Herr Hottiger, wie erleben Sie die Zürcher Bahnhofstrasse in der Weihnachtszeit?
Diese Menge von Leuten ist verrückt. Das gibt mir zu denken.
Was bedeutet Weihnachten für Sie denn?
Weihnachten ist für mich das Fest der Geburt von Jesus Christus. Es ist auch das Fest der Liebe und des Friedens auf Erden.
Kriechen Sie da nicht einer Utopie auf den Leim?
Nein, überhaupt nicht. Gott und seine Liebe sind für mich real. Diese Überzeugung gibt mir Kraft und Zuversicht.
Was bedeutet Ihnen materieller Wohlstand?
Auch ich finde es angenehm, wenn ich genug Geld zum Leben habe. Reichtum ist aber nicht mein Ziel. Die Harmonie in der Familie und in meinem Umfeld und eine gute Gesundheit sind mir wichtiger.
Was ist für Sie Nächstenliebe?
Wenn man bereit ist, anderen in einer Form zu helfen. Zum Beispiel, wenn jemand einer Mutter mit Kinderwagen beim Einsteigen ins Tram hilft. Das ist für mich Nächstenliebe. Allerdings spenden die Menschen weniger als früher. Zumindest auf der Strasse bei unserer Kollekte.
Weshalb ist das so?
So genau kann ich das nicht sagen. Das liegt aber auch daran, dass wir weniger Spendentöpfe haben. Wir haben Mühe, Topfwächter zu finden. Es ist hart, wenn man so lange in der Kälte stehen und die Spenden überwachen muss.
Wie reagieren die Leute auf der Strasse auf Sie?
Einige reagieren abweisend, wenn ich sie anspreche. Aber das sind vielleicht zwei von hundert. Die meisten Leute sind freundlich.
Erreicht die Heilsarmee die Menschen überhaupt noch?
Gerade junge Menschen erreichen wir nicht mehr so gut wie früher. Sie kennen die Heilsarmee zum Teil nicht mehr. Einmal hielt mich ein kleines Mädchen zum Beispiel für einen Polizisten. Das zeigt mir, dass wir mehr unter die Leute müssen.
Viele Leute irritiert die Uniform. Wie fühlen Sie sich darin?
Ich fühle mich mehr beobachtet als in ziviler Kleidung. Einige Leute reagieren erstaunt, andere neugierig. Ich habe mich daran gewöhnt und trage die Uniform gerne.
Wie verbringen Sie Weihnachten?
Ich feiere mit meiner Familie. Zuerst singen wir gemeinsam Weihnachtslieder. Dann liest jemand die Weihnachtsgeschichte vor, wir beten gemeinsam und danken Gott für das vergangene Jahr. Das berührt mich immer.
Gibt es auch Geschenke?
Ja, aber jeder kriegt nur ein Geschenk. Sonst würde es uferlos. Wir sind 14 bis 15 Personen.
Zur Person: Bernhard Hottiger
Mit 18 trat der ehemalige Sekundarlehrer aus Adliswil ZH der Heilsarmee bei. Seine Eltern waren dort hauptberuflich tätig. Der 76-Jährige sammelt Spenden und spielt Kornett in der Heilsarmee-Band. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.