Was ich esse, kontrolliere ich sehr genau. Für mich kommen nur gesunde Lebensmittel in Frage. Ich ernähre mich von Bioprodukten, Obst und Gemüse. Fleisch und Fisch esse ich nur ganz selten. Beim Kochen wasche ich mir immer wieder die Hände. Kocht jemand anderer, so kontrolliere ich, dass sich auch diese Person die Hände wäscht. Ich habe Angst, dass sonst Keime ins Essen kommen. Ich achte genau auf das Ablaufdatum der Lebensmittel. Ist etwas am Tag zuvor verfallen, esse ich es nicht mehr, auch wenn es noch gut riecht. Damit ich nichts wegwerfen muss, plane ich Mahlzeiten schon Tage im Voraus.
Ins Restaurant gehe ich nicht gerne, weil ich der Hygiene nicht traue. Manchmal überwinde ich mich, weil ich Freundschaften pflegen will. Doch danach geht es mir meistens schlecht. Ich zittere am ganzen Körper, habe Hitzewallungen, Brechreiz und mein Herz rast. Nach einer solchen Attacke kann mich nur ein Arzt beruhigen, indem er mich untersucht und nichts Auffallendes feststellt. Die Symptome verschwinden dann sofort.
Ich leide unter Orthorexie. Diese Bezeichnung trifft genau auf mein Krankheitsprofil zu. Ich bin sehr froh, dass ich einen Namen für meine Essstörung gefunden habe. Ich weiss, dass ich nicht die einzige Betroffene bin. Doch die Krankheit ist kaum bekannt. Viele in meinem Umfeld haben für mein Essverhalten kein Verständnis. Sie belächeln mich und werfen mir vor, magersüchtig zu sein. «Du willst doch nur schlank bleiben», höre ich fast täglich. Solche Unterstellungen enttäuschen mich sehr.
Ich frage mich oft, was meine Phobie ausgelöst hat. Bis vor zwei Jahren konnte ich nämlich alles essen. Die Angst, etwas Falsches zu essen, kam urplötzlich. Vielleicht haben mich die zunehmenden Erkrankungen in meinem Bekanntenkreis verunsichert. Ich habe seither immer grosse Angst, dass ich mich übergeben muss und krank werde. Das beeinflusst nicht nur mein Essverhalten: Wenn jemand in meiner Nähe krank ist, habe ich Angst, angesteckt zu werden. Um mich vor Bakterien zu schützen, umgehe ich kranke Menschen. Das Haus verlasse ich nie ohne Desinfektionsmittel.
Meine Ängste schränken mich stark ein. Mir ist zwar bewusst, dass sich alles nur im Kopf abspielt, aber trotzdem gelingt es mir nicht immer, meine Phobie zu ignorieren. Am besten geht es mir, wenn ich mich direkt mit unangenehmen Situationen konfrontiere. Zum Beispiel zwinge ich mich, regelmässig ins Restaurant zu gehen. Dadurch ist die Orthorexie besser geworden. Auch Meditation und Atemübungen an der frischen Luft helfen mir, wieder ein normales Leben zu führen. Das alles braucht viel Geduld und einen starken Willen. Immer wieder habe ich Rückfälle, aber es geht mir jetzt schon viel besser als noch vor einem Jahr.
Orthorexie: Zwanghaft gesund essen
Orthorexie ist eine Essstörung. Betroffene wollen sich so gesund wie möglich ernähren. Orthorexie ist keine eigenständige Krankheit. Einige Fachleute sehen sie als Zwangsstörung, die in eine Essstörung münden kann. Für andere ist sie ein Teilsymptom einer bestehenden Essstörung.
Als mögliche Ursache gilt das Bedürfnis nach Kontrolle. Durch diese Kontrolle, die in anderen Lebensbereichen verloren gegangen ist, werden Ängste und ein vermindertes Selbstwertgefühl kompensiert.
Betroffen sind meist junge, gebildete Personen im Alter von 20 bis 40 Jahren, mehr Frauen als Männer. Da die absolute Kontrolle nur im häuslichen Rahmen möglich ist, grenzen sie sich meist zunehmend ab. Essen auswärts wird für sie unmöglich.
Info und Hilfe: AES, Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen, Tel. 043 488 63 73
E-Mail: beratung@aes.ch