Nadine Gubler, wie fühlt sich eine Leiche an?
Es ist gar nicht so unangenehm. Meistens sind Leichen kühl und fest. Es kommt aber darauf an, wo und wann jemand starb.
Viele Menschen fürchten sich davor, eine Leiche zu berühren. Sie machen das täglich.
Auch ich habe manchmal Hemmungen. Ich hatte schon Tote vor mir, die ich lieber nicht angefasst hätte.
Welche?
Zum Beispiel Leute, die stark nach abgestandenem Schweiss gerochen haben. Das hatte aber nicht viel damit zu tun, dass die Person tot war. Auch Lebende riechen manchmal unangenehm.
Ekeln Sie sich vor solchen Körpern?
Ekeln ist nicht das richtige Wort. Aber manchmal arbeite ich auch mit Leichen, die lange lagen und stark verwest riechen. Das bedeutet immer eine kleine Herausforderung.
Was machen Sie dann?
Wenn jemand stark nach Schweiss riecht, wasche ich den Körper. Mit ein wenig Seife lässt sich der Geruch fast entfernen. Bei verwesten Leichen lässt sich aber nicht mehr viel machen.
Sie müssen bei Ihrer Arbeit auch Unfallopfer wiederherrichten. Wie können Sie sich dazu überwinden?
Mein fachliches Interesse an den Todesfällen überwiegt. Ich überlege mir: Was ist passiert? Was für eine physikalische Gewalt hat zum Tod geführt? Da lasse ich nicht viele Emotionen zu. Natürlich tut es mir für die Verstorbenen und die Hinterbliebenen leid.
Manchmal liegen Kinder vor Ihnen auf dem Tisch. Sind Sie dann erschüttert?
Nicht mehr als bei Erwachsenen. Es ist tragisch, wenn ein Kind stirbt. Aber es gehört in meinem Beruf dazu.
Was war Ihr bisher schlimmstes Erlebnis?
Einmal war ein Unfallopfer am Kopf schwer verletzt. Da man die Person nicht mehr erkennen konnte, richtete ich eine Hand her, damit die Angehörigen Abschied nehmen konnten. Verfolgt hat es mich danach aber nicht. Ich konnte mich abgrenzen.
Verdrängen Sie Ihre Gefühle?
Ich schiebe gewisse Dinge in den Hintergrund. Ich muss mich dazu zwingen. Wenn ich mich jeden Tag emotional verausgaben würde, könnte ich den Beruf nicht lange ausüben.
Wie gelingt Ihnen das?
Ich versuche, das Positive zu sehen, und hoffe, dass die Person nicht leiden musste.
Haben Sie schon jemanden hergerichtet, den Sie kannten?
Ja, ich richtete meine Grossmutter her, als sie vor drei Jahren starb. Es war berührend, wir standen uns nah.
Wie würden Sie gerne sterben?
Ich möchte einfach einschlafen. Oder wenn es ein Unfall ist, möchte ich, dass es schnell geht.
Zur Person: Nadine Gubler
Die gelernte Dentalassistentin bewarb sie sich vor 15 Jahren am Universitätsspital Zürich als Humanpräparatorin. Seit 2011 arbeitet sie am Kantonsspital St. Gallen. Die 34-Jährige ist leitende Präparatorin. Sie führt mit ihrem Team Obduktionen durch, rekonstruiert Verstorbene und sargt sie ein.