Seit Monaten kritisieren Kinderärzte und Behörden, dass die Pharmaindustrie nicht genügend Impfstoffe liefern kann. Die grössten Versorgungsschwierigkeiten gibt es bei Kombi-Impfpräparaten mit fünf Impfstoffen: gegen Keuchhusten, Diphtherie, Starrkrampf, Kinderlähmung sowie Hirnhaut- und Kehlkopfentzündungen. In der Kritik stehen die Hersteller Glaxo-Smith-Kline und Sanofi-Pasteur MSD.
Kinderärzte weichen deshalb auf den Sechsfachimpfstoff Infanrix Hexa von Glaxo aus. Doch der Impfstoff ist für Kleinkinder umstritten. Denn Infanrix Hexa enthält als sechste Komponente den Impfstoff gegen Hepatitis B, eine Virusinfektion der Leber. Das Virus überträgt man vor allem durch infizierte Drogenspritzen oder ungeschützten Geschlechtsverkehr. Die Stiftung für Konsumentenschutz und die Ärzte-Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen raten von der Hepatitis-B-Impfung ab, ausser bei Risikogruppen wie etwa Drogenabhängigen. Selbst das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt die Impfung gegen Hepatitis B erst im Alter von 11 bis 15 Jahren.
Laut dem deutschen Arzt und Impfexperten Martin Hirte ist in der Schweiz das Risiko für eine Ansteckung gering: «Die Hepatitis- B-Impfung hat deshalb mehr Nach- als Vorteile.» Um einen einzigen Krankheitsfall zu verhindern, müssten Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen von Kindern geimpft werden – ein fragwürdiger Aufwand. Hinzu komme, dass Fachleute die Hepatitis-B-Impfung mit starken Impfreaktionen in Zusammenhang gebracht hätten.
Kinderarzt Jan Cahlik ist auch im Vorstand des Verbands Kinderärzte Schweiz. Er bestätigt, dass der Impfstoff auch bei vielen Eltern auf Skepsis stösst: «Einige bestehen darauf, ihr Kind ohne die Hepatitis-B-Komponente impfen zu lassen.» Cahlik rät skeptischen Eltern deshalb zu warten, bis die anderen Impfstoffe wieder lieferbar sind.
Teurer: Einzel- und Vierfach-Impfstoff
Eine weitere Alternative wäre die Kombination aus dem Kombi-Impfstoff Boostrix Polio und dem Einzelimpfstoff Hiberix. Boostrix schützt gegen vier Erreger: Keuchhusten, Kinderlähmung, Diphtherie und Starrkrampf. Hiberix würde zusätzlich gegen Hirnhaut- und Kehlkopfentzündungen schützen. Doch diese Lösung ist komplizierter und teurer.
Viele Ärzte und Fachleute kritisieren seit einigen Jahren die Entwicklung, Kinder mit Kombi-Präparaten zu impfen. Laut Peter Klein von der Ärzte-Arbeitsgruppe für differenzierte Impfungen kommt die Entwicklung vor allem den Herstellern gelegen. Diese beschränkten sich aus Kostengründen vemehrt auf die am häufigsten gebrauchten Impfstoffkombinationen. Dadurch können Ärzte den Impfplan der Behörden einfacher durchsetzen: «Das hat zur Folge, dass Eltern, die eine individuelle Impflösung für ihre Kinder wünschen, gar keine Wahl mehr haben.»
Eine Entspannung der Lage zeichnet sich 2016 nicht ab. Urs Kientsch, Sprecher von GlaxoSmith-Kline, sagt, man werde 2017 in Belgien ein Impfstoff-Produktionswerk eröffnen.