Die 85-jährige Heidi Keller aus Zürich leidet unter Rückenschmerzen. Deshalb kann sie nur noch mit dem Rollator gehen. Und sie hat Schlafprobleme: «Ich schlafe nie vor vier Uhr morgens ein.» Auf der Suche nach Hilfe gegen ihre Beschwerden stiess Heidi Keller auf das «Heublumenbett» der Firma Santhera aus Buchs SG. Das ist eine Matte aus Baumwollstoff, die gefüllt ist mit Heu und getrockneten Kräutern wie Lavendel, Kamille, Schafgarbe, Rosmarin, Minze, Brennnesseln sowie mit Arvenholzspänen.
Im Werbetext steht, man nehme die ätherischen Öle der Kräuter im Schlaf über Atemwege und Haut auf. Santhera sagt, die Matte wirke gegen Arthrose, Rückenschmerzen, Durchblutungsstörungen und andere Beschwerden. Sie sorge für «traumhaft angenehme Nächte» und «pures Schlafvergnügen».
Heidi Keller liess sich überzeugen und kaufte ein «Heublumenbett» für 1900 Franken. Im März empfing sie einen Santhera-Vertreter. Er habe gesagt, die Matte helfe «todsicher» gegen Schmerzen und Schlaflosigkeit. Heidi Keller schlief zwei Monate auf der Matte. Doch Schmerzen und Schlaflosigkeit besserten sich «kein bisschen», sagt sie. Sie ist enttäuscht: «Ich fühle mich betrogen. Der hohe Preis, den ich bezahlen musste, war für die Katz. Ich möchte mein Geld zurück.»
Fachleute bezweifeln den Nutzen des Produkts. Der Heilpflanzen-Spezialist Martin Koradi aus Winterthur ZH sagt, ätherische Öle aus Arvenholz und Lavendelblüten könnten zwar bei manchen Menschen entspannend wirken. Auch Kamille und Schafgarbe wirkten «möglicherweise leicht beruhigend». Doch Rosmarin und Minze gelten laut Koradi «eher als belebend und anregend». Und die Inhaltsstoffe der Brennnesseln könnten nicht verdunsten. Deshalb sei die Zusammensetzung der Kräuter «sehr unplausibel». Zudem nehme die allfällige Wirkung mit der Zeit ab, weil ätherische ÖIe verdunsten.
Alexander Turk, Chefarzt Pneumologie und Leiter des Schlafzentrums Zürcher Oberland in Wald ZH, erklärt, der Baumwollstoff der Matte und die Nase würden einen grossen Teil der ätherischen Öle aus der Luft filtern. Und Michael Gengenbacher, Chefarzt Rheumatologie am Basler Bethesda-Spital, sagt: «Ich erachte den Preis als überrissen.» Gengenbacher rät, einige Tropfen Lavendelöl aufs Kissen zu geben oder im Winter eine Wärmeauflage auf die Matratze zu legen.
Santhera begründet den Preis damit, dass sie «ausschliesslich die besten, handverlesenen Kräuter» verwende. Die Kräutermischung werde von «Experten» zusammengestellt. Der Hersteller informiere die Kunden über die begrenzte Wirkungsdauer des «Heublumenbetts». Allerdings steht davon in den Werbeunterlagen nichts. Santhera behauptet, der Baumwollstoff verringere die Wirkung der ätherischen Öle nicht. Studien dazu kann sie allerdings nicht vorweisen. Die Firma schreibt, es tue ihr leid, dass es Heidi Keller nicht besser geht, und verspricht, mit der Kundin ihre Situation zu klären.
Buchtipp
Im Ratgeber «Alternative Heilmethoden» (1. Auflage, 168 Seiten) finden Sie alles Wissenswerte zu 85 Therapien und erfahren, welches die Möglichkeiten und Grenzen der sanften Medizin sind.