Die Gedanken kreisen immer wieder um diese eine blöde Sache. Warum habe ich nicht anders gehandelt? Warum passiert das immer mir?
Gelegentliches Grübeln ist normal. Doch auf Dauer hilft es nicht. Die Stimmung verschlechtert sich und es entstehen neue Probleme – auch gesundheitliche. Uwe Herwig, Chefarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich, warnt: «Es kann passieren, dass man sich in dieser Schwarzmalerei verfängt. Wenn ich ständig klage, dann nehme ich nur noch die schlechten Dinge wahr. Die Grundstimmung verändert sich nachteilig.» Diese Stimmung prägt sich im Gehirn ein. Wer ständig jammert, wird seinen Frust nicht los. Im Gegenteil: Man wird immer trübsinniger.
«Ich wusste, es wird schlecht»
Die 29-jährige Mariella Kauz (Name geändert) kennt das Problem: «Es spielte keine Rolle, was ich vorhatte, ich wusste, es wird schlecht.» Die negativen Gedanken liessen sie einfach nicht los. «An freien Tagen brütete ich stundenlang über schlechten Momenten. Und am Abend ging es mir elend, weil ich den ganzen Tag nichts unternommen hatte.»
Negative Gedanken bedeuten auch Stress für den Körper und machen ihn anfällig für Krankheiten. «Chronischer Stress kann das Immunsystem schwächen und Stoffwechselveränderungen auslösen», erklärt Herwig. «Das Risiko für Herzkrankheiten, Bluthochdruck, Fettleibigkeit und Diabetes steigt.» Mehrere Studien bestätigen die Auswirkungen von chronischem Stress auf die Gesundheit.
Erhöhtes Risiko für eine psychische Störung
Das spürte auch Mariella Kauz: «Ich hatte einen zu hohen Blutdruck. Manchmal litt ich mehrere Tage an Kopfschmerzen. Ich konnte schlecht einschlafen und noch weniger gut aufstehen.»
Objektiv habe es keinen Grund für ihre schlechte Stimmung gegeben: «Ich hatte eine super Kindheit, wurde nie von Kollegen gemobbt. Ich konnte mir selbst nicht erklären, warum ich so schlecht gelaunt war. Auch das hat mich beschäftigt.»
Wissenschafter nennen das endlose Grübeln über Pech und Unglück Rumination. Es ist der biologische Fachbegriff für Wiederkäuen. Wie bei den Kühen das Gras, kommen bei manchen Menschen die negativen Gedanken immer wieder hoch.
Langzeitstudien zeigen: Wer ruminiert, hat ein höheres Risiko für eine psychische Störung. So untersuchten amerikanische Forscher 455 Personen, die ein Familienmitglied durch eine unheilbare Krankheit verloren hatten. Die Studie zeigte: Wer über den Verlust sinnierte, entwickelte häufiger eine Depression und war teilweise auch eineinhalb Jahre später noch deprimiert.
Jochen Mutschler, Chefarzt an der Privatklinik Meiringen, sagt: «Sich Sorgen machen um Dinge, die nicht realistisch gegeben sind, kann ein Anzeichen für eine Depression oder eine Angststörung sein.» Zwar sei nicht jeder, der über Negativem brüte, psychisch krank. Aber die Gefahr bestehe, dass man in eine Negativspirale gerate: «Wenn jemand über Jahre hinweg grüblerisch ist und an negativen Gedanken festhält, ist es sehr schwer, davon loszukommen.»
Positive Freizeitaktivitäten könnten sich günstig auswirken. «Das kann für die Betroffenen aber schwierig und mit grosser Anstrengung verbunden sein», sagt Mutschler.
Auch Mariella Kauz zog sich immer mehr zurück. In guten Momenten verabredete sie sich mit Freunden. Doch je näher die Verabredung kam, umso weniger hatte sie Lust darauf. «Dann habe ich eine Ausrede erfunden. Ich verstand mein Problem ja selbst nicht. Zudem wollte ich keine Spassbremse sein. Aber zehn Minuten duschen fühlten sich für mich an wie eine Lebensaufgabe. Meine Freunde tolerierten das. Doch ich glaube, das hätten sie nicht ewig mitgemacht.»
Verhaltenstherapie kann helfen
Wann oder ob ein Problem erkannt werde, hänge häufig vom Umfeld ab, sagt Mutschler. «Es gibt Patienten, die nie zu uns kommen, weil das Umfeld eine sehr hohe Toleranzgrenze hat.» Konflikte seien jeweils ein Warnhinweis: «Wenn man selbst oder das Umfeld unter der Situation leidet, macht es Sinn, sich Hilfe zu holen.» Mutschler empfiehlt Betroffenen eine Verhaltenstherapie. Der Erfolg sei sehr gut nachgewiesen. Auch das sogenannte Achtsamkeitstraining zeigte in einigen Untersuchungen gute Effekte. Das Ziel: Negative Gedanken bewusst wahrnehmen, sie aber nicht weiterverfolgen, sondern weiterziehen lassen.
Auch Mariella Kauz entschied sich für eine Psychotherapie. Das Training schlug an, inzwischen kann sie mit ihren negativen Gedanken besser umgehen: «Ich versuche, in eine ruhige Position zu gehen und durchzuatmen. Dann spreche ich mir gut zu: ‹Mit dem Heute und Jetzt hat der negative Gedanke nichts zu tun. Also hat er auch nicht so viel Macht.›»