Reto Leuch, fürchten Sie sich vor dem Ertrinken?
Ich habe mir auch schon Gedanken gemacht. Meine Frau wäre dann alleine mit zwei Kindern und ihre Existenz wäre nicht mehr sicher. Ich überlege mir aber nicht die ganze Zeit, dass ich ertrinken könnte.
Verdrängen Sie die Angst?
Ein Stück weit vielleicht schon. Ich lasse sie nicht zu. Sonst müsste ich aufhören.
Sind Sie auf dem Bodensee auch schon in einen Sturm geraten?
Das kommt manchmal vor. Ich musste schon zurück an Land und abwarten, bis das Unwetter vorbei war. Allerdings sterben die wenigsten Fischer im Sturm. Ein Kollege von mir ertrank vor zehn Jahren bei schönem Wetter und spiegelglatter See.
Was war passiert?
Es war Winter und eiskalt. Er fuhr aus dem Hafen, streifte mit dem Boot einen Pfosten und fiel ins Wasser. In der Kälte schaffte er es nicht mehr heraus und erfror. Das ging schnell. Es war erschütternd. Auch ein Verwandter von mir ertrank vor einigen Jahren. Er tauchte nie mehr auf. Für die Angehörigen ist das schlimm.
Wie gehen Sie mit der Gefahr um?
Ich bin vorsichtiger geworden. Im Winter ziehe ich eine Schwimmweste an. Mit einer Weste sterbe ich vielleicht auch, aber die Suchmannschaft findet mich wenigstens. In den Augen gewisser Fischer ist man ein Weichei, wenn man eine Schwimmweste trägt. Aber das ist mir egal.
Wie schützen Sie sich bei einem Sturm vor Nässe und Kälte?
Ich habe für solches Wetter spezielle Kleider. Aber die Hände und das Gesicht sind immer nass. Wenn es stürmt, läuft mir das Wasser manchmal den Bauch hinunter. Am schlimmsten ist es im Winter. Wenn ich die Netze hochziehe, schwitze ich. Und wenn ich mit dem Schiff fahre, friere ich.
Ist das nicht mühsam?
Zwischendurch schon. Vor allem, wenn ich keine Fische fange. Dann denke ich, ich hätte vielleicht doch einen anderen Beruf lernen sollen.
Was Sie erzählen, klingt hart.
Ja, manchmal komme ich an meine Grenzen. Ich hatte auch schon schlaflose Nächte, weil ich wusste, dass es am nächsten Tag stürmt. Gleichzeitig reizt mich die Herausforderung. Ich will den Sturm überstehen – das gibt mir einen Kick. Wenn ich wieder zu Hause bin, ist die Befriedigung gross.
Romantiker glauben, die Arbeit eines Fischers bedeute absolute Freiheit und viel Ruhe.
Natürlich ist es schön, wenn ich am Morgen die Sonne aufgehen sehe und den See fast für mich alleine habe. Aber romantisch? Ich fahre auf den See, weil ich davon leben will. Romantik findet man eher in Geschichten und in Liedern.
Zur Person: Reto Leuch
Das Fischen liegt in der Familie: Schon Reto Leuchs Grossvater verdiente damit seinen Lebensunterhalt. Vor 17 Jahren übernahm der 46-jährige Reto Leuch von seinem Vater den Familienbetrieb in Landschlacht TG. Seither fischt er das ganze Jahr über auf dem Bodensee. Leuch ist verheiratet und hat zwei Söhne.