Diese sollen die Krankheit Spina bifida bei Ungeborenen verhindern. Doch die angereicherten Produkte sind dazu kaum geeignet.
Maria Walliser hat ein Kind, das an Spina bifida leidet. Diese Krankheit - auch "offener Rücken" genannt - ist tragisch. Betroffene Kinder leiden an Lähmungen und anderen körperlichen Behi...
Neue Kampagne propagiert Produkte mit Folsäure - mit wackligen Argumenten
Die Folsäure-Offensive will Lebensmittel mit Folsäure-Zusätzen vermarkten. Diese sollen die Krankheit Spina bifida bei Ungeborenen verhindern. Doch die angereicherten Produkte sind dazu kaum geeignet.
Maria Walliser hat ein Kind, das an Spina bifida leidet. Diese Krankheit - auch "offener Rücken" genannt - ist tragisch. Betroffene Kinder leiden an Lähmungen und anderen körperlichen Behinderungen.
Die ehemalige Skirennfahrerin möchte daher helfen, Folsäure bekannt zu machen. Folsäure (auch Vitamin B9) braucht es, damit sich der Embryo richtig entwickelt. Und da dies zu einem Zeitpunkt passiert, wenn die Frau meist noch gar nichts von der Schwangerschaft weiss, sollten Frauen mit Kinderwunsch generell gut versorgt sein.
Genau das sei nicht der Fall, warnt die Folsäure-Offensive seit Anfang Jahr eindringlich. Informationen über Spina bifida und die Betroffenheit von Maria Walliser verstärken die Botschaft. Und schüren damit bei Frauen die Besorgnis, ebenfalls ein Kind mit einer solchen Behinderung zu bekommen. Doch ist die Gefahr wirklich so gross?
Initiant der Kampagne ist Erich P. Meyer, Mitbesitzer der Multiforsa AG. Meyer beruft sich auf den 4. Schweizerischen Ernährungsbericht. Der habe festgestellt, dass ein grosser Teil der Bevölkerung unterversorgt sei.
Die deutsche Gesellschaft für Ernährung habe zudem den Tagesbedarf vor kurzem auf das Doppelte der Schweizer Empfehlung (neu: 0,4 Milligramm) erhöht. "Diese Menge kann man mit normalen Lebensmitteln kaum aufnehmen", sagt Erich P. Meyer. "Und die Essgewohnheiten der Leute zu ändern ist fast nicht möglich."
Meyer hat deshalb mehr als zwanzig Lebensmittel-Hersteller dafür gewonnen, ihre Produkte mit Folsäure anzureichern. Zum Beispiel Getreideriegel, Müesli, Suppen, Brot, Bonbons oder Guetsli. "Wir wollen helfen, die Versorgungslücke zu schliessen", sagt er.
Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) beschäftigt sich mit dem Thema. So ist schon länger im Gespräch, Mehl generell mit Folsäure anzureichern, ähnlich dem Jod im Salz. In den USA wird dies bereits gemacht. "Es gibt aber Kritiker, die dagegen sind", sagt Jürg Lüthy vom BAG. "Das BAG befürwortet zwar, Folsäure dem Mehl zuzusetzen. Doch zuerst sind weitere Studien nötig." Die private Initiative, sagt Lüthy, würde zwar zu einer bessereren Wahrnehmung des Problems in der Öffentlichkeit beitragen. Doch der Gehalt an natürlicher Folsäure in den propagierten Produkten sei zu gering für eine Prophylaxe von Spina bifida.
Betroffene Frauen haben einen Stoffwechseldefekt
Um diese Krankheit zu verhindern, braucht es grosse Mengen an Folsäure. Denn die meisten Spinabifida-Fälle, die in der Schweiz vorkommen, entstehen nicht deshalb, weil die Mütter zu wenig Folsäure hatten, sondern weil sie einen Stoffwechseldefekt haben (siehe Kasten). Ihr Körper kann die Folsäure nur ungenügend verwerten.
Gynäkologe Roland Zimmermann vom Zürcher Universitätsspital bestätigt dies. "Mit einer grösseren Dosis kann man bei diesen Frauen aber das Defizit überbrücken", sagt er. Doch dazu braucht es Mengen, die man nur mit synthetischer Folsäure erreichen kann.
Erich P. Meyer hat seine Partnerfirmen aber dafür gewonnen, ihren Produkten "Biogerm" zuzusetzen. Biogerm ist ein Produkt aus Weizenkeimen, das Meyers Firma Multiforsa seit 50 Jahren herstellt. Es enthält nebst andern Vitaminen und Mineralien auch relativ viel Folsäure. Doch für Frauen, die einen Stoffwechseldefekt haben, reicht diese Menge nicht.
Bleibt der Hinweis, dass Folsäure-Zusätze Herz-Kreislauf-Krankheiten vorbeugen könnten, wie die Kampagne ebenfalls propagiert. Dies ist aber nicht bewiesen. Eine qualitativ gute Studie zu dieser Frage hat in den USA erst begonnen.
Ob tatsächlich ein grosser Teil der Bevölkerung einen Mangel an Folsäure hat, ist zudem umstritten. Gemäss Jürg Lüthy vom BAG gibt es Hinweise, dass Teile der Bevölkerung nicht optimal mit Folsäure versorgt seien. Er räumt jedoch ein: "Wir haben keine guten Daten dazu." Die nur auf Import- und Exportstat