Liebesgeschichten in Büchern finde ich spannend. Mich interessieren die Missverständnisse und Probleme, mit denen die Charaktere zu tun haben. Ich selbst kann mich nicht verlieben. Das Gefühl kenne ich nur aus Beschreibungen. Wenn ich jemanden näher kennenlerne, stelle ich das gleich klar. Ich will der anderen Person gegenüber fair sein. Körperliche Nähe und Intimität finde ich schön. Ich mag es, zu kuscheln, zu küssen, Händchen zu halten und intim mit jemandem zu sein. Für mich hat das nichts mit Liebe zu tun.
Das ist auch ausserhalb einer Beziehung möglich. Als Jugendlicher habe ich Annäherungsversuche eher abgeblockt. Erst mit 19 hatte ich meine erste Beziehung. Ich glaube, die andere Person hat gemerkt, dass ich nicht verliebt war. Trotzdem habe ich es versucht – auch in meiner zweiten Beziehung, die länger dauerte. Beide Male merkte ich von Anfang an, dass etwas nicht stimmt. Ich hatte nur freundschaftliche Gefühle. Mir kam es dann so vor, als würde ich etwas vorspielen.
Ich wollte mich verlieben, aber es ging nicht. Von anderen erfuhr ich, dass man das nicht steuern kann. Zu dieser Zeit litt ich stark. Ich fühlte mich, als sei ich kaputt. Mit etwa 24 Jahren erfuhr ich, dass es aromantische Personen gibt. Als ich später wieder darüber nachdachte, merkte ich, dass ich auch dazugehöre. Ich bin also nicht der einzige Mensch, der sich nicht verlieben kann. Diese Erkenntnis war sehr erleichternd. Es hat gedauert, bis ich das als Teil von mir akzeptieren konnte und nicht als etwas, das falsch an mir ist.
Heute, im Alter von 30 Jahren, gehe ich offen damit um. Wenn ich mit anderen Leuten darüber spreche, werde ich oft gefragt, wie sich das anfühlt. Die Abwesenheit eines Gefühls kann man aber nicht beschreiben. Kürzlich sagte mir jemand, ich hätte einfach noch nicht die richtige Person gefunden. Das ärgert mich. Ich kann mir auch in Zukunft keine Beziehung vorstellen. Romantische Treffen, Kosenamen, gemeinsame Zukunftspläne – all das fühlt sich in einer Partnerschaft falsch für mich an.
Romantische Liebe gilt als etwas Urmenschliches. Wer das nicht empfindet, wird wie ein Roboter gesehen. Doch ich bin kein Roboter. Ich empfinde Zuneigung für meine Familie und meine Freunde, und ich kann genauso traurig sein wie andere Menschen auch.
Aromantisch: Leben ohne Schmetterlinge im Bauch
Unter Sexualforschern ist die aromantische Liebe ein anerkanntes Phanömen, wie ein umfassender Artikel diesen Frühling im «International Journal of Sexual Health» aufzeigte. Aromantische Personen können keine Verliebtheitsgefühle entwickeln, viele sind daher nicht an einer Partnerschaft interessiert. Sie sind aber nicht unbedingt asexuell und können auch körperliche Nähe geniessen. Forscher rätseln noch über die Ursache des Phänomens, es ist aber unabhängig von traumatischen Erlebnissen in der Kindheit.
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