Schmerzmittel, die ähnlich wie Opium wirken, sind eigentlich für schwere Fälle vorgesehen: etwa bei Tumoren oder nach Operationen. Doch immer häufiger verschreiben Ärzte diese Medikamente auch gegen Hexenschuss, Arthrose oder Muskelverspannungen. Dazu gehören etwa Fentanyl oder Pethidin.
Eine Auswertung des Verbands Interpharma zeigt: Vor fünf Jahren gingen 1,4 Millionen Packungen über den Ladentisch, 2015 waren es bereits 1,7 Millionen. Beim starken Schmerzkiller Tapentadol hat sich der Verbrauch laut der Heilmittelbehörde Swissmedic von 2012 bis 2014 gar mehr als verdreifacht.
Konrad Maurer, Leitender Arzt am Schmerzambulatorium des UniSpitals Zürich, sagt: «Die Hemmschwelle, Opioide an Patienten mit chronischen Schmerzen zu verschreiben, ist in den letzten Jahren offensichtlich gesunken.»
Studien: Bedenkliche Nebenwirkungen
Die US-amerikanischen Gesundheitskontrollbehörden haben jetzt Studien zu solchen Mitteln ausgewertet. Die Erkenntnis: Es lasse sich kaum nachweisen, dass Opioide chronische Schmerzen in Muskeln, Knochen und Bindegewebe wirksam bekämpfen. Umso bedenklicher seien Risiken und Nebenwirkungen. Sie reichen von Atemnot, Kreislaufbeschwerden, Leber- und Nierenschäden bis zu Bewusstseinsstörungen. Gewöhnungseffekt und Suchtpotenzial sind hoch: Damit die Mittel wirksam bleiben, muss man die Dosis mit der Zeit erhöhen.
Die US-Behörden empfehlen Ärzten, grundsätzlich auf die Mittel zu verzichten, vor allem beim langfristigen Einsatz – ausser bei Krebs oder anderen schweren Fällen.
Diese Empfehlungen werden sich auf die Behandlungen in der Schweiz auswirken: Davon sind Experten überzeugt. Peter Jüni ist ehemaliger Professor für Hausarztmedizin an der Universität Bern und jetzt an der Universität in Toronto tätig. Er sagt: «Ärzte werden die Mittel gegen chronische Beschwerden des Bewegungsapparats zurückhaltender verschreiben.» Laut Jüni gibt es Alternativen: zum Beispiel Schmerzmittel ohne Opioide. Dazu gehören etwa Medikamente mit den Wirkstoffen Paracetamol oder Diclofenac. Allerdings kann man auch diese nicht allzu lang einsetzen. Langfristig empfiehlt Jüni Therapien ohne Schmerzmittel: Physiotherapie und körperliche Aktivität.
«Es muss nicht immer ein Medikament sein»
Ähnlich tönt es beim Herausgeber des Fachblatts «Pharma-Kritik», dem Wiler Hausarzt Etzel Gysling. Er versucht, möglichst auf Opioide zu verzichten – bis auf zwei Ausnahmen: Codein und Tramadol. Diese Mittel seien «verhältnismässig unproblematisch». In der Praxis gelte es, eine auf den Patienten abgestimmte Lösung zu finden. Es müsse nicht unbedingt ein Medikament sein. «Schmerzen sind ein komplexes Problem, das man auch gut mit Placebos beeinflussen kann.»
Der Fentanyl-Hersteller Mepha Schweiz sagt, Opioide seien eine Alternative, wenn andere Schmerzmittel zu schwach sind oder Patienten sie nicht vertragen. Die Entwicklung einer Sucht sei selten. Bei engmaschiger Überwachung spreche nichts gegen einen gut begründeten Einsatz.