«Ich schwamm allen davon – trotz Armstumpf»
Leben mit Behinderung: Stephanie Baumann, 16, Sportlerin
Inhalt
Gesundheitstipp 07+08/2008
30.06.2008
Letzte Aktualisierung:
01.07.2008
Aufgezeichnet: Evi Biedermann
Für meine Mitschüler bin ich ein ganz normales Mädchen. Jedenfalls haben sie mich nie gehänselt wegen meines Arms. Trotzdem: Als Kind hatte ich oft Mühe, mit meinem Handicap umzugehen. Ich versteckte mein Ärmchen – besonders vor fremden Leuten. Und ich spürte, wie sie auf den Stumpf schielten. Aber niemand sagte etwas.
Damals war ich sehr schüchtern. Das hat sich geändert, als ich meine Leidenschaft für den Schwimmsport ...
Für meine Mitschüler bin ich ein ganz normales Mädchen. Jedenfalls haben sie mich nie gehänselt wegen meines Arms. Trotzdem: Als Kind hatte ich oft Mühe, mit meinem Handicap umzugehen. Ich versteckte mein Ärmchen – besonders vor fremden Leuten. Und ich spürte, wie sie auf den Stumpf schielten. Aber niemand sagte etwas.
Damals war ich sehr schüchtern. Das hat sich geändert, als ich meine Leidenschaft für den Schwimmsport entdeckt habe. Schwimmen bedeutet mir alles. Es ist mein Leben. Und ich bin gut. Im Juli fliege ich mit meiner Trainerin nach New Jersey an die Junioren-Weltmeisterschaft der Behinderten. Ich freue mich wahnsinnig darauf. Aber ich will noch besser werden. Mein Ziel sind die Paralympics 2012 in London.
Mein linker Arm ist kürzer und endet in einem Stumpf. Das ist die Folge eines Gendefekts. Ich verschwende nicht viele Gedanken daran. Ich bin so geboren und habe gelernt, mit zwei unterschiedlich entwickelten Armen zu leben. Die Behinderung empfinde ich nicht als Nachteil. Ich kann sogar stricken: In der Handarbeit war ich eine der Besten. Dafür habe ich lange geübt. Ich habe gezeigt, dass ich trotz meiner Behinderung alles allein machen kann. Ich hatte nie eine Prothese und ich möchte auch keine.
Den grossen Durchbruch für mein Selbstbewusstsein brachte mir der Schwimmsport. Als ich 14 Jahre alt war, machte ich an einem Plausch-Schwimmen in unserem Dorf mit. Ich schwamm allen davon – trotz meines Armstumpfes. Am Beckenrand stand auch meine heutige Trainerin. Sie fand, ich hätte Talent. Nur zwei Monate später wurde ich dreifache Schweizer Junioren-Meisterin in meiner Behinderten-Klasse. Letztes Jahr wurde ich sogar neunmal Schweizer Meisterin!
Durch den Sport lernte ich Menschen mit schwereren Handicaps kennen: Es gibt Schwimmer ohne Arme oder ohne Beine. Das hat mir geholfen, mich so zu mögen, wie ich bin. Vor allem aber tut mir die besondere Atmosphäre gut, die unter uns behinderten Sportlern herrscht. Wir sind wie eine Familie, gehen herzlich miteinander um. Wir zeigen unsere Gefühle.
Mein sportlicher Erfolg kam schnell. Aber er fällt mir nicht in den Schoss. Ich trainiere hart, um meine Bestzeiten laufend zu steigern. Ich schwimme alle Stile: Brust, Crawl, Rücken und Delphin. Pro Woche trainiere ich etwa 13 Stunden im Becken. Am Morgen bin ich um 5.30 Uhr im Hallenbad. Nach dem Training gehe ich zur Schule. Hinzu kommen noch Krafttraining und natürlich die Wettkämpfe. Der strenge Plan fordert Disziplin. Ich habe gelernt, mich zu organisieren und Verantwortung zu tragen.
Im Schwimmclub Winterthur trainiere ich heute mit dem besten Nachwuchs. Dort bin ich die Einzige mit einer Behinderung. Das finde ich gut, denn so habe ich Konkurrenz. Das treibt mich an. Ich glaube nicht, dass ich mit zwei gesunden Armen viel schneller wäre. Meine Kraft kommt aus den Beinen.
Mein Vorbild ist der US-amerikanische Schwimmer Michael Phelps. Er hat jede Menge Goldmedaillen gewonnen. Er gibt immer sein Bestes und hat enorm viel erreicht. Ich träume davon, einmal mit ihm zu trainieren. Vielleicht treffe ich ihn ja bei den Paralympics.
Sportliche Spitzenleistung trotz Handicaps
Etwa 12 000 Menschen mit Behinderung treiben in der Schweiz Sport in speziellen Vereinen. Damit jeder in den Wettbewerben die gleichen Chancen hat, treten die Sportler in verschiedenen Klassen an. Sie sind unterteilt nach dem Ausmass der Behinderung. So messen sich Athleten mit ähnlichen körperlichen Voraussetzungen.
Die bedeutendsten Wettkämpfe sind die Paralympics – die Olympiade der Behinderten. Sie werden dieses Jahr im September, im Anschluss an die Olympischen Spiele, ausgetragen. Schwimmen ist eine der ältesten paralympischen Sportarten. Prothesen sind nicht erlaubt.
Infos und Kontakt
Dachverband des Schweizerischen Behindertensports, Plusport, Tel. 044 908 45 00, www.plusport.ch