Neue teure Blutdrucksenker wirken nicht besser
Gegen hohen Blutdruck verschreiben Ärzte gerne neuere und teure Medikamente. Nun zeigt ein Gutachten, dass ein älterer, sehr günstiger Medikamententyp genauso gut oder sogar besser wirkt.
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saldo 5/2007
21.03.2007
Eric Breitinger
Die Schweizer Krankenkassen und die Versicherten haben im Jahr 2005 rund 788 Millionen Franken für blutdrucksenkende Medikamente ausgegeben - so viel wie für kaum eine andere Medikamentengruppe. Dass der Kampf gegen den Bluthochdruck so teuer kommt, liegt vor allem an der Vorliebe der Ärzte für neuere, kostspielige Medikamente. Für 229 Millionen Franken verschrieben sie im Jahr 2005 patentgeschützte sogenannte Sartane, 50 Prozent mehr als 2003. Der Umsatz älterer Blutdrucksenker hinkte hi...
Die Schweizer Krankenkassen und die Versicherten haben im Jahr 2005 rund 788 Millionen Franken für blutdrucksenkende Medikamente ausgegeben - so viel wie für kaum eine andere Medikamentengruppe. Dass der Kampf gegen den Bluthochdruck so teuer kommt, liegt vor allem an der Vorliebe der Ärzte für neuere, kostspielige Medikamente. Für 229 Millionen Franken verschrieben sie im Jahr 2005 patentgeschützte sogenannte Sartane, 50 Prozent mehr als 2003. Der Umsatz älterer Blutdrucksenker hinkte hinterher, die Entwässerungsmedikamente Diuretika kamen auf 86 Millionen Franken, ACE-Hemmer auf 147 Millionen.
Ob Ärzte stets den besten Blutdrucksenker verordnen, lässt sich aufgrund eines neuen Gutachtens bezweifeln. Angefertigt hat die Expertise das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen für den Gemeinsamen Ausschuss. Dieses Gremium aus Vertretern von deutschen Ärzten und Krankenkassen entscheidet, welche Therapien die Kassen zahlen.
Das Kölner Institut wertete 16 Studien aus, in denen die fünf wichtigsten Medikamentengruppen zur Behandlung von Bluthochdruck verglichen werden. Resultat: Ausgerechnet der über 50 Jahre alte Medikamententyp der Diuretika schneidet am besten ab. In punkto Vorbeugung vor Herzversagen erwiesen sich Diuretika gegenüber ACE-Hemmern und Kalzium-Antagonisten als überlegen. Zudem schützen sie besser vor Schlaganfall und Herz-Kreislauf-Komplikationen.
Vorteile der neuen teuren Medikamente nicht belegt
Der Nutzen der teuren Sartane ist hingegen wenig belegt, da diese laut dem Kölner Gutachten «schlecht untersucht sind». Von 16 Studien beschäftigen sich nur drei mit ihnen, nur eine bewertet sie als besser. Das Fazit der Experten: Diuretika sind die blutdrucksenkenden Wirkstoffe «mit dem am besten belegten Nutzen».
Bei den meisten Schweizer Ärzten und Behördenvertretern finden die Gutachter kein Gehör: «Für Sartane besteht bei gewissen Patienten ein klarer Zusatznutzen», sagt Daniel Dauwalder, Sprecher des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Dies rechtfertige höhere Preise. Der Basler Medizinprofessor Edouard Battegay sagt: «Ihr Nutzen ist zwar unbestritten, aber Diuretika rufen bei älteren Patienten oft Nebenwirkungen hervor, etwa Harndrang, Kopfschmerzen, Probleme mit Blutsalzen bis hin zu Hospitalisierung.» Zudem begünstigten sie Diabetes. Als Alternative setzen viele Ärzte gleich auf Sartane. «Weil diese praktisch keine Nebenwirkungen haben, aber mindestens den gleichen Effekt wie Diuretika erzielen», so Jürg Nussberger, Präsident der Hypertoniegesellschaft.
Damit machen sie es sich zu einfach, sagen Kritiker: «In der Schweiz werden zu wenige Diuretika als Erstverordnung verschrieben und zu viele Sartane», sagt Markus Fritz, Leiter der schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle. Die Kölner Studie zeige, dass Diuretika am besten vor Langzeitfolgen eines hohen Blutdrucks schützen, also vor Herz-, Nieren- und Gefässschäden, Schlaganfall oder Herzinfarkt. Fritz stellt fest: «Bei Sartanen fehlt hingegen die Sicherheit der Langzeitstudien.»
Dies bemängelt auch Gerd Glaeske, Bremer Professor für vergleichende Arzneimittelforschung: «Die Hersteller der Sartane haben viel Geld verdient, aber keine Vergleichsstudien gemacht. Es ist wissenschaftlich nicht belegt, dass Sartane Vorteile haben.»
Sartane: Der hohe Preis belastet die Gesundheitskosten
Dass Schweizer Ärzte diese trotzdem zunehmend verschreiben, führt Fritz auf die PR der Pharmabranche zurück und darauf, dass Ärzte «mögliche Nebenwirkungen von Diuretika gegenüber deren Nutzen überbewerten». Die Nebenwirkungen seien jedoch weder zwangsläufig noch bedrohlich. Es spreche nichts gegen die Erstbehandlung mit Diuretika. Falls diese dem Patienten nicht bekommen, könne der Arzt auf andere Medikamente wechseln.
«Schweizer Ärzte verschreiben zu grosszügig Sartane, und das häufig an Patienten, die sie nicht brauchen», kritisiert auch Etzel Gysling, Pharma-Experte und Herausgeber der Zeitschrift «Pharmakritik»: Nebenwirkungen von Diuretika vermeide man durch niedrigere Dosen. Patienten, die Diuretika nicht vertrügen, könnten gut ausweichen: «ACE-Hemmer sind Sartanen dabei vorzuziehen», fordert Gysling. ACE-Hemmer seien genauso bekömmlich, aber ihr Nutzen bei Herzinsuffizienz besser nachgewiesen. Laut Studien vertragen nur 10 bis 20 Prozent der Patienten keine ACE-Hemmer. «Für sie sind Sartane das Richtige», sagt Gysling.
Die Kritiker stehen nicht allein da: Auf internationaler Ebene plädiert die Mehrzahl der Fachgruppen dafür, bei der Erstbehandlung Diuretika zu bevorzugen. Dazu gehören etwa Expertengremien aus den USA, England, die Weltgesundheitsorganisation, die Internationale Hypertoniegesellschaft und die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Die Schweizer Hypertoniegesellschaft bewertet hingegen prinzipiell alle Medikamententypen als gleich geeignet.
Würden Schweizer Ärzte mehr Diuretika und ACE-Hemmer statt Sartane verschreiben, hätte das einen gewaltigen Spareffekt. Schliesslich kostet eine Tagesdosis des umsatzstärksten Sartans Atacand rund 2 Franken. Das ist fast dreimal so viel wie die des teuersten Diuretikums Torem und 33-mal so viel wie die des Diuretikums Lasix.
Peter Marbet, Sprecher des Krankenkassenverbands Santésuisse, sieht hier denn auch die Aufsichtsbehörden in der Pflicht: Bisher rechtfertigten Hersteller die hohen Preise der Sartane mit deren Zusatznutzen. Genau das stelle nun das deutsche Gutachten in Frage: «Das BAG muss daher deren Preise in der Spezialitätenliste überprüfen und entsprechend senken», fordert Marbet.
Das hilft gegen Bluthochdruck
Diuretika fördern die Ausscheidung von Wasser in den Nieren. Bei längerer Anwendung verringern sie den Widerstand der Blutgefässe und führen zu Blutdrucksenkung.
Beta-Blocker blockieren im Körper die Andockstellen bestimmter Botenstoffe, die den Herzschlag beschleunigen. Folge: Das Herz schlägt langsamer, die Gefässe entspannen sich, der Blutdruck sinkt.
Kalzium-Antagonisten erweitern die Gefässe. Sie hemmen die Wirkung von Kalzium in der Muskelwand der Blutgefässe, sodass sich diese entspannen und erweitern.
ACE-Hemmer blockieren das sogenannte Angiotensin-Conversions-Enzym. ACE ist an der Herstellung eines Hormons beteiligt, das den Blutdruck steigen lässt. ACE-Hemmer können Husten auslösen.
Sartane oder auch Angiotensin-II-Antagonisten wirken im selben Hormonsystem wie ACE-Hemmer. Sie behindern aber nicht das ACE, sondern blockieren deren Andockstellen im Körper.
Das sollten Patienten wissen
Wer an Bluthochdruck leidet, sollte seinen Lebensstil ändern. Zu den Massnahmen gehören:
- Abnehmen: Menschen mit Übergewicht haben ein grösseres Blutvolumen als Normalgewichtige, was den Blutdruck in die Höhe treibt. Abspecken senkt die Blutdruckwerte.
- Weniger Salz: Laut Ernährungsexperten nehmen wir viermal so viel Salz zu uns, wie der Körper braucht. Folge: Je mehr Salz im Blut ist, desto mehr muss der Körper das mit Wasser ausgleichen. Dadurch erhöhen sich Blutvolumen und -druck. Ein Salzverzicht entlastet die Gefässe.
- Mehr Bewegung: Wer seine Ausdauer trainiert, verringert den Blutdruckanstieg und auch seinen Blutdruck im Ruhezustand.
- Mehr Entspannung: Stress kurbelt die Ausschüttung von Adrenalin an. Das Herz pumpt mehr Blut in die Adern, der Druck auf die Gefässwände nimmt zu.
Dagegen können Entspannungsübungen helfen.
- Weniger Alkohol: Alkohol aktiviert das vegetative Nervensystem und beschleunigt damit den Herzschlag. Dadurch nimmt der Druck auf die Gefässwände zu.