Renate Stolz, 73, betreut ihren schizophrenen Ehemann
Mein Leben ist ein ewiger Kampf. Seit 52 Jahren gehe ich mit meinem Mann durch Hochs und Tiefs. In der gesunden Phase ist er verständnisvoll und gütig. Wenn er eine Krise hat, ist es ganz schwierig. Ich weiss nie, was im nächsten Moment geschieht. Deswegen schlafe ich schlecht und bin tagsüber ausgelaugt und angespannt. Mein Mann ist schizophren. Die Schübe haben im Alter massiv zugenommen. Er ist zunehmend verwirrt.
Eigentlich leben wir getrennt. Weil er aber auf Pflege angewiesen ist, lebt er wieder bei mir. Ohne Betreuung würde er verwahrlosen. Nur leben wir nicht als Paar zusammen, sondern als Wohngemeinschaft.
Ausgebrochen ist die Krankheit, als mein Mann 16 war. Ich lernte ihn wenig später kennen, wusste aber von nichts. Ein Jahr nach der Hochzeit kam unser Sohn zur Welt, zwei Jahre später unsere Tochter.
Nach drei Jahren Ehe stand plötzlich ein völlig veränderter Mann vor mir. Er sah alles negativ und war misstrauisch. Er vermutete, ich würde ihn betrügen. Dann glaubte er, dass seine Eltern ihn umbringen wollen. Ein anderes Mal war er überzeugt, er sei Gott. In gewissen Phasen lief er nachts weg. Dann hatte ich grosse Angst vor seiner Rückkehr – er hatte mich einmal mit einem Messer bedroht. Zeitweise verriegelte ich die Tür zum Kinderzimmer, weil ich panische Angst hatte, dass er den Kindern etwas antut. Auch drohte er häufig mit Suizid, einmal wollte er vom Balkon springen.
Er war mehrmals ein paar Monate in Kliniken. Die Medikamente machten ihn stabiler, so durfte er jeweils nach Hause. Für eine Weile war er wieder ein tüchtiger Architekt und liebevoller Vater. Doch die Tabletten lösten starke Nebenwirkungen aus. Er setzte sie oft ab – und die nächste Krise begann.
Mit 35 wurde ich nochmals schwanger. Mein Mann verlangte, dass ich abtreibe. Auch die Ärzte setzten mich unter Druck, ein weiteres Kind sei in unserer familiären Situation nicht gut. Nach langem Drängen gab ich nach. Mit 41 bekam ich dennoch unser drittes Kind. Dieses Mal hatte ich mich durchgesetzt.
In dieser Zeit hatte mein Mann häufiger Krisen. Ich trennte mich von ihm, weil ich Angst um meinen Nachzügler hatte. Ich ging arbeiten, doch das Geld reichte nicht – ich wurde abhängig von der Fürsorge. Ich wäre so froh gewesen, wenn für Familien mit einem psychisch kranken Menschen eine Anlaufstelle existiert hätte. Von den Behörden fühle ich mich im Stich gelassen. Für die AHV gelten wir als verheiratet, obwohl wir getrennt leben. Ich musste deshalb einen Teil der AHV zurückzahlen. So ist das Gesetz. Aber ich finde, dass ich für meinen Einsatz bestraft werde. Ein Heimaufenthalt käme massiv teurer.
Ich bin sehr froh, dass meine Kinder wohlauf sind und einen anspruchsvollen Beruf haben. Und ich habe meinen Glauben, der mir hilft, die Hoffnung nicht aufzugeben.
Schizophrenie: Wenn die Realität verschwindet
Die Krankheit tritt schubweise auf oder wird chronisch. Betroffene verlieren oft den Bezug zur Realität. Typische Symptome sind Wahnvorstellungen und Sinnestäuschungen. Die Patienten hören fremde Stimmen oder fühlen sich verfolgt. Medikamente mildern die Symptome.
Lebenskrisen wie Jobverlust, Scheidung oder andere Stresssituationen begünstigen einen Krankheitsschub. Es gibt Patienten, die sind einmal im Leben betroffen, bei anderen bricht die Krankheit immer wieder aus.
Infos und Rat
VASK, Vereinigung der Angehörigen von psychisch Kranken, Tel. 044 240 38 76 E-Mail: info@vaskzuerich.ch