Peter Liem, 39
«Ich blende meine Emotionen aus»
Der Bergretter erlebt bei Rettungsaktionen immer wieder schwierige Momente
Peter Liem befreit Berggänger aus misslichen -Situationen. In einer -Gletscherspalte kam er an seine Grenzen.
Sind Sie ein Adrenalin-Junkie?
Nein. Aber bei jeder Rettung ist Adrenalin im Spiel. Es hilft mir bei der Arbeit. Ich bin konzentrierter und der Körper ist leistungsfähiger.
Warum begeben Sie sich in -gefährliche Situationen, um -anderen zu helfen?
Ich war als junger Mann oft in den Bergen unterwegs und sah Leute, die Hilfe brauchten. Während der Gebirgsrekrutenschule in Andermatt lernte ich viel über die Arbeit am Berg und machte dann die Ausbildung zum Bergretter.
Welches war Ihre bisher schwierigste Rettungsaktion?
Letzten Winter geriet ein junger Mann in eine Gletscherspalte. Ein Kollege und ich sollten den Pistenrettungsdienst vor Ort bei der Rettung unterstützen. Ich bediente die Winde am Spaltenrand und seilte zwei Kollegen zum Verletzten ab. Plötzlich löste sich ein Stück Eis und verschüttete alle.
Was ging Ihnen durch den Kopf?
Ich wusste: Jetzt musst du da runter. Und ich wusste auch: Das wird hart, denn ich habe Platzangst. Trotzdem seilte ich mich in die Gletscherspalte ab. Die zwei Kollegen waren nur leicht verletzt. Wir konnten sie anseilen und aus der Spalte holen. Sobald das erledigt war, musste ich aber wieder raus. Es schnürte mir die Brust zu. Die Verstärkung kam und holte den Mann aus der Spalte. Auch er war nur leicht verletzt. Ein kleines Wunder.
Wie reagieren die Leute, wenn Sie sie bergen?
Die meisten schämen sich. Geredet wird nicht viel. Es muss meist schnell gehen, die Personen bekommen klare Anweisungen.
Hatten Sie auch schon Glücksgefühle bei einer Rettung?
Ja, wenn es gut geht und die Personen unverletzt sind. Aber es gibt auch andere Momente. Etwa wenn wir aufgeboten werden und wissen: Wahrscheinlich können wir die Person nur noch tot bergen. Letzten Sommer wurde ich aufgeboten, als ein Gleitschirmflieger in einem Baum hängen geblieben war. Wir wussten, dass er wahrscheinlich tot war, was sich leider bewahrheitete.
Ist es nicht schrecklich, jemanden nur noch tot zu bergen?
Doch. Ich weiss ja nicht, wie die Person aussieht und ob ich sie vielleicht sogar kenne. Aber vor Ort ist es, wie wenn man einen Hebel umlegt: Ich blende meine Emotionen aus und erledige meine Aufgabe.
Wie verarbeiten Sie den Stress?
Mit den Kollegen gehen wir jeden Einsatz nochmals durch. Daheim bei den Kindern halte ich mich eher zurück, aber mit meiner Frau rede ich abends ausführlicher darüber. Bei Rettungen prasseln viele Eindrücke auf einen ein. Die kann ich erst verarbeiten, wenn ich sie einige Male erzählt habe.
Haben Sie noch Kontakt zu -Leuten, die Sie gerettet haben?
Manchmal bekommen wir ein Dankeskärtli. Persönlich melden sich die Leute kaum. Aber das ist schon in Ordnung so.
Zur Person
Peter Liem (39) ist stellvertretender Rettungschef bei Alpine Rettung Schweiz, -Station Engelberg OW. Er bildete sich zum Bergretter aus, arbeitet aber ehrenamtlich und absolviert pro Jahr 10 bis 15 Einsätze. Er wohnt mit seiner Familie in Wolfenschiessen NW und ist als Zimmermann tätig.